Eine Reise hinter den Horizont
Wo die Geister der Südsee heute noch Respekt und Ehrfurcht verbreiten. Und Touristen zu Stützen uralter Traditionen werden.
Ruhig brummt die Maschine vom Typ Dash 8-200 über das dichte Grün des Regenwaldes hinweg, so niedrig, dass die Passagiere, knapp 30 sind an Bord, das Gefühl haben, die Wipfel der Urwaldbäume berühren zu können. Das Flugzeug folgt dem Lauf des Sepik-Stroms, des größten auf der fernen Insel Neuguinea. Wenige Flüsse auf der Erde mäandern so kurvenreich wie dieser, der zwar insgesamt mehr als 1100 Kilometer zurücklegt, aber in der Luftlinie von der Quelle bis zur Mündung gerade mal 400 Kilometer misst.
Vor dieser Mündung waren wir mit unserem Expeditionsschiff vor Anker gelegen. Auslegerboote hatten um uns herum gewieselt, braune Hände hatten uns Früchte und Schnitzereien entgegengestreckt, Szenen wie aus alten Reisebüchern. Ein paar Tage später dann die holprige Landung auf der schlammigbraunen Piste des kleinen Flughafens von Goroka, der Weg durch eine Ankunftshalle im Hüttenformat. Wir schauen in bunt bemalte Gesichter, sehen Krieger mit breitem Nasenschmuck und Federn im Haar. Kein Touristenamt hat diese Männer geschickt, es sind Hochland-Bewohner, die auf die nächste Maschine warten, unterwegs ins Landesinnere, noch tiefer hinein ins Herz der Finsternis.
Mythos Neuguinea, nach Grönland die zweitgrößte Insel der Erde, 800 verschiedene Stämme und Sprachen, noch viel mehr Sitten und Landschaften, die der Urzeit oftmals
näher sind als unserer Fantasie. Diese Insel, zweigeteilt, ist noch immer eine der am wenigsten erforschten Regionen der Erde. Der kleinere Teil, West-Papua, früher Irian Jaya genannt, gehört zu Indonesien. Immer wieder kommt es dort zu teilweise gewaltsamen Bestrebungen der Einheimischen, einen Anschluss an den Nachbarstaat Papua Niugini zu erzwingen. So nennen die Einheimischen in ihrer Lingua franca, einer Art Pidgin-Englisch, ihr Land, das erst seit 1975 souverän ist, von Australien unterstützt.
Goroka, an der Grenze zwischen Zivilisation und Steinzeit, ist ein beliebter Ausgangspunkt für eines der letzten Abenteuer der Welt. Langsam rumpelt der Geländewagen über einen lückenhaft asphaltierten Pfad durch dichten Urwald, den Wolken immer näher, bis ins Dorf der Asaro, sieben Familien, zusammen 70 Einwohner. Ein sonnendurchglühter Platz im Zentrum der Siedlung. Ein älterer Mann, den Körper weiß geschlämmt, auf dem Kopf eine Maske aus Lehm, führt ein Kind an der Hand, das in ähnlichem
Outfit daherkommt. Der Alte bringt dem Jungen bei, wie sich Feuer durch das Reiben eines Stöckchens entzünden lässt. Grauweißer Rauch steigt auf. Dann treten immer mehr „Schlamm-Menschen“auf, Messer und Knüppel schwingend. So sollen der Überlieferung zufolge die Männer dieses Stammes einst verfeindete Nachbarn erschreckt und in die Flucht getrieben haben.
Ortswechsel: Stippvisite im Hafen von Wewak an der Nordküste. Tänzer und Trommler, geschmückt mit den Federn des Paradiesvogels, ge
ben sich in ihrer Begeisterung über die Besucher ekstatischen Freudentänzen hin. Solche Szenen lieben die Touristen, solche Begegnungen haben sie erwartet. Sie erinnern an die Legenden von Kopfjägern, an die Geschichten über Völker, die erst vor ein paar Jahrzehnten tief im Dschungel entdeckt worden sind. Und nicht selten überfordern die Eindrücke aus dieser fernen Welt alle Sinne: Hautschmuck, der die selbst die an Tattoos gewöhnten Gäste schockt, Gesänge, deren schrille Töne sich aber nicht nur der Abschreckung, sondern vielmehr auch der Liebe, der Freude und dem Heldenmut widmen.
Müssen die Kurzzeit-Besucher ein schlechtes Gewissen haben, wenn ihnen die Trommler von Wewak oder die Schlammmänner bei Goroka etwas vorspielen, was auch bei ihnen, den indigenen Völkern, zur Vergangenheit gehört? Werden da
Klischees verfestigt, die nicht mehr in die Zeit passen? Dazu sagt die Ethnologin Dr. Antje Kelm, ehemalige Leiterin der Südsee-Abteilung im Hamburger Völkerkundemuseum: „Wenn sich authentisches Brauchtum in den Heimatdörfern der Stämme nicht zuletzt deshalb bewahren lässt, weil von Zeit zu Zeit Touristen kommen, ist das für beide Seiten positiv zu bewerten. Wichtig ist eine gute Vorbereitung der Besucher durch Reiseleiter und seriöse Literatur. Niemals aber dürfen solche uralten und oftmals heiligen Riten zur würdelosen Show verkommen.“
Einen solchen Eindruck hat an diesem Tag, im Dorf Asaro, im Hochland von Papua-Neuguinea, niemand, der den Schlammmännern zuschaut.