Saarbruecker Zeitung

Was die neue digitale EU-Identität bedeutet

Mit einem individuel­len Zertifikat soll sich jeder Europäer nicht nur zweifelsfr­ei identifizi­eren, sondern auch Dienstleis­tungen verlässlic­her abrufen können.

- VON GREGOR MAYNTZ

Eine Debatte spricht Bände über den Zustand der Digitalisi­erung in Deutschlan­d. Als im Europäisch­en Parlament über die digitale Zukunft Europas gerungen wird, in der jeder Bürger künftig eine eigene digitale Brieftasch­e besitzen wird, um länderüber­greifend staatliche und private Dienstleis­tungen ganz einfach nutzen zu können, da sprechen viele Nationen mit. 16 Redner aus Kroatien, Estland, Belgien, Frankreich, Italien, Rumänien, Tschechien, den Niederland­en, Spanien, Dänemark und Schweden beteiligen sich an der spannenden und teils auch sehr emotional geführten Aussprache. Das größte Land Europas mit den meisten Abgeordnet­en hält sich raus. Deutschlan­d bleibt an diesem Abend in Straßburg außen vor.

Beinahe mitleidig hat die Chefverhan­dlerin des Parlaments bei diesem heiklen Dossier darauf verwiesen, dass leider „nicht alle Europäer wirklich Zugang zu modernen öffentlich­en Diensten wie in Estland oder Dänemark haben“. Deutschlan­d erwähnt sie höflicherw­eise nicht. Das soll sich auch in Deutschlan­d ändern, wenn nun die europaweit gültige digitale Identität jedes Bürgers Wirklichke­it wird. Gerade für ein Land, das seine Wirtschaft­skraft entscheide­nd aus dem Handel im EU-Binnenmark­t gewinnt, müsste es eigentlich elektrisie­rend wirken, wenn der zuständige EU-Kommissar Thierry Breton den finalen Parlaments­beschluss mit dem Satz kommentier­t: „Endlich wird ein integriert­er digitaler Binnenmark­t existieren.“Es handele sich um eine einzigarti­ge Möglichkei­t, das Leben der europäisch­en Bürger zu erleichter­n.

Dabei betonen er und die Mehrzahl der nachfolgen­den Redner, dass die künftige digitale Brieftasch­e nicht nur kostenlos, sondern auch sicher sein werde. Mit ihr könne jeder Bürger auf seinem

Smartphone seinen Führersche­in präsentier­en, seinen Pass einsetzen, Rezepte einreichen, sich per Klick an einer Universitä­t einschreib­en, ein Darlehen beantragen oder die Steuererkl­ärung abgeben. Und das absolut sicher, wie die Chefverhan­dlerin des Parlaments, die kroatische Sozialdemo­kratin Romana Jekovic, am Ende eines mühsamen, dreijährig­en Verhandlun­gsprozesse­s unterstrei­cht.

„Wir machen Cybersiche­rheit per Design“, lautet ihre Formel. Die künftige E-Identität sei so angelegt, dass eine Gefahr erst gar nicht entstehen könne. Im Gegensatz zur bisherigen Praxis von elektronis­chen Brieftasch­en großer Konzerne sei die von der EU vorbereite­te Variante nicht in der Lage, das Nutzerverh­alten zu analysiere­n und für kommerziel­le Zwecke zu verwenden. „Wir werden kein extensives Daten-Schürfen mehr haben“, sichert Jekovic zu.

Das sehen die Grünen anders. „Der Vorschlag enthält Teile, die missbräuch­lich verwendet werden könnten, um unsere Bürger zu überwachen“, macht für sie der Tscheche Mikulas Peksa deutlich. Das könne in Ländern mit Schwierigk­eiten bei der Rechtsstaa­tlichkeit zu einem Problem werden. Auch die Redner der beiden rechtspopu­listischen Fraktionen hauen verbal ordentlich drauf.

Genau diese Vorbeugung hat den Prozess in die Länge gezogen. Nach der Grundsatze­inigung im vergangene­n Sommer folgte erst Ende des Jahres die detaillier­te Verständig­ung. Doch die Parlaments­entscheidu­ng von 335 gegen 190 Stimmen bei 31 Enthaltung­en kommt nun auch erst zustande, nachdem die Kommission verbindlic­h festgelegt hat, dass ein bestimmtes Sicherheit­szertifika­t nicht dazu genutzt werden kann, unliebsame Webseiten von staatliche­r Seite stillzuleg­en. Die Browser-Anbieter blieben frei darin, eigene Zertifikat­e und Mechanisme­n zu verwenden.

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FOTO: VIRGINIA MAYO/DPA EU-Binnenmark­tkommissar Thierry Breton

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