Lebensstil kostet Saarländer Lebensjahre
Eine Studie des RobertKoch-Instituts hat gezeigt, dass den Saarländern im Jahr mehr als 150 000 Lebensjahre durch frühzeitigen Tod verloren gehen, überwiegend verursacht durch einen ungesunden Lebensstil.
„Rund 80 Prozent der Krankheitslast in Deutschland gehen auf Erkrankungen zurück, die vermeidbar sind“, sagt Dr. Jörg Loth, Professor an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) in Saarbrücken. „Gemeint sind die sogenannten Zivilisationskrankheiten wie zum Beispiel starkes Übergewicht, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Herz- und Gefäßerkrankungen und Typ-2-Diabetes. Sie alle sind in der Regel die Folge eines ungesunden Lebensstils.“
Loths Kollege Prof. Dr. Arne Morsch, der ebenfalls an der Saarbrücker Hochschule lehrt und forscht, hebt hervor, es sei seit vielen Jahren bekannt, dass Fehlernährung, Bewegungsmangel, erhöhter Alkoholkonsum, Rauchen, Drogen und Dauerstress die Gesundheit vieler Menschen belasteten. „Es ist auch bestens erforscht und vielfach nachgewiesen, dass man mit einem gesunden Lebensstil allen Zivilisationskrankheiten bis ins hohe Alter vorbeugen oder zumindest ihren Ausbruch weit hinausschieben kann“, sagt Morsch. „Dennoch lebt nur eine Minderheit der Deutschen gesund.“
Den meisten falle es vor allem in jungen Jahren offensichtlich schwer zu erkennen, dass Menschen mit gesundem Lebensstil länger lebten und im Alter nicht unter belasten
den Erkrankungen leiden müssten. „Zwar wirken auch Medikamente lebensverlängernd, doch die damit behandelten Krankheiten beeinträchtigen die Lebensqualität. Wer sich durch langjährige Prävention gesund hält, kann sich jahrelanges Siechtum im Alter oft ersparen.“
Doch warum fällt Prävention so schwer? „Ungesunde Lebensmittel sind in großer Vielfalt leicht verfügbar und relativ billig“, sagt Prof. Dr. Bernhard Allmann, auch er Wissenschaftler an der DHfPG. „Vor allem haben viele dieser hoch verarbeiteten Produkte genau die Mischung von großen Mengen Zucker und Fett, die regelrecht süchtig macht.“
Zudem mache die Lebensmittelindustrie permanent manipulative Werbung für ihre ungesunden Produkte.
„Bei der gesundheitlichen Aufklärung ist hingegen noch viel Luft nach oben“, sagt Allmann. Er verweist auf Werbung für Lebensmittel im französischen Fernsehen, bei der die Hersteller ein Banner durchs Bild laufen lassen müssen: „Achten Sie auf Ihren Zuckerspiegel.“Die Forschung zeige, dass solche Präventionsbotschaften die Verhaltensweisen der Menschen ändern könnten. „Ein gesunder Lebensstil muss jedoch in erster Linie in der Familie vermittelt werden. Doch leider
schieben immer mehr Eltern, die oft selbst sehr undiszipliniert sind, die Verantwortung auf Kita und Schule ab“, sagt Allmann.
Jörg Loth, der auch Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse IKK Südwest ist, spricht sich dafür aus, Gesundheitsthemen in die Unterrichtspläne der Schulen aufzunehmen. „Doch Prävention muss noch früher beginnen, schon im Kindergarten. Kindern muss schon früh bewusst werden, dass sie von einem gesunden Lebensstil zeitlebens profitieren können.“
Loth erläutert, dass die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland von ihren Gesamtausgaben, die 2024 bei mehr als 300 Milliarden Euro liegen werden, aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen lediglich zwei bis drei Prozent in die Prävention investierten.
„Auch mit Blick auf die kostenintensive Krankheitsbehandlung muss die Vermeidung von Erkrankungen einen viel höheren Stellenwert bekommen. Eines unserer Ziele dabei ist, dass Kinder gesund aufwachsen. Die IKK Südwest wird bei ihren Präventionsprogrammen für Kinder und Jugendliche künftig den Schwerpunkt verstärkt auf das Thema Ernährung legen.“Unter anderem schreibe seine Kasse ab März gemeinsam mit dem saarländischen Umweltministerium einen Ernährungspreis für beispielhafte Projekte in Kitas und Schulen aus, sagt Loth.
Bernhard Allmann berichtet, fast alle übergewichtigen Kinder seien bereits gesundheitlich beeinträchtigt. Übergewicht führe schon bei Grundschulkindern zu schwerwiegenden Gesundheitsstörungen wie hohe Cholesterin-Werte, Bluthochdruck, Insulinresistenz, Fettleber, inneren Entzündungen und motorischen Auffälligkeiten. „Bei Kindern mit solchen Problemen ist es ab dem zwölften Lebensjahr unglaublich schwer, den ungesunden Lebensstil noch zu ändern. Dieser hat sich schon so stark verfestigt, dass Kinder mit Übergewicht auch als Erwachsene dick und krank bleiben“, sagt Allmann. Heute litten beispielsweise bereits zehn Prozent der Bevölkerung unter Diabetes Typ 2. „Und die neuen Patienten werden immer jünger.“
Arne Morsch weist darauf hin, dass viele Patienten mit Zivilisationskrankheiten nach einem Besuch beim Arzt gar nicht verstehen, welche Diagnose dieser erstellt hat, und was zu tun ist, um künftig gesünder zu leben. „Die Menschen müssen in der Lage sein, ärztliche und gesundheitsbezogene Informationen zu verstehen und in der eigenen Lebenssituation anzuwenden. Fehlt diese Kompetenz, hindert es die Menschen daran, die Folgen eines ungesunden Lebensstils zu erkennen und die für die Gesundheit richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Art der Kommunikation kann daher Gesundheitsverhalten fördern, aber auch erschweren.“
Eigenverantwortliches Verhalten sei besser als staatliche Verbote, sagt Loth. „Eine Zuckersteuer hat in anderen Ländern zwar dazu geführt, dass der Konsum von gesüßten Getränken gesunken ist, dennoch belastet eine solche Steuer die Verbraucher finanziell zusätzlich. Ich halte es daher für sinnvoller, dass die Lebensmittelindustrie sogenannte Zuckerzertifikate erwerben müsste, analog zu den CO2-Zertifikaten. Setzen die Firmen ihren Produkten weniger Zucker zu, brauchen sie weniger Zertifikate. Es ist allerdings fraglich, ob die Politik bereit ist, ein solches Steuerungsinstrument einzuführen.“