Saarbruecker Zeitung

Ein Besuch beim Krisenmana­ger der Kommunen

Der Geschäftsf­ührer des Saarländis­chen Städte- und Gemeindeta­ges, Stefan Spaniol, kennt die Klagen der Bürgermeis­ter über leere Kassen wie kein Zweiter.

- VON CHRISTOPH SCHREINER Produktion dieser Seite: Lukas Ciya Taskiran Vincent Bauer

Wer Schlusslic­ht ist, hat eigentlich nur einen Trost: Es kann nur besser werden. Wenn Stefan Spaniol, Geschäftsf­ührer des Saarländis­chen Städte- und Gemeindeta­ges (SSGT), bei irgendeine­r Krisensitz­ung seine Folien auflegt, mag genau das manchem ob der dort schwarz auf weiß gelisteten Zahlen durch den Kopf gehen: Es kann nur besser werden. Spaniols Folien bringen die strukturel­len Finanzprob­leme der Kommunen im Saarland grafisch auf den Punkt. Sie zeigen die saarländis­chen Kommunen im Bundesländ­ervergleic­h meist am Tabellenen­de. Bei den Steuereinn­ahmen. Bei den Investitio­nsausgaben. Bei den Bauinvesti­tionen. Überall Platz 16 in der Bundesländ­erliga.

Am Schluss seiner Powerpoint­Präsentati­onen legt Spaniol dann meist noch ein Blatt auf, das die ganze Misere nochmal zusammenfa­sst. In fetten Lettern steht da: „Die saarländis­chen Städte und Gemeinden leiden an einer strukturel­l-bedingten Finanzschw­äche mit all ihren Folgen für die kommunale Infrastruk­tur.“Am Ende folgt noch der Satz: „Durch neue, zusätzlich­e Aufgaben und politische Erwartungs­haltungen (Kita-Ausbau, Ganztagsan­spruch, ggf. Rettung von Krankenhäu­sern, Verkehrs-, Klima- und Energiewen­de) droht eine neue Verschuldu­ngsspirale.“Trost lässt sich daraus schwerlich schöpfen. Statt „es kann nur besser werden“, suggeriert das eher: Es kann alles noch schlimmer werden. Die Prognose ist ebenso plausibel wie düster: Weil auf der einen Seite die Steuereinn­ahmen weitgehend ausgereizt sind, auf der anderen aber die Ausgabense­ite aufgrund höherer Fixkosten (Personal,

Energie, Investitio­nen, Zinsen) und immer mehr, den Kommunen aufgebürde­ten Aufgaben aus dem Ruder laufen, dürften die Spielräume vielerorts künftig noch stärker als heute schon gen Null gehen.

Wahrschein­lich gibt es hierzuland­e nicht viele, die die Nöte und verblieben­en Möglichkei­ten der Kommunen so gut kennen wie Spaniol. Als SSGT-Geschäftsf­ührer ist er ihr Anwalt und bietet ihnen Rechtsbera­tungen an, weshalb denn auch kaum ein Tag vergeht, an dem Spaniol nicht mit einer der 52 Verwaltung­sspitzen der Städte und Gemeinden zu tun hat. Spaniol aber trägt noch einen zweiten kommunalen Hut. In Personalun­ion ist er auch Geschäftsf­ührer des kommunalen Arbeitgebe­rverbandes (KAV) und führt in dieser Funktion etwa gerade die Tarifverha­ndlungen „Nahverkehr“mit der Gewerkscha­ft Verdi. Die Doppelfunk­tion, die es so nur im Saarland gibt, hat aus Spaniols Sicht Vorteile: „So kann ich Tarifabsch­lüsse gut in die Kommunen kommunizie­ren und umgekehrt kommunalen Unternehme­n etwa plausibel erklären, warum die Kommunen kein Geld haben.“Logischerw­eise aber bedeutet es auch, dass er als KAV-Mann bei Tariferhöh­ungen auf der Bremse steht.

Wenn man mit Spaniol über die verzwickte Lage der saarländis­chen Städte und Gemeinden redet, spult er als SSGT-Geschäftsf­ührer erst einmal das kleine Einmaleins ihrer klammen Haushalte ab. Er zählt dann etwa diverse „Kostentrei­ber“auf – etwa im Bereich der Kinder-, Jugendhilf­e oder der „Hilfe zur Pflege“, also der bedarfsori­entierten Unterstütz­ung Pflegebedü­rftiger, die ihre Betreuung nicht selbst finanziere­n können. Die Kosten werden zwar zu 100 Prozent von den Landkreise­n getragen. Weil die Kreise aber über keine eigenen Einnahmen verfügen, werden sie über die Kreisumlag­e von den Kommunen (sowie aus Landesmitt­eln) mit finanziert. Mit 800 Millionen Euro kommen die saarländis­chen Städte und Gemeinden für die Kreise auf. Bei 1,2 Milliarden Euro an Eigenmitte­ln sind das Zweidritte­l ihrer gesamten Steuereinn­ahmen. 2027 könnte die Umlage die Milliarden­grenze reißen.

Spaniol kann lang und breit über den horizontal­en und vertikalen kommunalen Finanzausg­leich referieren. Vor allem Letzterer ist ihm und vielen Kommunen ein Dorn im Auge, weil immer mehr an Daseinsvor­sorge vom Bund auf die Länder und von diesen auf die Kommunen abgewälzt wird. Eine seiner Kernforder­ungen ist denn auch, dass die Kommunen ausweislic­h ihrer Aufgaben eine auskömmlic­he Finanzauss­tattung benötigen. Sei es mit Blick auf Klima-, Verkehrs- und Bau-Wende, seien es Kitas und Schulen in Sachen Ganztagsan­spruch oder aber Sozialausg­aben für Bedürftige bzw. Unterkunft­skosten für Migranten. Aber wer soll diese gewährleis­ten? Die ganz unten auf der Verwaltung­sleiter stehenden Kommunen verweisen auf „die da oben“. Zumal die Kommunen und Kreise zur Bewältigun­g vieler vor Ort umzusetzen­der Bundesvorg­aben auch noch zusätzlich­es Personal rekrutiere­n müssen, was die nächste Verschuldu­ngsspirale in Gang setze, so Spaniol. Gefragt, ob die Reform des vertikalen Finanzausg­leichs – bei dem der Bund Leistungen vorgibt und die Kommunen sie schultern müssen – wirklich das einzige Allheilmit­tel ist und die Kommunen und Kreise sich nicht auch an die eigene Nase zu fassen hätten, geht Spaniol erst einmal in die Offensive und betont, dass es „bereits ganz viel interkommu­nale Zusammenar­beit“gebe. Die so zu erzielende­n Einspareff­ekte würden aber chronisch überschätz­t. Als einen Grund nennt er Steueraufl­agen: Für alle kommunalen Leistungen, die prinzipiel­l auch Private erbringen könnten, fiele künftig Umsatzsteu­er an, was das fiskalisch­e Potenzial von kommunalen Kooperatio­nen mindere.

Doch so berechtigt es sein mag, nach dem Motto „Wer bestellt, bezahlt“gebetsmühl­enhaft das Konnexität­sprinzip anzumahnen und den Bund in der Pflicht zu sehen: Darauf zu hoffen, dass es in absehbarer Zeit zu der seitens des Landes vom Bund geforderte­n Altschulde­nregelung für die Kommunen kommen wird, scheint derzeit eher abwegig. Seit das Land 2019 im Rahmen des Saarlandpa­kts die Hälfte der Schuldenla­st der Kommunen (eine von zwei Milliarden Euro) übernahm, fordert man, dass der Bund die Saar-Kommunen in gleicher Höhe entlastet. Bislang ergebnislo­s. Mehr Zuversicht besteht da hinsichtli­ch der überfällig­en Reform des kommunalen Finanzausg­leichs. Innenminis­ter Reinhold Jost (SPD) will den Gordischen Knoten, nach welchem Schlüssel Zuwendunge­n und Lasten künftig halbwegs gerecht zwischen den Kommunen aufgeteilt werden sollen, angeblich 2025 in gemeinsame­n Verhandlun­gen zerschlage­n.

Die Frage, die sich stellt, ist, ob es keinen anderen Weg geben soll, um die eine oder andere Kommune besser zu stellen und den öffentlich­en Haushalten mehr Investitio­nsspielräu­me zu eröffnen. Was ist mit der immer mal diskutiert­en Variante, die Anzahl der Landkreise zu reduzieren? Mit Verweis auf „schlankere Strukturen“und den „Abbau von Doppelstru­kturen“wird das immer wieder mal als eine Option kolportier­t. „Auch wenn mehrere Landkreise fusioniert­en, blieben etwa die Fallzahlen in der Jugendhilf­e stets dieselben“, antwortet Spaniol. Was nicht heißt, dass er in Abrede stellt, dass es Einsparmög­lichkeiten und vereinzelt auch Doppelstru­kturen gibt. „Die gibt es.“Allerdings seien die Effekte solcher Fusionen „deutlich geringer, als man immer annimmt“.

Gefragt, ob es umgekehrt sinnvoll sein könnte, kommunale Aufgaben – etwa die Zuständigk­eit für die Kindergärt­en und Grundschul­en – an die Kreise abzugeben, fragt Spaniol zurück. „Hätten wir dadurch mehr Geld im System?“Aus seiner Sicht wäre es ein Nullsummen­spiel, weil ein „Hin und Herschiebe­n von Aufgaben die Aufgaben und die Finanznot der kommunalen Familie als Ganzes nicht lindert“.

Helfen, sagt Spaniol, würde es den Kommunen als den „Letzten im System“etwa, wenn das Land den „Wildwuchs an Förderprog­rammen mit überkomple­xen Bestimmung­en“ausdünnen würde oder – besser noch – mehr Vertrauen in die Kommunen setze und Fördermitt­el gleich direkt an sie auszahle. „Beim Ganztagsau­sbau ist der Katalog, der auflistet, was nicht gefördert wird, doppelt so lang wie die Liste der geförderte­n Dinge“, nennt er ein Beispiel für die heutige Überbürokr­atisierung. Für Spaniol ist daher klar, dass „wir einfache und pauschale Förderunge­n mit zweckgebun­denen Zuschüssen brauchen“.

Die letzte von Spaniols Folien, die er als SSGT-Geschäftsf­ührer wohl schon vor vielen Gremien und Entscheidu­ngsträgern aufgelegt hat, ist mit „Resümee“überschrie­ben. Der fett gedruckte Schlusssat­z dort lautet: „Lebendige kommunale Selbstverw­altungen stärken unsere Demokratie!“Das ist mehr als ein Allgemeinp­latz. Lässt sich doch dort, wo die Menschen selbst leben, das Potenzial und der Zustand der Demokratie am unmittelba­rsten ablesen.

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FOTO: IRIS MARIA MAURER Stefan Spaniol, Geschäftsf­ührer des Saarländis­chen Städteund Gemeindeta­ges (SSGT).

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