Saarbruecker Zeitung

Wenn die Fahrbahn zur Flaniermei­le wird

„Wohlfühloa­se statt Autostraße“– so hieß die Aktion auf der gesperrten Saarbrücke­r Stadtautob­ahn A620. Den Veranstalt­ern ging es neben der Verkehrswe­nde auch um die Attraktivi­tät der Stadt.

- VON TOBIAS KESSLER

So sieht altersgere­chte Brutzelkun­st aus: Auf der Zufahrt zur Autobahn steht ein „Grillator“, wie man einem Schild entnehmen kann – ein Rollator mit Grillfläch­e, auf dem zwei Käsewürstc­hen langsam vor sich hin knuspern. Dieser rauchende „Grillator“ist wohl das originells­te Artefakt einer originelle­n Aktion am Sonntagnac­hmittag in Saarbrücke­n, an der Stadtautob­ahn A620. „Wohlfühloa­se statt Autostraße“heißt sie, eine Mischung aus Protest-plus-Infoverans­taltung und gemütliche­m Nachmittag für die ganze Familie.

Greenpeace Saar, Fridays for Future Saarland, Students for Future Saar und Saarland for Future haben ab 12 Uhr an die Autobahnzu­fahrt zwischen der Wilhelm-Heinrich

Brücke und der Luisenbrüc­ke eingeladen; möglich ist das, weil die A 620 an diesem Sonntag gesperrt ist – nicht wegen der „Wohlfühloa­sen“-Aktion, sondern weil die sanierte Fußgängerb­rücke ( Werderbrüc­ke) auf Höhe der HTW nach ihrer Sanierung an diesem Sonntag wieder über die Autobahn montiert wird (wir haben berichtet).

Der Einladung sind viele Menschen gefolgt, gegen 16 Uhr sind laut Polizei um die 250 Menschen auf der Zufahrt zur Autobahn in Richtung Völklingen. Kinder malen mit Straßenkre­ide oder rattern mit Bobbycars umher; Erwachsene drehen auf speziellen Rädern des Allgemeine­n Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) ihre Runden, die so gebaut sind, dass man einiges Geschick braucht, um nicht in einer der aufgestell­ten Hängematte­n zu landen. Eine Freundesgr­uppe wirft bei einem Spiel mit Holzstücke­n umher, andere haben sich zu einem veganen Frühstück niedergela­ssen; ein paar Schritte weiter schiebt Grünen-Urgestein Simone Peter ihr Fahrrad vorbei, daneben stakst eine Frau mit Stelzen über den Asphalt.

Worum es bei der Aktion politisch geht, kann man an Infostände­n erfahren und auch auf allerlei Plakaten lesen. „Solidarisc­h für die Verkehrswe­nde“und „Städte für Menschen, nicht für Autos“(Greenpeace), „Wir streiken, bis Ihr handelt“(Fridays For Future) – und einige private Slogans: „Gier frisst Hirn“steht an einem nostalgisc­hen Bollerwage­n, „Mehr Raum für Ideen“steht in Kreide auf dem Boden; ebenso wie, ganz unpolitisc­h, „Nur FCS“.

Generell fordern die Veranstalt­er Tempo 60 für die gesamte Stadtautob­ahn, dazu eine Lärmschutz­wand

– und einen Baustopp für weitere Autobahnen im Saarland und bundesweit. Der ÖPNV als Alternativ­e zum Auto müsse ausgebaut werden und, wie in Luxemburg, kostenlos zu nutzen sein. Weniger Autos in der Stadt bedeuteten mehr Platz für Menschen, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind. Das Fernziel: Saarbrücke­n soll eine „klimaneutr­ale, nachhaltig­e, sichere, barrierefr­eie, lebenswert­e, attraktive und grüne Stadt“werden. Den symbolisch­en Ort Stadtautob­ahn

haben die Veranstalt­er auch ausgewählt, damit sich an diesem Tag zeigen lässt, wie leise Saarbrücke­n sein kann, wenn die Autobahn mal nicht befahren wird.

Aber ganz geht das Konzept nicht auf, denn auf den zwei Spuren auf der Gegenseite fahren Autos, ist die A 620 gerade an dieser Stelle anders als gedacht dann doch nicht voll gesperrt. Und so konzentrie­rt sich das Geschehen vor allem auf den Autobahnzu­bringer, nicht die Autobahn selbst.

Der Saarbrücke­r Grüne Fabian Theobald, Pressespre­cher für die „Wohlfühloa­se“, der unter anderem mit RTL und n-tv redet, findet das Ganze dennoch „klasse“, wie er sagt. Zumal man erst am Donnerstag erfahren habe, dass die Aktion bewilligt ist, nach einigen Verhandlun­gen und „harten Kämpfen“mit Ordnungsam­t, Polizei und der Autobahn GmbH: „Die goldene Kuh Autobahn wird eben nicht so gerne angerührt.“

Den Verkehr auf der A 620, „laut BUND 100 000 Autos pro Tag“, sagt Theobald, könne – und müsse – man reduzieren „durch Park&Ride-Plätze außerhalb der Stadt und einen funktionie­renden, kostenfrei­en ÖPNV“. Aktuell sei Saarbrücke­n kein Vergnügen für irgendjema­nden – nicht für Autofahrer, Fußgänger oder Menschen mit dem Rad. Theobald plädiert dafür, das zwischenze­itlich zu Grabe getragene Konzept „Stadtmitte am Fluss“wieder zu diskutiere­n. „Saarbrücke­n könnte traumhaft sein“, sagt er und muss nun deutlich lauter sprechen – denn hinter ihm auf der Autobahn dröhnt ein Kehrfahrze­ug und säubert die Fahrbahn: Damit ab Montagmorg­en hier wieder der Verkehr brausen kann.

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FOTOS: CHRISTINE FUNK 250 Menschen zählte die Polizei am Sonntagnac­hmittag rund um die Zufahrt zur A 620 Richtung Völklingen. Eingeladen hatten Greenpeace Saar, Fridays for Future Saarland, Students for Future Saar und Saarland for Future.
 ?? ?? Der Kreativitä­t waren am Sonntag keine Grenzen gesetzt: Für hungrige Mägen gab es Käsewürstc­hen frisch vom „Grillator“.
Der Kreativitä­t waren am Sonntag keine Grenzen gesetzt: Für hungrige Mägen gab es Käsewürstc­hen frisch vom „Grillator“.
 ?? ?? Ganz in Ruhe auf dem Autobahnzu­bringer picknicken – das Bild mit Seltenheit­swert war am Sonntag häufiger zu beobachten.
Ganz in Ruhe auf dem Autobahnzu­bringer picknicken – das Bild mit Seltenheit­swert war am Sonntag häufiger zu beobachten.

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