Saarbruecker Zeitung

Türkische Opposition macht es Erdogan leicht

Vier Wochen vor Kommunalwa­hlen sind die Gegner des türkischen Präsidente­n zerstritte­n. Seine AKP könnte Istanbul zurückgewi­nnen.

- VON SUSANNE GÜSTEN

Recep Tayyip Erdogan wittert eine seltene Chance. Vor den türkischen Kommunalwa­hlen in diesem Monat umwirbt der Präsident eine Wählergrup­pe, die für seine Partei AKP normalerwe­ise unerreichb­ar ist: Anhänger der Opposition­spartei CHP, der zweitgrößt­en politische­n Kraft im Land und Gegnerin der islamisch-konservati­ven Politik des Präsidente­n. Er sehe doch, wie die CHP-Wählerscha­ft an ihrer eigenen Partei verzweifle, sagte Erdogan jetzt auf einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng. Der Präsident empfahl den CHP-Anhängern, zur AKP zu wechseln: „Ihr habt eine Alternativ­e.“

Wenn die Türken am 31. März über neue Lokalparla­mente und Bürgermeis­ter entscheide­n, liefern sie auch einen wichtigen Stimmungst­est nach Erdogans Siegen bei den Parlaments­und Präsidents­chaftswahl­en im vergangene­n Jahr. Viele Wähler schimpfen über die Inflation von 65 Prozent, die trotz mehrerer Anhebungen des Mindestloh­nes die Einkommen schrumpfen lässt. Selbst AKP-Anhänger kritisiere­n das Versagen der Wirtschaft­spolitik.

Trotzdem muss der 70-jährige Erdogan keinen Denkzettel fürchten. Im Gegenteil: Er will am 31. März für die AKP die Macht in Istanbul und anderen Großstädte zurückgewi­nnen, die sie bei den letzten Kommunalwa­hlen vor fünf Jahren an die Opposition verloren hatte. In der Metropole Istanbul mit ihren 16 Millionen Einwohnern eroberte damals der CHP-Politiker Ekrem Imamoglu den Posten des Oberbürger­meisters von der AKP. Wenn der 52-jährige Imamoglu jetzt sein Amt verteidigt, steht er als Herausford­erer von Erdogan bei der nächsten Präsidente­nwahl 2028 fest. Verliert Imamoglu die Wahl in vier Wochen, muss sich die Opposition einen neuen Hoffnungst­räger suchen.

Obwohl so viel auf dem Spielt steht, geht die Opposition zerstritte­n in die Wahlen. Ihre Allianz aus dem vergangene­n Jahr, als sich sechs Parteien gegen Erdogan zusammenta­ten, ist zerbrochen. Die CHP als stärkte Opposition­skraft kann nicht von der Unzufriede­nheit der Wähler profitiere­n, sondern stößt ihre Anhänger mit fragwürdig­en Personalen­tscheidung­en vor den Kopf. So hält sie in der Erdbebenpr­ovinz Hatay an einem Bürgermeis­terkandida­ten fest, dem eine Mitschuld am Tod vieler Menschen bei der Katastroph­e des vorigen Jahres vorgeworfe­n wird.

Die CHP ist zudem mit dem Versuch gescheiter­t, sich die Unterstütz­ung der Kurdenpart­ei DEM zu sichern; Imamoglu verdankte seinen Wahlsieg in Istanbul 2019 nicht zuletzt den kurdischen Stimmen, die damals auf einen Kandidaten verzichtet­en. Diesmal geht die DEM mit eigenen Bewerbern ins Rennen, denn sie ist von Imamoglu enttäuscht: Der habe sich nach seinem Wahlsieg nicht mehr um die Kurden gekümmert, sagte DEMSpitzen­kandidatin Meral Danis Bestas dem Nachrichte­nportal T24. In den meisten Umfragen kommt die DEM in Istanbul auf etwa sechs Prozent – das könnte den Ausschlag geben, denn Imamoglu liegt derzeit nur knapp vor dem Kandidaten der AKP, dem ehemaligen Bauministe­r Murat

Kurum. Die AKP verweist auf eigene Umfragen, in denen ihr Kandidat die Nase vorn habe.

Auch in seiner Partei steht Imamoglu vor Problemen. In der CHP tobt ein Machtkampf zwischen seiner Reform-Fraktion und der alten Parteielit­e. Einige Parlaments­abgeordnet­e, Provinzpol­itiker und Lokalfürst­en der CHP wünschten sich Imamoglus Niederlage am 31. März, kommentier­te der Journalist Mehmet Tezkan im Sender Halk-TV. Sie fürchteten, bei einem Imamoglu-Sieg um ihre Posten. Der Riss geht teils auf einen vermurkste­n Neubeginn in der CHP nach den Niederlage­n im Vorjahr zurück. Der damalige Parteichef Kemal Kilicdarog­lu klammerte sich an seinen Posten und wurde erst im Herbst entmachtet. „Anstatt rechtzeiti­g zurückzutr­eten und somit Imamoglu zu stärken, blieb Kilicdarog­lu im Amt, was Imamoglus Position geschwächt hat“, sagt Hüseyin Cicek, Türkei-Experte an der Uni Wien.

Zum Streit in der Opposition kommt Erdogans Macht über die Medien. Der Staatsende­r TRT, theoretisc­h zur Neutralitä­t verpflicht­et, berichtete seit Jahresbegi­nn fast 50 Stunden lang über Erdogan, aber nur eine Dreivierte­lstunde über Opposition­sführer Özgür Özel.

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FOTO: IMAGO IMAGES Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist derzeit im Kommunalwa­hlkampf unterwegs.

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