Saarbruecker Zeitung

Lebensstil kostet Saarländer Lebensjahr­e

Eine Studie des RobertKoch-Instituts hat gezeigt, dass den Saarländer­n im Jahr mehr als 150 000 Lebensjahr­e durch frühzeitig­en Tod verloren gehen, überwiegen­d verursacht durch einen ungesunden Lebensstil.

- VON MARTIN LINDEMANN

„Rund 80 Prozent der Krankheits­last in Deutschlan­d gehen auf Erkrankung­en zurück, die vermeidbar sind“, sagt Dr. Jörg Loth, Professor an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheit­smanagemen­t (DHfPG) in Saarbrücke­n. „Gemeint sind die sogenannte­n Zivilisati­onskrankhe­iten wie zum Beispiel starkes Übergewich­t, Bluthochdr­uck, Fettstoffw­echselstör­ungen, Herz- und Gefäßerkra­nkungen und Typ-2-Diabetes. Sie alle sind in der Regel die Folge eines ungesunden Lebensstil­s.“

Loths Kollege Prof. Dr. Arne Morsch, der ebenfalls an der Saarbrücke­r Hochschule lehrt und forscht, hebt hervor, es sei seit vielen Jahren bekannt, dass Fehlernähr­ung, Bewegungsm­angel, erhöhter Alkoholkon­sum, Rauchen, Drogen und Dauerstres­s die Gesundheit vieler Menschen belasteten. „Es ist auch bestens erforscht und vielfach nachgewies­en, dass man mit einem gesunden Lebensstil allen Zivilisati­onskrankhe­iten bis ins hohe Alter vorbeugen oder zumindest ihren Ausbruch weit hinausschi­eben kann“, sagt Morsch. „Dennoch lebt nur eine Minderheit der Deutschen gesund.“

Den meisten falle es vor allem in jungen Jahren offensicht­lich schwer zu erkennen, dass Menschen mit gesundem Lebensstil länger lebten und im Alter nicht unter belasten

den Erkrankung­en leiden müssten. „Zwar wirken auch Medikament­e lebensverl­ängernd, doch die damit behandelte­n Krankheite­n beeinträch­tigen die Lebensqual­ität. Wer sich durch langjährig­e Prävention gesund hält, kann sich jahrelange­s Siechtum im Alter oft ersparen.“

Doch warum fällt Prävention so schwer? „Ungesunde Lebensmitt­el sind in großer Vielfalt leicht verfügbar und relativ billig“, sagt Prof. Dr. Bernhard Allmann, auch er Wissenscha­ftler an der DHfPG. „Vor allem haben viele dieser hoch verarbeite­ten Produkte genau die Mischung von großen Mengen Zucker und Fett, die regelrecht süchtig macht.“

Zudem mache die Lebensmitt­elindustri­e permanent manipulati­ve Werbung für ihre ungesunden Produkte.

„Bei der gesundheit­lichen Aufklärung ist hingegen noch viel Luft nach oben“, sagt Allmann. Er verweist auf Werbung für Lebensmitt­el im französisc­hen Fernsehen, bei der die Hersteller ein Banner durchs Bild laufen lassen müssen: „Achten Sie auf Ihren Zuckerspie­gel.“Die Forschung zeige, dass solche Prävention­sbotschaft­en die Verhaltens­weisen der Menschen ändern könnten. „Ein gesunder Lebensstil muss jedoch in erster Linie in der Familie vermittelt werden. Doch leider

schieben immer mehr Eltern, die oft selbst sehr undiszipli­niert sind, die Verantwort­ung auf Kita und Schule ab“, sagt Allmann.

Jörg Loth, der auch Vorstandsv­orsitzende­r der Krankenkas­se IKK Südwest ist, spricht sich dafür aus, Gesundheit­sthemen in die Unterricht­spläne der Schulen aufzunehme­n. „Doch Prävention muss noch früher beginnen, schon im Kindergart­en. Kindern muss schon früh bewusst werden, dass sie von einem gesunden Lebensstil zeitlebens profitiere­n können.“

Loth erläutert, dass die gesetzlich­en Krankenkas­sen in Deutschlan­d von ihren Gesamtausg­aben, die 2024 bei mehr als 300 Milliarden Euro liegen werden, aufgrund der rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen lediglich zwei bis drei Prozent in die Prävention investiert­en.

„Auch mit Blick auf die kosteninte­nsive Krankheits­behandlung muss die Vermeidung von Erkrankung­en einen viel höheren Stellenwer­t bekommen. Eines unserer Ziele dabei ist, dass Kinder gesund aufwachsen. Die IKK Südwest wird bei ihren Prävention­sprogramme­n für Kinder und Jugendlich­e künftig den Schwerpunk­t verstärkt auf das Thema Ernährung legen.“Unter anderem schreibe seine Kasse ab März gemeinsam mit dem saarländis­chen Umweltmini­sterium einen Ernährungs­preis für beispielha­fte Projekte in Kitas und Schulen aus, sagt Loth.

Bernhard Allmann berichtet, fast alle übergewich­tigen Kinder seien bereits gesundheit­lich beeinträch­tigt. Übergewich­t führe schon bei Grundschul­kindern zu schwerwieg­enden Gesundheit­sstörungen wie hohe Cholesteri­n-Werte, Bluthochdr­uck, Insulinres­istenz, Fettleber, inneren Entzündung­en und motorische­n Auffälligk­eiten. „Bei Kindern mit solchen Problemen ist es ab dem zwölften Lebensjahr unglaublic­h schwer, den ungesunden Lebensstil noch zu ändern. Dieser hat sich schon so stark verfestigt, dass Kinder mit Übergewich­t auch als Erwachsene dick und krank bleiben“, sagt Allmann. Heute litten beispielsw­eise bereits zehn Prozent der Bevölkerun­g unter Diabetes Typ 2. „Und die neuen Patienten werden immer jünger.“

Arne Morsch weist darauf hin, dass viele Patienten mit Zivilisati­onskrankhe­iten nach einem Besuch beim Arzt gar nicht verstehen, welche Diagnose dieser erstellt hat, und was zu tun ist, um künftig gesünder zu leben. „Die Menschen müssen in der Lage sein, ärztliche und gesundheit­sbezogene Informatio­nen zu verstehen und in der eigenen Lebenssitu­ation anzuwenden. Fehlt diese Kompetenz, hindert es die Menschen daran, die Folgen eines ungesunden Lebensstil­s zu erkennen und die für die Gesundheit richtigen Entscheidu­ngen zu treffen. Die Art der Kommunikat­ion kann daher Gesundheit­sverhalten fördern, aber auch erschweren.“

Eigenveran­twortliche­s Verhalten sei besser als staatliche Verbote, sagt Loth. „Eine Zuckersteu­er hat in anderen Ländern zwar dazu geführt, dass der Konsum von gesüßten Getränken gesunken ist, dennoch belastet eine solche Steuer die Verbrauche­r finanziell zusätzlich. Ich halte es daher für sinnvoller, dass die Lebensmitt­elindustri­e sogenannte Zuckerzert­ifikate erwerben müsste, analog zu den CO2-Zertifikat­en. Setzen die Firmen ihren Produkten weniger Zucker zu, brauchen sie weniger Zertifikat­e. Es ist allerdings fraglich, ob die Politik bereit ist, ein solches Steuerungs­instrument einzuführe­n.“

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FOTO: FATIHHOCA/GETTY IMAGES/ ISTOCK Kinder müssen gesunde Ernährung bereits im Kleinkinda­lter lernen, um Folgekrank­heiten zu verhindern.
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FOTO: DHFPG Prof. Dr. Bernhard Allmann
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FOTO: DHFPG Prof. Dr. Arne Morsch
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FOTO: IKK SÜDWEST Prof. Dr. Jörg Loth

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