Was die neue digitale EU-Identität bedeutet
Mit einem individuellen Zertifikat soll sich jeder Europäer nicht nur zweifelsfrei identifizieren, sondern auch Dienstleistungen verlässlicher abrufen können.
Eine Debatte spricht Bände über den Zustand der Digitalisierung in Deutschland. Als im Europäischen Parlament über die digitale Zukunft Europas gerungen wird, in der jeder Bürger künftig eine eigene digitale Brieftasche besitzen wird, um länderübergreifend staatliche und private Dienstleistungen ganz einfach nutzen zu können, da sprechen viele Nationen mit. 16 Redner aus Kroatien, Estland, Belgien, Frankreich, Italien, Rumänien, Tschechien, den Niederlanden, Spanien, Dänemark und Schweden beteiligen sich an der spannenden und teils auch sehr emotional geführten Aussprache. Das größte Land Europas mit den meisten Abgeordneten hält sich raus. Deutschland bleibt an diesem Abend in Straßburg außen vor.
Beinahe mitleidig hat die Chefverhandlerin des Parlaments bei diesem heiklen Dossier darauf verwiesen, dass leider „nicht alle Europäer wirklich Zugang zu modernen öffentlichen Diensten wie in Estland oder Dänemark haben“. Deutschland erwähnt sie höflicherweise nicht. Das soll sich auch in Deutschland ändern, wenn nun die europaweit gültige digitale Identität jedes Bürgers Wirklichkeit wird. Gerade für ein Land, das seine Wirtschaftskraft entscheidend aus dem Handel im EU-Binnenmarkt gewinnt, müsste es eigentlich elektrisierend wirken, wenn der zuständige EU-Kommissar Thierry Breton den finalen Parlamentsbeschluss mit dem Satz kommentiert: „Endlich wird ein integrierter digitaler Binnenmarkt existieren.“Es handele sich um eine einzigartige Möglichkeit, das Leben der europäischen Bürger zu erleichtern.
Dabei betonen er und die Mehrzahl der nachfolgenden Redner, dass die künftige digitale Brieftasche nicht nur kostenlos, sondern auch sicher sein werde. Mit ihr könne jeder Bürger auf seinem
Smartphone seinen Führerschein präsentieren, seinen Pass einsetzen, Rezepte einreichen, sich per Klick an einer Universität einschreiben, ein Darlehen beantragen oder die Steuererklärung abgeben. Und das absolut sicher, wie die Chefverhandlerin des Parlaments, die kroatische Sozialdemokratin Romana Jekovic, am Ende eines mühsamen, dreijährigen Verhandlungsprozesses unterstreicht.
„Wir machen Cybersicherheit per Design“, lautet ihre Formel. Die künftige E-Identität sei so angelegt, dass eine Gefahr erst gar nicht entstehen könne. Im Gegensatz zur bisherigen Praxis von elektronischen Brieftaschen großer Konzerne sei die von der EU vorbereitete Variante nicht in der Lage, das Nutzerverhalten zu analysieren und für kommerzielle Zwecke zu verwenden. „Wir werden kein extensives Daten-Schürfen mehr haben“, sichert Jekovic zu.
Das sehen die Grünen anders. „Der Vorschlag enthält Teile, die missbräuchlich verwendet werden könnten, um unsere Bürger zu überwachen“, macht für sie der Tscheche Mikulas Peksa deutlich. Das könne in Ländern mit Schwierigkeiten bei der Rechtsstaatlichkeit zu einem Problem werden. Auch die Redner der beiden rechtspopulistischen Fraktionen hauen verbal ordentlich drauf.
Genau diese Vorbeugung hat den Prozess in die Länge gezogen. Nach der Grundsatzeinigung im vergangenen Sommer folgte erst Ende des Jahres die detaillierte Verständigung. Doch die Parlamentsentscheidung von 335 gegen 190 Stimmen bei 31 Enthaltungen kommt nun auch erst zustande, nachdem die Kommission verbindlich festgelegt hat, dass ein bestimmtes Sicherheitszertifikat nicht dazu genutzt werden kann, unliebsame Webseiten von staatlicher Seite stillzulegen. Die Browser-Anbieter blieben frei darin, eigene Zertifikate und Mechanismen zu verwenden.