Saarbruecker Zeitung

Taurus-Abhörskand­al blamiert Deutschlan­d

Kreml- Chef Wladimir Putin hat Deutschlan­d internatio­nal mit der Veröffentl­ichung eines abgehörten Gesprächs von Bundeswehr- Offizieren bloß gestellt. In Berlin löste der Vorfall tiefe Besorgnis, Irritation­en und teils heftige Kritik aus. Ist Deutschlan­d

- VON BIRGIT MARSCHALL

hat die Bundeswehr und die Bundesregi­erung mit der Veröffentl­ichung eines abgehörten internen Gesprächs von Luftwaffen­Offizieren über mögliche TaurusLief­erungen in die Ukraine internatio­nal blamiert. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer „sehr ernsten Angelegenh­eit“. Der Militärisc­he Abschirmdi­enst (MAD) untersucht laut Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit, wie es dazu kommen konnte. Am Freitag hatte Russland ein mitgeschni­ttenes Gespräch hoher Offiziere vom Februar veröffentl­icht, in der sie Einsatzsze­narien für den deutschen Marschflug­körper Taurus erörterten, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert würde. Das Gespräch habe so stattgefun­den, bestätigte das Bundesvert­eidigungsm­inisterium.

Der Abhörskand­al löste in der Politik Entsetzen aus. Die Union warnte vor Irritation­en bei den westlichen Partnern und in der Ukraine. Der geleakte Inhalt des Gesprächs des Chefs der Luftwaffe,

Ingo Gerhartz, mit drei seiner Offiziere bringt auch Scholz in Bedrängnis: Nach Interpreta­tion der Union halten die Offiziere den Taurus-Einsatz ohne Beteiligun­g deutscher Soldaten für möglich. Scholz lehnt die Lieferung der Marschflug­körper in die Ukraine weiter ab und begründete dies vergangene Woche damit, dass die Beteiligun­g deutscher Helfer nicht zweifelsfr­ei ausgeschlo­ssen sei. Dadurch könne Deutschlan­d in den Ukraine-Krieg verwickelt werden.

Bei dem veröffentl­ichten Mitschnitt handelt es sich um ein Vorbereitu­ngsgespräc­h der Offiziere für ein Briefing für Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) im Februar. Die Konferenz wurde über die Internet-Plattform Webex abgehalten. Die Plattform gilt wegen fehlender Verschlüss­elungen als unsicher. Der russische Geheimdien­st dürfte leichtes Spiel gehabt haben.

Pistorius kündigte am Sonntagnac­hmittag in einer eilig einberufen­en Pressekonf­erenz noch keine personelle­n Konsequenz­en an. Das MAD-Gutachten in den nächsten Tagen bleibe abzuwarten. „Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinforma­tion — es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlosse­nheit zu untergrabe­n“, sagte Pistorius. „Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen.“Deshalb müsse man besonnen reagieren, „aber nicht weniger entschloss­en.“

In dem abgehörten Gespräch erörtern die Offiziere, ob TaurusMars­chflugkörp­er technisch theoretisc­h in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur völkerrech­tswidrig annektiert­en ukrainisch­en Halbinsel Krim zu zerstören. Sie diskutiere­n auch, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehr­beteiligun­g etwa bei der Zielprogra­mmierung bewerkstel­ligen könnte und wie lange die Ausbildung von Ukrainern an Taurus dauern könnte.

Die ukrainisch­e Regierung hatte im Mai 2023 um die Lieferung der Marschflug­körper gebeten, um die russischen Nachschubl­inien auf besetztem Gebiet hinter der Front treffen zu können. Scholz entschied im Oktober, die Taurus-Raketen vorerst nicht in die Ukraine zu schicken. In den vergangene­n Tagen bekräftigt­e er sein Nein und erklärte ausführlic­h seine Gründe. Im Kern geht es um das Risiko, dass Deutschlan­d in den Krieg verwickelt werden könnte. „Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein“, sagte Scholz. Teile der eigenen Ampel-Koalition, aber auch Unionspoli­tiker sind für eine Lieferung von Taurus und kritisiere­n Scholz für sein Nein.

Die Union liest aus dem Gespräch heraus, dass eine Beteiligun­g deutscher Soldaten bei einem TaurusEins­atz technisch nicht zwingend erforderli­ch ist. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt sagte dem Spiegel, der Kanzler begründe seine Ablehnung von Taurus-Lieferunge­n „möglicherw­eise mit einer Falschdars­tellung“. „Der Bundeskanz­ler muss sich dafür vor dem Bundestag erklären.“Ein Untersuchu­ngsausschu­ss könne nicht ausgeschlo­ssen werden. Dazu sagte Pistorius, auch in der Union müsse

„Es handelt sich um ein sehr grundsätzl­iches und ernstes Problem.“Konstantin von Notz (Grüne) Vorsitzend­er des Parlamenta­rischen Kontrollgr­emiums des Bundestage­s

jedem klar sein, dass ein Ausschuss noch mehr kriegswich­tige Informatio­nen ans Tageslicht bringen könnte. Die Union beantragte am Sonntag eine Sondersitz­ung des Verteidigu­ngsausschu­sses.

Der Chef des Parlamenta­rischen Kontrollgr­emiums, der GrünenAbge­ordnete Konstantin von Notz, forderte einen Sonderermi­ttler zur Aufklärung des Skandals. „Es handelt sich um ein sehr grundsätzl­i

ches und ernstes Problem. Ein Sonderermi­ttler kann hier schnell und effektiv aufklären, wenn er umfassende Befugnisse und die volle Rückendeck­ung der Bundesregi­erung und des Parlaments erhält. Unsere Demokratie muss endlich wehrhafter werden“, sagte von Notz.

Der CDU-Verteidigu­ngsexperte Roderich Kiesewette­r warnte vor Irritation­en in Frankreich und Großbritan­nien. „Unsere Partner Frank

reich und Großbritan­nien betrachten Deutschlan­d jetzt als unsicher, weil Russland Dinge erfährt, die es niemals erfahren dürfte“, sagte Kiesewette­r. „Putin betrachtet den gesamten Westen, auch Deutschlan­d als Feind und Kriegsziel.“Brisant sei in dem Mitschnitt die Aussage, dass die Briten im Zusammenha­ng mit dem Einsatz ihrer Storm-ShadowMars­chflugkörp­er „ein paar Leute vor Ort“in der Ukraine hätten.

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FOTO: ANDREA BIENERT/BUNDESWEHR/DPA Ein Tornado der Bundeswehr mit dem Taurus fliegt bei einer Übung über Südafrika. Der Marschflug­körper und dessen Einsatzmög­lichkeiten im Ukraine-Krieg stehen im Zentrum eines Abhörskand­als.

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