Wenn die Fahrbahn zur Flaniermeile wird
„Wohlfühloase statt Autostraße“– so hieß die Aktion auf der gesperrten Saarbrücker Stadtautobahn A620. Den Veranstaltern ging es neben der Verkehrswende auch um die Attraktivität der Stadt.
So sieht altersgerechte Brutzelkunst aus: Auf der Zufahrt zur Autobahn steht ein „Grillator“, wie man einem Schild entnehmen kann – ein Rollator mit Grillfläche, auf dem zwei Käsewürstchen langsam vor sich hin knuspern. Dieser rauchende „Grillator“ist wohl das originellste Artefakt einer originellen Aktion am Sonntagnachmittag in Saarbrücken, an der Stadtautobahn A620. „Wohlfühloase statt Autostraße“heißt sie, eine Mischung aus Protest-plus-Infoveranstaltung und gemütlichem Nachmittag für die ganze Familie.
Greenpeace Saar, Fridays for Future Saarland, Students for Future Saar und Saarland for Future haben ab 12 Uhr an die Autobahnzufahrt zwischen der Wilhelm-Heinrich
Brücke und der Luisenbrücke eingeladen; möglich ist das, weil die A 620 an diesem Sonntag gesperrt ist – nicht wegen der „Wohlfühloasen“-Aktion, sondern weil die sanierte Fußgängerbrücke ( Werderbrücke) auf Höhe der HTW nach ihrer Sanierung an diesem Sonntag wieder über die Autobahn montiert wird (wir haben berichtet).
Der Einladung sind viele Menschen gefolgt, gegen 16 Uhr sind laut Polizei um die 250 Menschen auf der Zufahrt zur Autobahn in Richtung Völklingen. Kinder malen mit Straßenkreide oder rattern mit Bobbycars umher; Erwachsene drehen auf speziellen Rädern des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) ihre Runden, die so gebaut sind, dass man einiges Geschick braucht, um nicht in einer der aufgestellten Hängematten zu landen. Eine Freundesgruppe wirft bei einem Spiel mit Holzstücken umher, andere haben sich zu einem veganen Frühstück niedergelassen; ein paar Schritte weiter schiebt Grünen-Urgestein Simone Peter ihr Fahrrad vorbei, daneben stakst eine Frau mit Stelzen über den Asphalt.
Worum es bei der Aktion politisch geht, kann man an Infoständen erfahren und auch auf allerlei Plakaten lesen. „Solidarisch für die Verkehrswende“und „Städte für Menschen, nicht für Autos“(Greenpeace), „Wir streiken, bis Ihr handelt“(Fridays For Future) – und einige private Slogans: „Gier frisst Hirn“steht an einem nostalgischen Bollerwagen, „Mehr Raum für Ideen“steht in Kreide auf dem Boden; ebenso wie, ganz unpolitisch, „Nur FCS“.
Generell fordern die Veranstalter Tempo 60 für die gesamte Stadtautobahn, dazu eine Lärmschutzwand
– und einen Baustopp für weitere Autobahnen im Saarland und bundesweit. Der ÖPNV als Alternative zum Auto müsse ausgebaut werden und, wie in Luxemburg, kostenlos zu nutzen sein. Weniger Autos in der Stadt bedeuteten mehr Platz für Menschen, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind. Das Fernziel: Saarbrücken soll eine „klimaneutrale, nachhaltige, sichere, barrierefreie, lebenswerte, attraktive und grüne Stadt“werden. Den symbolischen Ort Stadtautobahn
haben die Veranstalter auch ausgewählt, damit sich an diesem Tag zeigen lässt, wie leise Saarbrücken sein kann, wenn die Autobahn mal nicht befahren wird.
Aber ganz geht das Konzept nicht auf, denn auf den zwei Spuren auf der Gegenseite fahren Autos, ist die A 620 gerade an dieser Stelle anders als gedacht dann doch nicht voll gesperrt. Und so konzentriert sich das Geschehen vor allem auf den Autobahnzubringer, nicht die Autobahn selbst.
Der Saarbrücker Grüne Fabian Theobald, Pressesprecher für die „Wohlfühloase“, der unter anderem mit RTL und n-tv redet, findet das Ganze dennoch „klasse“, wie er sagt. Zumal man erst am Donnerstag erfahren habe, dass die Aktion bewilligt ist, nach einigen Verhandlungen und „harten Kämpfen“mit Ordnungsamt, Polizei und der Autobahn GmbH: „Die goldene Kuh Autobahn wird eben nicht so gerne angerührt.“
Den Verkehr auf der A 620, „laut BUND 100 000 Autos pro Tag“, sagt Theobald, könne – und müsse – man reduzieren „durch Park&Ride-Plätze außerhalb der Stadt und einen funktionierenden, kostenfreien ÖPNV“. Aktuell sei Saarbrücken kein Vergnügen für irgendjemanden – nicht für Autofahrer, Fußgänger oder Menschen mit dem Rad. Theobald plädiert dafür, das zwischenzeitlich zu Grabe getragene Konzept „Stadtmitte am Fluss“wieder zu diskutieren. „Saarbrücken könnte traumhaft sein“, sagt er und muss nun deutlich lauter sprechen – denn hinter ihm auf der Autobahn dröhnt ein Kehrfahrzeug und säubert die Fahrbahn: Damit ab Montagmorgen hier wieder der Verkehr brausen kann.