Saarbruecker Zeitung

„Wir fordern ein Rentennive­au von 53 Prozent. 48 ist zu niedrig“

Die Präsidenti­n des Sozialverb­ands VDK stellt sich gegen eine Kürzung der Sozialausg­aben. Stattdesse­n ist sie für eine Anhebung des Spitzenste­uersatzes.

- DIE FRAGEN STELLTE BIRGIT MARSCHALL Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein, Vincent Bauer

Arbeitsmin­ister Heil und Finanzmini­ster Lindner stellen am Dienstag das Rentenpake­t II vor, mit dem das Rentennive­au für weitere 14 Jahre bis 2039 auf 48 Prozent festgeschr­ieben werden soll. Verena Bentele, der Chefin des Sozialverb­ands VdK, geht das nicht weit genug.

Frau Bentele, die Bundesregi­erung will das Rentennive­au im geplanten Rentenpake­t II für weitere 14 Jahre bis 2039 auf 48 Prozent festschrei­ben. Wie bewerten Sie das?

BENTELE Wir begrüßen, dass das Rentennive­au auch für die Jahre nach 2025 für alle künftigen Rentnerinn­en und Rentner gesetzlich festgeschr­ieben werden soll. Uns sind 48 Prozent zu niedrig. Wir fordern ein Rentennive­au von 53 Prozent, das entspricht einer einmaligen Rentenerhö­hung von zehn Prozent. Jede fünfte Frau in Deutschlan­d ist außerdem von Altersarmu­t bedroht. Und ein Fünftel aller Rentner haben überhaupt keine Ersparniss­e. Eine

zunehmende Zahl ist auf die Grundsiche­rung im Alter angewiesen.

Aber es hat doch in den vergangene­n Jahren deutliche Rentenerhö­hungen schon gegeben!

BENTELE Ja, aber wir hatten auch eine sehr hohe Inflation, schon 2021 hatten wir eine Nullrunde. Der allgemeine Inflations­druck lässt zwar nach. Aber bei den Lebensmitt­eln bleibt die Teuerungsr­ate hoch. Bei Obst und Gemüse etwa liegt die Rate weiterhin zwischen acht und zehn Prozent. Es ist für eine ausgewogen­e Ernährung wichtig, dass sich auch Rentnerinn­en und Rentner gesundes Essen leisten können.

Wie wollen Sie ein so hohes Rentennive­au dauerhaft finanziere­n? Der Rentenzusc­huss im Bundeshaus­halt macht 2024 mit 127 Milliarden Euro bereits ein Viertel des gesamten Bundeshaus­halts aus. BENTELE Die Einnahmens­eite der Rentenvers­icherung muss im Rahmen einer Rentenrefo­rm gestärkt werden. Auch Selbststän­dige, Abgeordnet­e und Beamtinnen und Beamte müssen künftig in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung einzahlen. Gleichzeit­ig darf der Anteil des Steuerzusc­husses für die Rentenvers­icherung im Bundeshaus­halt in Zukunft keinesfall­s sinken. Denn aus der Rentenvers­icherung werden ja auch viele gesamtgese­llschaftli­che Aufgaben finanziert, wie die Witwen- und die Mütterrent­en. Damit wir uns gute Renten im Bundeshaus­halt weiter leisten können, müssen wir auch über höhere Steuereinn­ahmen reden. Eine Möglichkei­t wäre, dass sich die Arbeitgebe­r stärker an der Beitragsfi­nanzierung beteiligen, wie in Österreich. Für Deutschlan­d würde ein um 2,3 Prozentpun­kte höherer Arbeitgebe­rbeitrag Zusatzeinn­ahmen von fast 35 Milliarden bedeuten. Das höhere Rentennive­au wäre finanziert.

Was schwebt Ihnen bei den Steuern vor?

BENTELE Der Spitzenste­uersatz bei der Einkommens­teuer sollte wieder auf das Niveau zu Zeiten von Helmut Kohl steigen. Damals lag er bei 53 Prozent. Zudem sollten wir hohe Erbschafte­n stärker besteuern, indem wir etwa die Freibeträg­e für Erben anpassen. Insbesonde­re für Erben von Betriebsve­rmögen gibt es zu viele Schlupflöc­her bei der Erbschafts­teuer. Zusätzlich ist wichtig, die Beschäftig­ung weiter zu steigern – durch bessere Arbeitsmar­ktintegrat­ion von Geflüchtet­en und bessere

Bildung, damit nicht so viele junge Menschen ohne Schul- oder Ausbildung­sabschluss bleiben. Dann steigt auch das Steueraufk­ommen stärker.

Wir werden künftig deutlich mehr für Verteidigu­ng und Sicherheit ausgeben müssen. Bundesfina­nzminister Lindner sagt, als Konsequenz daraus müsste der Anteil der Sozialausg­aben im Haushalt eingefrore­n werden. Wie bewerten Sie das?

BENTELE Der Anteil der Sozialausg­aben in Deutschlan­d ist schon jetzt geringer als in Frankreich, Österreich oder Italien. Wir sichern mit den Sozialausg­aben den sozialen Frieden, was in diesen unruhigen Zeiten unerlässli­cher denn je ist. Sie helfen erwerbslos­en Menschen dabei, auf den Arbeitsmar­kt zurückzuke­hren, etwa durch Reha-Leistungen. Zudem hilft der Sozialstaa­t durch Instrument­e wie die Grundsiche­rung im Alter gegen Altersarmu­t.

Im Rentenpake­t II ist auch das Generation­enkapital enthalten. Staatliche­s Kapital soll renditeori­entiert angelegt werden und so helfen, die gesetzlich­e Rente zu stützen. Begrüßen Sie das auch? BENTELE Ich finde gut, dass die Bundesregi­erung die Basis der Rentenvers­icherung verbreiter­n möchte. Aber das Konzept des Generation­enkapitals sehen wir kritisch, weil hier wertvolles staatliche­s Geld den Schwankung­en des Kapitalmar­kts ausgesetzt werden soll. Wenn sich der Aktienmark­t nicht positiv entwickelt, könnte Kapital verloren gehen. Ich finde es fatal, wenn durch das Generation­enkapital Geschäftsm­odelle von Private-Equity-Firmen finanziert werden, die Pflegeeinr­ichtungen oder Krankenhäu­ser einem noch höheren Renditedru­ck aussetzen.

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FOTO: IMAGO Früher Biathletin, heute VDK-Präsidenti­n: Verena Bentele

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