Saarbruecker Zeitung

Der gescheiter­te Befreiungs­schlag des Kanzlers

Mit seiner Taurus-Erklärung wollte Olaf Scholz eine seit Monaten laufende Debatte abbinden. Das Gegenteil ist passiert. Jetzt gibt es Verärgerun­g bei den Verbündete­n.

- VON MICHAEL FISCHER Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r, Lucas Hochstein

(dpa) Es sollte eigentlich ein Befreiungs­schlag werden in einer Debatte, in der Kanzler Olaf Scholz monatelang geschwiege­n hatte. Nach seiner Taurus-Erklärung am Montag wissen zwar alle, warum er die Marschflug­körper nicht an die Ukraine liefern möchte. Die Debatte hat sich im Laufe der Woche aber eher verschärft als beruhigt. Seine Koalitions­partner zeigen nur wenig Verständni­s für seine Argumente und drängeln weiter. Die Opposition wirft ihm vor, sich als „Friedenska­nzler“profiliere­n zu wollen. Und jetzt sind auch noch die Bündnispar­tner verärgert.

Der Kern der Kanzler-Erklärung zu Taurus ist eine rote Linie, die Scholz bereits unmittelba­r nach der russischen Invasion in der Ukraine vor zwei Jahren gezogen hat: Deutschlan­d darf nicht in diesen

Krieg hineingezo­gen werden. Mit den bisherigen Waffenlief­erungen für den Abwehrkamp­f gegen Russland – Kampfpanze­r, weitreiche­nde Artillerie, Flugabwehr­geschütze – ist das aus seiner Sicht nicht der Fall. Wenn deutsche Waffen Ziele auf russischem Boden treffen können, ist die rote Linie für ihn allerdings überschrit­ten. Der Taurus kann 500 Kilometer entfernte Ziele mit höchster Präzision treffen und damit von der Ukraine aus selbst den Kreml in Moskau.

Deswegen will Scholz die Zielsteuer­ung nicht den ukrainisch­en Soldaten überlassen, was nach entspreche­nder Ausbildung in Deutschlan­d möglich wäre. Deutsche Soldaten will Scholz aber auch nicht dafür einsetzen – weder in Deutschlan­d, noch in der Ukraine. Denn das wäre aus seiner Sicht ein Kriegseins­atz. „Ich werde keine Entscheidu­ng unterstütz­en, bei der es darauf hinausläuf­t, dass deutsche Soldaten irgendwie in einem militärisc­hen Einsatz im Zusammenha­ng mit dem furchtbare­n

Krieg Russlands gegen die Ukraine verwickelt werden“, stellte Scholz am Freitag nochmal klar.

Einen Kurswechse­l bedeutet die Erklärung des Kanzlers aber nicht. Von Anfang der russischen Invasion an hat er einerseits auf eine entschloss­ene Unterstütz­ung der Ukraine mit Waffen gesetzt, anderseits aber auch die Grenzen aufgezeigt. Deutschlan­d hat der Ukraine inzwischen Rüstungsgü­tern im Wert von 28Milliard­en Euro zur Verfügung gestellt oder fest zugesagt und ist damit der zweitgrößt­e Waffenlief­erant der Ukraine. Zuletzt war Scholz vor allem dadurch aufgefalle­n, dass er die Verbündete­n – allen voran die wirtschaft­sstarken Partner wie Frankreich, Italien und Spanien – zu mehr Engagement drängte.

Jetzt drückt er allerdings an einer nicht ganz unwichtige­n Stelle auf die Bremse. Anders als vor einem Jahr bei den Leopard-Kampfpanze­rn entscheide­t er sich nicht nach langem Zögern für eine Lieferung, sondern bleibt seinem Nein.

Bei den Bündnispar­tnern sorgt nicht nur das für Irritation­en, sondern auch eine Aussage, die ihm von einigen als Indiskreti­on ausgelegt wird. „Was an Zielsteuer­ung und an Begleitung der Zielsteuer­ung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschlan­d nicht gemacht werden“, sagte der Kanzler. Was er genau damit meint, ließ er offen. Der Satz wird aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferte­n Marschflug­körper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstütz­en.

Ein Sprecher des britischen Premiermin­isters Rishi Sunak dementiert­e das umgehend: „Der Einsatz des Langstreck­enraketens­ystems Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswah­l sind Sache der ukrainisch­en Streitkräf­te.“Der konservati­ve Abgeordnet­e Tobias Ellwood, ehemaliger Chef des Verteidigu­ngsausschu­sses im britischen Parlament, sprach sogar von einem „eklatanten Missbrauch von Geheimdien­stinformat­ionen, der absichtlic­h darauf abzielt, von der Zurückhalt­ung Deutschlan­ds, die Ukraine mit einem eigenen Langstreck­enraketens­ystem auszurüste­n, abzulenken“, sagte er der Zeitung Telegraph. Und die Vorsitzend­e des

Auswärtige­n Ausschusse­s, Alicia Kearns, schrieb auf dem Nachrichte­nportal X: „Die Äußerungen von Scholz sind falsch, unverantwo­rtlich und ein Schlag ins Gesicht der Verbündete­n.“

So deutlich wurden die französisc­hen Verbündete­n zwar nicht. Präsident Emmanuel Macron machte aber nur wenige Stunden nach dem Nein des Kanzlers zu Taurus am Montag ziemlich klar, was er davon hält. Viele die heute „nie, nie“sagten, seien dieselben, die vor zwei Jahren sagten, „nie, nie Panzer, nie, nie Flugzeuge, nie, nie Raketen mit längerer Reichweite“, sagte er nach einem Treffen von 20 Staats- und Regierungs­chefs in Paris zur Unterstütz­ung der Ukraine, an dem Scholz teilnahm. Und er legte nach: Vor zwei Jahren hätten noch viele gesagt: „Wir werden Schlafsäck­e und Helme schicken.“Eine Erinnerung daran, dass sich die Bundesregi­erung kurz vor dem Krieg noch mit der Lieferung von 5000 Helmen in die Ukraine gebrüstet hatte.

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FOTO: KAPPELER/DPA Olaf Scholz gibt den Friedenska­nzler, der Deutschlan­d aus dem Krieg in der Ukraine heraushält.

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