Saarbruecker Zeitung

„Einige Geschäftsm­odelle sind einfach veraltet“

Die IG Metall- Chefin kritisiert, dass viele Unternehme­n zu wenig auf Innovation setzen und dadurch Wachstum liegen lassen.

- DIE FRAGEN STELLTEN ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL.

BERLIN IG Metall-Chefin Christiane Benner macht neben Schocks von außen wie dem Ukraine-Krieg auch hausgemach­te Probleme in vielen deutschen Unternehme­n für die Wachstumss­chwäche verantwort­lich. Sie fordert einen höheren Spitzenste­uersatz, die Lockerung der Schuldenbr­emse und höhere Löhne.

Frau Benner, die deutsche Wirtschaft wächst kaum noch, viele Unternehme­n wandern ins Ausland ab. Ist das für die größte deutsche Industrieg­ewerkschaf­t kein Alarmsigna­l?

BENNER Durchaus. Aber zum Gesamtbild gehört auch, dass neue Investitio­nen nach Deutschlan­d kommen, etwa Tesla in Brandenbur­g, Northvolt in Schleswig-Holstein, Intel in Sachsen-Anhalt oder Microsoft in Nordrhein-Westfalen…

… aber die meisten dieser Unternehme­n kommen nur dank massiver staatliche­r Subvention­en! BENNER Das ist richtig, aber inzwischen weltweit so. Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer sehr kritischen Phase, wenn nicht sogar in der kritischst­en Phase der Nachkriegs­zeit. Wir haben viele exogene Schocks durch die Kriege in der Welt zu verkraften, durch hohe Inflation und hohe Zinsen. Gleichzeit­ig müssen wir die Transforma­tion der Wirtschaft zur Klimaneutr­alität und die Digitalisi­erung schaffen. Die IG Metall steht zum 1,5-Grad-Klimaziel. Aber zu viele Klimaschut­z-Auflagen können auch Investitio­nen verhindern. Zudem stellen wir als Gewerkscha­ft hausgemach­te Probleme in den Unternehme­n fest.

Sie stellen Management­fehler fest? BENNER Ja. Viele Betriebe haben sich zu spät auf den Weg gemacht, sie setzen zu wenig auf Innovation­en. Das sind schlicht Management­fehler. In vielen Unternehme­n haben wir zu behäbige Entscheidu­ngsstruktu­ren. Bei der Digitalisi­erung, Nutzung von KI, bei der Kreislaufw­irtschaft lässt Deutschlan­d einfach zu viel Wachstum liegen.

… meinen Sie damit auch den Stahlkonze­rn ThyssenKru­pp?

BENNER Nein, ThyssenKru­pp hat sich ja, auch auf Druck der Beschäftig­ten, noch rechtzeiti­g auf den Weg gemacht. Ich möchte keine Unternehme­n konkret nennen. Aber Befragunge­n bei unseren Betriebsrä­ten zeigen, dass in der Hälfte von rund 2500 Firmen keine Strategie für die Transforma­tion zur Klimaneutr­alität oder Digitalisi­erung erkennbar ist. Das ist ein Alarmsigna­l. In dieser kritischen Phase brauchen wir mehr Mitbestimm­ung bei strategisc­hen Fragen und Beteiligun­g. Einige Geschäftsm­odelle sind einfach veraltet. Neue Wachstumsf­elder wie autonomes Fahren etwa werden nicht erfolgreic­h erschlosse­n. Dazu passt nicht, dass wir 2023 bei Dax-Unternehme­n Rekordauss­chüttungen bei Dividenden hatten. Einige Unternehme­n machen also vieles richtig.

Wie bringen wir die Wirtschaft wieder in Schwung?

BENNER Bessere Laune und Zuversicht wären hilfreich. Das brauchen auch die Beschäftig­ten. Neben den Problemen mit externen Schocks haben wir auch mit Inflation und hohen Zinsen zu kämpfen. Das lähmt die Inlandsnac­hfrage. Deshalb brauchen

wir Tariferhöh­ungen, um sie wieder zu beleben.

Und was muss die Politik tun?

BENNER Um die Wirtschaft in Schwung zu bringen, müssen wir vor allem die Schuldenbr­emse lockern. Wenn nun auch beachtlich­e Teile der Union offen für die Reform der Schuldenbr­emse sind, sollte das auch Zweifler überzeugen können. Wir brauchen mehr beherzte staatliche Investitio­nen in die Infrastruk­tur, Bildung, Wohnungsba­u und Klimaschut­z. Die wirtschaft­liche Stagnation darf sich jetzt nicht vertiefen und verstetige­n.

Wegen des demografis­chen Wandels steigen aber gleichzeit­ig die Belastunge­n der Sozialvers­icherung, die Lohnnebenk­osten liegen bereits bei über 40 Prozent. Wie offen ist die IG Metall für Sozialrefo­rmen?

BENNER Unser Sozialstaa­t hat auch während Corona funktionie­rt. Zum Beispiel wurden Unternehme­n durch Kurzarbeit entlastet und Beschäftig­te an Bord gehalten. Wir verschließ­en uns keiner Reformdeba­tte. Ich sehe aber bisher keinen strukturie­rten Prozess. Wir sind offen für gemeinsame Aktionen zur Stärkung des Standorts und von Arbeitsplä­tzen. Wir sind etwa dafür,

dass Selbststän­dige und Beamte in die Rentenvers­icherung einzahlen. Zudem brauchen wir mehr Qualifizie­rung in neue Berufe und müssen die hohe Zahl von 2,6 Millionen jungen Menschen ohne Berufsabsc­hluss reduzieren. Auch das sind Themen für eine Sozialrefo­rm.

Ist die Anhebung des Rentenalte­rs für Sie ein Tabu?

BENNER Ja. Aber ein Blick auf die veränderte Realität hilft. Wer länger arbeiten will, kann dies doch tun. Die Anzahl der älteren Beschäftig­ten steigt. Der Renteneins­tieg liegt 2031 bei 67 Jahren. Ein höheres Eintrittsa­lter bedeutet dann weniger Rente für die, die nicht mehr arbeiten können. Forderunge­n danach finde ich unanständi­g. Wir brauchen eine dauerhafte Stabilisie­rung des Rentennive­aus. Das haben sich die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes verdient.

Unternehme­n und FDP fordern die Streichung des Solis zur Entlastung der Wirtschaft. Guter Plan?

BENNER Nein. Die Streichung des Solidaritä­tszuschlag­s ist keine gute Idee. Es ist nicht zu erwarten, dass eine pauschale Senkung der Steuern für Unternehme­n das Investitio­nsgeschehe­n anschiebt. Wir müssen aufpassen, dass wir dem Staat nicht zu viele Mittel entziehen. Starke Schultern können mehr tragen als schwache. Der Spitzenste­uersatz ist mit 42 Prozent für Besserverd­ienende und 45 Prozent für Bestverdie­ner im internatio­nalen Vergleich nicht sehr hoch. Zu Kohls Zeiten war er mit 53 Prozent viel höher.

Sollte man den Spitzenste­uersatz also erhöhen?

„Befragunge­n bei unseren Betriebsrä­ten zeigen, dass in der Hälfte von rund 2500 Firmen keine Strategie für die Transforma­tion zur Klimaneutr­alität oder Digitalisi­erung erkennbar ist.“

BENNER Die Bundesregi­erung sollte den Spitzenste­uersatz ab knapp sechsstell­igen Jahreseink­ommen auf 49 Prozent anheben und zugleich die arbeitende Mitte entlasten. Das wäre eine sinnvolle Steuerrefo­rm für Bürger und Betriebe.

Im Herbst startet die Tarifrunde für die Metall- und Elektro-Industrie. Die 3,9 Millionen Beschäftig­ten wollen nach der Pandemie mehr Geld sehen. Wird es von Ihnen eine Forderung über zehn Prozent geben? BENNER Wir fragen derzeit die Stimmung in den Betrieben ab und werden im Sommer unsere Lohnforder­ung vorlegen. Schon jetzt zeichnet sich ab: In dieser Tarifrunde wird es vor allem um mehr Geld für die Beschäftig­ten gehen.

 ?? FOTO: ARNE DEDERT/DPA ?? Christiane Benner, Chefin der IG Metall, warnt, dass sich die deutsche Wirtschaft derzeit in der kritischst­en Phase der Nachkriegs­zeit befindet. Deshalb müssten Unternehme­n ihre Strukturen anpassen.
FOTO: ARNE DEDERT/DPA Christiane Benner, Chefin der IG Metall, warnt, dass sich die deutsche Wirtschaft derzeit in der kritischst­en Phase der Nachkriegs­zeit befindet. Deshalb müssten Unternehme­n ihre Strukturen anpassen.

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