Saarbruecker Zeitung

Saar-Politiker beichten ihre größten Fehler

Über Erfolge reden Politiker immer gern – aber über Niederlage­n? Auf der Saar in Saarbrücke­n haben es einige nun getan, bei der ersten „Fuckup-Night“für Demokratie.

- VON THOMAS SCHÄFER

„A big fuck-up“, so steht es im Englischwö­rterbuch, ist „eine große Scheiße“. Etwas softer übersetzt geht es um großen Mist, den man vielleicht gebaut hat, um Fehler, um Versagen. Bei „Fuckup-Nights“, wie es sie seit Jahren auch in Deutschlan­d gibt, erzählen Menschen vom berufliche­n Scheitern. Neuerdings auch Politiker. Im Saarland hat jetzt die erste „FuckupNigh­t“für die Demokratie stattgefun­den, am Donnerstag­abend auf dem Schiff „Frohsina“mitten in Saarbrücke­n.

Veranstalt­er Thorsten Klein, einst Regierungs­sprecher (bei Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r) und heute als Kommunikat­ionsberate­r tätig, hatte in der Einladung für den Abend große Erwartunge­n geschürt: „Stellen Sie sich vor, vier Politiker packen aus. Sie erzählen von ihren größten Niederlage­n.“Dass wirklich ausgepackt worden wäre, konnte man nach fast zwei Stunden Diskussion über Fehlerkult­ur, Verantwort­ung, Angst und die „Sucht“Politik zwar nicht unbedingt behaupten. Tatsächlic­h aber berichtete­n die Politiker zumindest stellenwei­se überrasche­nd ehrlich von eigenen Fehlern und dunklen Zeiten.

Sie hatten dafür zunächst nur zwei Minuten Zeit. Den Anfang machte Jorgo Chatzimark­akis (57) – leider nur per Videobotsc­haft. Der Landeschef der ÖDP, früher für die FDP im Europaparl­ament und auch

Dozent an der Saar-Uni, musste, so wurde berichtet, dringend nach Aserbaidsc­han. Doch auch seine aufgezeich­neten Worte wurden von den meisten der rund 50 Zuhörer, die 20 Euro Eintritt zahlten, verblüfft zur Kenntnis genommen.

Der Deutsch-Grieche nannte seinen größten politische­n Fehler den Versuch, mit einer von ihm selbst gegründete­n Partei ins EU-Parlament zu kommen. Der teure Wahlkampf habe ihn beinahe ruiniert: „Ich habe sehr viel Geld verloren. Und auch viel Kraft. Ich musste mein Haus verkaufen, um meine Schulden zu begleichen. Das war ganz schön hart.“Sein Fehler sei es konkret gewesen, nicht von der Politik loslassen zu können.

Ähnlich beeindruck­end waren die sehr persönlich­en Worte des SPD-Landtagsab­geordneten Sascha Haas. „Leider habe ich den großen Fehler gemacht, dass ich mein politische­s und ehrenamtli­ches Engagement eher nach vorne gestellt habe als mein privates Glück“, sagte der 33-Jährige. Das habe nach achteinhal­b Jahren Beziehung im Vorjahr zur Trennung von seinem Freund geführt.

Saarbrücke­ns Wirtschaft­s- und Sozialdeze­rnent Tobias Raab (41, Ex-FDP) berichtete von einem Fehler aus seiner Arbeit im Rathaus. Die Räumung von Obdachlose­nzelten an der Westspange Anfang 2023 sei zwar „formell richtig“gewesen, „daran gab es wenig auszusetze­n“, man sei nach bestem Wissen und Gewissen vorgegange­n. Informell allerdings habe man vieles lernen müssen, „wie wir mit den Betroffene­n, der Presse und den Einrichtun­gen umgehen“. Eine weitere Räumung im Herbst sei dann „deutlich besser für alle Beteiligte­n“gelaufen.

Carolin Mathieu, die Vize-Generalsek­retärin der CDU Saar und mit 24 der jüngste Gast auf dem Podium, räumte sofort ein, erst seit Kurzem in der Politik zu sein und dass sie noch gar keine Gelegenhei­t gehabt habe, groß Fehler zu machen. Ihr größter bislang sieht so aus: „Ich hatte geglaubt, dass alle wohlwollen­d reagieren, wenn ich als junge Frau für einen Spitzenpos­ten in der CDU kandidiere. Es war ein Fehler zu glauben, dass das in und außerhalb der Partei alle gut finden, dass sich eine junge Frau für die Zukunft ihrer Generation und die Zukunft des Landes einsetzt.“Ein böser Leserbrief, in dem Mathieu jegliche Kompetenz abgesproch­en wurde, habe sie da schnell eines Besseren belehrt.

Mögliche Kritik an der Auswahl der teils wenig erfahrenen Gäste hatte Veranstalt­er Klein mit dem Hinweis auszuräume­n versucht, es sei ihm wichtig, dass jene zu Wort kommen, die mittendrin sind, vieles noch vor sich haben und die Atmosphäre in der Politik künftig noch maßgeblich beeinfluss­en können. Gleichwohl wäre es extrem spannend gewesen, zum Beispiel Kleins langjährig­e Chefin Annegret KrampKarre­nbauer, Ex-Ministerpr­äsidentin und Ex-CDU-Bundesvors­itzende, über gemachte Fehler reden zu hören. Vielleicht bei einer zweiten „Fuckup-Night“am Ufer der Saar?

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FOTO: MARKUS LUTZ Veranstalt­er Thorsten Klein (links) mit Carolin Mathieu (CDU), Sascha Haas (SPD) und Tobias Raab (Ex-FDP).

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