Im Fall Benfares wächst bei Doping-Experte Sörgel die Wut
Der Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg ist erschüttert über die aktuellen Entwicklungen.
Professor Fritz Sörgel hatte von Beginn an Zweifel. Zweifel an der Erklärung, dass eine Krebserkrankung bei Sara Benfares und ihre anschließende Behandlung Grund für den positiven Dopingtest auf Epo und Testosteron sind. Zweifel, die durch den positiven Test auf Epo bei Schwester Sofia nicht nur verstärkt wurden. Inzwischen wächst bei dem renommierten Doping-Experten die Wut auf die beiden Mittelstreckenläuferinnen.
„Mein erster Gedanke, als ich vom positiven Test bei Sofia Benfares, erfahren habe? Dass sich dort durch die Kontakte des Vaters Samir Benfares offenbar eine Gruppe gebildet hat, die im Doping aktiv ist und auch die Möglichkeiten hat, überhaupt an Dopingmittel wie Epo zu kommen“, sagt Sörgel, der seit Langem zum Thema Doping forscht. Es sei nicht möglich, „einfach mal in eine Apotheke zu gehen und sich Dopingmittel zu besorgen“. Zudem ergeben sich für den 73-Jährigen aus dieser neuen Sachlage heraus eine Reihe weiterer Fragezeichen, was die mögliche Krebserkrankung von Sara Benfares betrifft.
„Es wirft für mich ganz schlimme Fragen auf, wie diese Erklärung zustande gekommen ist, dass Sara Benfares an Knochenkrebs leidet“, betont der Doping-Fachmann. Zum einen geht es für Sörgel darum, ob es dabei tatsächlich Ärzte gegeben hat, die möglicherweise falsche Untersuchungsergebnisse attestiert haben. Samir Benfares hatte in einem Interview mit dem französischen Doping-Portal Spe15 beispielsweise von einem Hämatokritwert von 27 gesprochen, der bei seiner Tochter festgestellt worden sein soll. Diesen Wert hatte der Mediziner Sörgel bereits zuvor als „alarmierend“bezeichnet. Der Hämatokritwert gibt bei einem Menschen die Anzahl der roten Blutkörperchen im Blut an.
„Es gilt zu klären, ob der Vater diese Untersuchungsergebnisse möglicherweise einfach erfunden hat, ob dabei Ärzte eine Rolle gespielt haben und wo diese Diagnose Knochenkrebs gestellt worden ist“, fügt der Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg hinzu. So hatte Vater Benfares gegenüber Spe15 angegeben, er habe an einer Anhörung bei der Nationalen-Anti-Doping-Agentur (NADA) im Fall Sara Benfares in Begleitung eines deutschen Arztes teilgenommen. Aufgrund der neuen Erkenntnisse müsse man diese Geschichte jetzt vor einem „potenziell kriminellen Hintergrund“betrachten, hält Sörgel fest. Gab es Ärzte, die der Familie Benfares geholfen haben, eine Erkrankung vorzutäuschen? Diese offenen Fragen erfordern Sörgels Auffassung nach weitere behördliche Ermittlungen, um den Fall auch über eine mögliche Doping-Sperre der Schwestern hinaus aufzuklären.
Diesbezüglich ist nach seiner Einschätzung damit zu rechnen, dass auf Sara und Sofia Benfares jeweils eine Sperre von vier Jahren zukommt. „Wenn ein Doping-Test nicht widerlegt oder plausibel erklärt werden kann, dann erfolgt automatisch eine vierjährige Sperre“, sagt er. Mildernde Umstände, die möglicherweise eine geringere
Sperre nach sich ziehen könnten, sind für Fritz Sörgel derzeit nicht erkennbar. Vor allem dann nicht, „wenn die Geschichte Knochenkrebs nicht stimmen sollte“.
Sollte dies zutreffen, kommt für den Mediziner auch eine ethischmoralische Komponente hinzu. „Es wäre ein Schlag ins Gesicht eines jeden Menschen, der an Knochenkrebs erkrankt ist, wenn dies alles erfunden sein sollte. Das wäre moralisch als absolut verwerflich zu bezeichnen. Was müssen Knochenkrebs-Patienten denken, die an starken Schmerzen leiden, wenn ihre schwere Krankheit geradezu trivialisiert wird, weil man sie leicht für einen Betrug verwenden kann? Da kommt Wut in mir auf.“