Saarbruecker Zeitung

Zum Wehrdienst gezwungen: Massenfluc­ht aus Myanmar

- VON ATHENS ZAW ZAW UND CAROLA FRENTZEN Produktion dieser Seite: Manuel Görtz Lucas Hochstein

(dpa) Doe Doe ist erst 19 Jahre alt, aber in seinem jungen Leben hat er schon schwere und folgenreic­he Entscheidu­ngen treffen müssen. Als sich das Militär in seiner Heimat Myanmar 2021 an die Macht putschte, brach er kurz vor seinem geplanten Abschluss die Schule ab. Einem von der Junta kontrollie­rten Schulsyste­m wollte er sich nicht unterordne­n. Nachdem die Generäle nun angekündig­t haben, ein bisher inaktives Gesetz zur Wehrpflich­t durchzuset­zen, hat er sich in der Stadt Mandalay den „Volksverte­idigungskr­äften“(PDF) angeschlos­sen, die in vielen Landesteil­en die Armee bekämpfen. „Jetzt nehme ich hier an einer Kampfausbi­ldung teil – es ist Zeit, dass wir uns endlich wehren“, sagt er.

Das Militär in Myanmar kämpft seit dem Umsturz und der Entmachtun­g von Friedensno­belpreistr­ägerin Aung San Suu Kyi erbarmungs­los gegen das eigene Volk. Da wundert es nicht, dass die geplanten Pflichtrek­rutierunge­n eine Massenfluc­ht ausgelöst haben. Bei vielen herrscht Panik. Sie befürchten, bald aus ihren Häusern heraus zum Militärdie­nst eingezogen zu werden und dann für die verhassten Tatmadaw, wie die Streitkräf­te im früheren Birma genannt werden, kämpfen zu müssen – gegen all ihre Überzeugun­gen.

Denn dem Militär, das mittlerwei­le als geschwächt gilt, fehlt es an freiwillig­em Nachwuchs. Die Armee musste in den vergangene­n Monaten teils schwere Verluste hinnehmen, weil bewaffnete Milizen in vielen Landesteil­en zunehmend die Oberhand gewinnen.

Besonders heftige Kämpfe gab es Ende vergangene­n Jahres im nördlichen Shan-Staat an der Grenze zu

China, einer für Drogenhand­el und Glücksspie­l bekannten, als gesetzlos geltenden Region. Innerhalb weniger Tage hatte dort die sogenannte Bruderalli­anz – ein Guerilla-Bündnis aus drei ethnischen Gruppen – die Kontrolle über wichtige Handelsrou­ten nach China sowie über mehr als 180 Stützpunkt­e und Außenposte­n gewonnen.

Die Wehrpflich­t soll ab April in Kraft treten. Männer im Alter zwischen 18 und 45 Jahren und Frauen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren sollen für mindestens zwei Jahre eingezogen werden. Bestimmte Fachleute, wie Ärzte und Ingenieure, müssen sogar drei Jahre zum Militär. Laut Gesetz kann der Wehrdienst auch auf fünf Jahre verlängert werden. Wer sich weigert, dem drohen mehrere Jahre Haft.

Nach Angaben des Militärs betrifft das Gesetz etwa 14Millione­n Bürger und Bürgerinne­n: 6,3Millionen Männer und 7,7Millionen Frauen. Insgesamt hat Myanmar etwa 55 Millionen Einwohner. Zunächst sollen monatlich rund 5000Mensch­en zum Wehrdienst eingezogen werden.

Zehntausen­de vor allem junge Menschen versuchen derzeit, ihre Heimat zu verlassen – unter anderem in Richtung Kambodscha oder Laos. Die meisten aber wollen nach Thailand. Denn in dem Nachbarlan­d haben viele Verwandte und Freunde, die bereits im Zuge des Putsches in das Nachbarlan­d geflohen waren.

Vor der Visastelle der thailändis­chen Botschaft in der ehemaligen Hauptstadt Yangon (früher: Rangun) und anderen Behörden bilden sich seit Tagen lange Warteschla­ngen. In Mandalay waren kürzlich bei einer Massenpani­k vor dem Passamt zwei Frauen ums Leben gekommen. Andere machen sich auf den Weg, um illegal die Grenze zu überqueren.

Einer von ihnen ist der 27-jährige Kyaw Kyaw. Vor dem Putsch arbeitete er in einer staatseige­nen Bank. Zuletzt war er Lehrer in einem privaten Internat in Myitkyina, der Hauptstadt des nördlichen Kachin-Staates an der Grenze zu China.

Um dem Wehrdienst zu entkommen, ist Kyaw Kyaw mittlerwei­le ins Grenzgebie­t zwischen Myanmar und Thailand geflohen, das von der mächtigen „Karen National Union“(KNU) kontrollie­rt wird. Die KNU ist die älteste bewaffnete Gruppe im Vielvölker­staat Myanmar. Seit mehr als 70 Jahren kämpft sie für die Freiheit und bietet seit dem Putsch vielen Binnenvert­riebenen Schutz.

„Ich habe mich in Myitkyina nicht mehr sicher gefühlt, weil die Behörden mich suchten“, erzählt Kyaw Kyaw. „Deshalb habe ich beschlosse­n, zu fliehen. Ich will nicht für das Militär kämpfen.“Nun will der junge Mann versuchen, illegal ins thailändis­che Mae Sot auf der anderen Seite der Grenze zu gelangen und dort ein neues Leben zu beginnen.

 ?? FOTO: MYO MYO/DPA ?? Die Ankündigun­g der Militärjun­ta in Myanmar, ein bisher inaktives Gesetz zur Wehrpflich­t durchzuset­zen, hat in dem Krisenland eine Flüchtling­swelle ausgelöst. Hier stehen Menschen vor der thailändis­chen Botschaft in Yangon in einer Schlange, um ein Visum zu erhalten.
FOTO: MYO MYO/DPA Die Ankündigun­g der Militärjun­ta in Myanmar, ein bisher inaktives Gesetz zur Wehrpflich­t durchzuset­zen, hat in dem Krisenland eine Flüchtling­swelle ausgelöst. Hier stehen Menschen vor der thailändis­chen Botschaft in Yangon in einer Schlange, um ein Visum zu erhalten.

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