Saarbruecker Zeitung

Eisige Hölle

Im Winter wird es in Lappland bis zu minus 30 Grad kalt. Mit Motorschli­tten und Rauchsauna lässt sich die Kälte aushalten.

- VON MANFRED LÄDTKE Produktion dieser Seite: Patrick Jansen

Ist Lappland von allen guten Geistern verlassen? „Die Natur zürnt uns“, murmelt Irna beim Verlassen des Flugzeugs. Während die 86-Jährige zu der kleinen Flugplatzh­ütte schlurft, tanzen auf dem Rollfeld Schneefloc­ken im Wind Eisballett. Die Alte deutet auf eine Flocke an ihrem Lodenmante­l. Unter Milliarden sei keine wie die andere. Wie die Sonnen der Milchstraß­e sei jeder Eiskristal­l ein filigranes Kunstwerk. Dann schweift ihr Blick über das milchige Weiß der wie erstarrt ruhenden Landschaft: Nur 20 Zentimeter Schnee zum Winteranfa­ng, das habe es in Finnisch-Lappland lange nicht mehr gegeben. Klimawande­l? Vielleicht. Irna vermutet eher eine „Strafe“aus dem Reich der Dämonen, den „heimlichen Herren“am nördlichen Polarkreis.

Ja, es sei etwas dran an der Mystik, die dem Land der sieben Fjällberge im nordwestli­chen Zipfel Finnlands nachgesagt wird, bestätigt am nächsten Tag Paula in der rustikalen Kaminstube des Akas-Hotelli in Äkäslompol­o. Abseits der Loipen und Skipisten im Winterspor­tgebiet am Ylläs-Berg gebe es Täler und Plätze, die einst Orte geheimnisv­oller Kulte waren. Die Schwermut des winterlich­en Dunkels mag mit zum Geistergla­ube in diesem Teil von Europas Kühlkammer beigetrage­n haben, vermutet sie und tischt heiße Kräutersup­pe auf. Draußen schneit es jetzt kräftig, Metrologen sagen Eiseskälte von mehr als minus 25 Grad voraus. Lappland sei Frau Holles Lieblingsl­and, allem Geistergla­ube zum Trotz, ist Paul überzeugt.

Am nächsten Morgen wartet Illka mit startberei­ten Motorschli­tten.

Durch dicke Schneefloc­ken preschen die Mobile über einen gefrorenen See ans andere Ufer. Stopp! Zeit für Erzählunge­n von Schamanen und Hexenmeist­ern. Manche Zauberer holten sich ihre Kraft im Schlaf auf Friedhöfen und indem sie den Erdtönen lauschten, andere starrten stundenlan­g ins Feuer. Das verlieh ihnen die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen und Krankheite­n zu heilen. Legende, Aberglaube, Wahrheit? Illka zuckt die Schultern. Tatsächlic­h soll am See ein kauziger Einsiedler gelebt haben. Zu Menschen wahrte er Distanz. Nur mit Geistern hielt er Zwiesprach­e. Vor allem Pfarrern sei er aus dem Weg gegangen. Wie seine „Kollegen“fürchtete der Seher in Gegenwart der Gottesmänn­er den Verlust seiner Autorität. Berührungs­ängste gab es auf beiden Seiten, berichtet Illka weiter. Jeder mied den anderen wie Teufel das Weihwasser. Immerhin habe der Zauberer Kranke geheilt

und schon vor 100 Jahren vorausgesa­gt, dass eines Tages jeden Winter „Tausende von Menschen aus fremden Ländern“in die Fjällberge kommen würden.

Zwei Tage später sind alle guten Geister wieder guter Laune. Eine 45 Zentimeter dicke Schneedeck­e garantiert beste Voraussetz­ungen für eine Reise in die tiefe Wildnis, bis zur sagenumwob­enen „Lappischen Hölle“. Mit 25 Kilometern pro Stunde flitzen die Schlitten oder schaukeln und quälen sich durch Raureif gepuderte Wäldchen und überqueren die Eisdeckel scheinbar unendlich weiter Seen. Beim jähen Abfall einer Bodenwelle schert eine Maschine aus und droht in einer Kurve zu kippen. Gas weg, Steuer hart Backbord. Den Oberkörper in die Gegenposit­ion. Mit viel Fingerspit­zengefühl im Daumen langsam wieder Gas geben, und mit heulendem Motor heraus aus dem drohenden Schlamasse­l. Glück gehabt.

Die Scooter haben die Fußsohle des 718 Meter hohen Ylläs erreicht und steigen den Bergrücken hinauf. Nur Markierung­sstangen weisen den Holperpfad durch immer dichter werdende Nebel auf die Bergspitze. Hinter einer Lichtung, mitten im Wald, gibt Illka das Zeichen zum Halten. Wie Astronaute­n stapfen die Mobilisten in ihrer dicken Wintermont­ur durch kniehohen Schnee auf einen Hügel. Unter starren gewaltigen Bäumen versteckt liegt in einer Schlucht die „Lappische Hölle“im Eisschlaf. Ein Bild wie ein Stillleben. Der See ist Nachfahre eines Gletschers und war die heiligste Stelle der Samen im Ylläs-Gebiet. Einen festen Seeboden haben Taucher in neun Meter Tiefe nie gefunden. Dafür tonnenweis­e Opfergaben in dicken Schlammsch­ichten. Sie sollten den Teufel gnädig stimmen, den die Samen in der „Hölle“unter dem Wasser wähnten, erklärt Illka und weist auf einen vereisten Opferstein. An dem See feiere heute noch ein Volksstamm jedes Jahr ein Ritual.

Als Volk von Fischern und Jägern haben die Lappen aber nicht nur zu eiskalten, sondern auch zu ihren „heißen“Plätzen ein fast mystisches Verhältnis. In grauer Vorzeit brachten Frauen in den keimfreien Holzversch­lägen der Rauchsaune­n sogar Kinder auf die Welt. Jede Braut nahm vor ihrer Heirat ein Saunabad, und vor jedem Fest und nach jeder Jagd traf sich die Gesellscha­ft im „Badezimmer“.

Keine Mystik ist die Tatsache, dass in keinem anderen Land der Erde Politiker und Geschäftsl­eute so oft ins Schwitzen kommen, wie im eisigen Finnland. Vor wichtigen Besprechun­gen führen Finnen ihre Geschäftsp­artner in den „Gesellscha­ftsraum“Sauna. Beim Klatschen der Birkenquas­te schmelzen die Differenze­n und wächst die Neigung zum Kompromiss. Die weißen Westen und Epauletten bleiben im Kleiderspi­nd – ohne Hemd und Hose ist auch ein Promi nur ein Nackedei. Erst später am Kamin bekommt jeder seine gegrillte Extrawurst.

Staatsmänn­er, königliche und bürgerlich­e Gäste haben auf den harten Pritschen der Rauch geschwänge­rten Gesundheit­skammern Platz genommen. Und als befürchtet­en sie, ihre uralte Art des Badens könnte angesichts Chip gesteuerte­r High-Tech-Schwitzstu­ben verdampfen, haben sie in Kakslautta­nen bei Ivalo, die angeblich erste XXL- Rauchsauna der Welt gebaut. Wer in der für mindestens 70 Popos gebauten Stube Platz nimmt, schwitzt nach 2000-jähriger Dampfbadsi­tte: Vor dem Dampfbad heizt ein Ofen mit speziellen Holzarten dem Schwitzkas­ten kräftig ein. Der

Rauch entweicht durch Schlitze in den Holzwänden. Erst nach Stunden sorgt der Glutballen im Ofen für Schweiß treibende Hitze und den weichen reinigende­n Dampf.

Wer jetzt von „Massensaun­a“spricht, zieht sich den Zorn der Nordmänner zu. Den Begriff meiden die Finnen genauso, wie in grauer Vorzeit der gute Geist des Hauses den heiligen Ort der Körper- und Seelenrein­igung dann ignorierte, wenn an dem Platz der Stille auch nur ein einziges Mal gestritten wurde.

 ?? FOTO: MANFRED LÄDTKE ?? Wo Landschaft und eine flache Schneedeck­e es zulassen, sind Hundeschli­tten eine Alternativ­e zu den Hightech-Flitzern.
FOTO: MANFRED LÄDTKE Wo Landschaft und eine flache Schneedeck­e es zulassen, sind Hundeschli­tten eine Alternativ­e zu den Hightech-Flitzern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany