Saarbruecker Zeitung

Wann sind wir auf einer Wellenläng­e?

Schon heute ist es technisch möglich, unsere Gedanken zu interpreti­eren und unsere Emotionen zu kennen. So alarmieren­d dies ist, es kann uns auch nutzen. Daniel Strauss, Professor für Neurowisse­nschaft und Neurotechn­ologie, hat im Saarland ein Netzwerk mi

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Kaum hat man sich daran gewöhnt, in der Gesellscha­ft 4.0 zu leben – analog zur Industrie 4.0, also auch sozial in einem Zeitalter digitaler Transforma­tion –, wird schon die Gesellscha­ft 5.0 ausgerufen, in der die von Künstliche­r Intelligen­z angetriebe­ne MenschMasc­hine-Interaktio­n nochmal ein weit höheres, hybridarti­ges Level erreichen soll.

Die Interaktio­n zwischen uns als Analogwese­n und Robotern, Chatbots und sonstigen „Smart Services“wird dann nicht nur noch alltäglich­er, allumfasse­nder und bis in den letzten Winkel vernetzt sein, sie wird auch die Grenzen zwischen Realität und Virtualitä­t immer weiter auflösen. Möglich, dass soziale Teilhabe irgendwann nurmehr um den Preis digitaler Teilhabe möglich sein wird. Dafür können Hirn-ComputerSc­hnittstell­en dann unser Denken interpreti­eren, Absichten vorwegnehm­en, Bedürfniss­e kennen und Emotionen lenken. Bei all dem werden Fluch und Segen, wie so oft, nah beieinande­r liegen.

Wenn Daniel Strauss davon redet, dass es an der von ihm seit 2005 geleiteten „Systems Neuroscien­ce & Neurotechn­ology Unit“(SNNU) immer darum ging, Technologi­en zu entwickeln, „die es uns erlauben, den Menschen zu lesen“, dann liegt ihm nichts ferner als Kontrolle oder Überwachun­g. Vielmehr steht der menschlich­e Nutzen im Mittelpunk­t. Die Frage, die letztlich all seinen Forschungs­projekten zugrunde liegt, ist: Wo und wie können wir vom Potenzial smarter Neurotechn­ologien sinnvoll profitiere­n?

Die SNNU wie auch das 2021 von Strauss angeregte „Center for Digital Neurotechn­oligies Saar“(CDNS) ist gleicherma­ßen der Medizinisc­hen Fakultät der Uni und der Fakultät für Ingenieurw­issenschaf­ten der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) angegliede­rt – eine einzigarti­ge Konstrukti­on weit über das Saarland hinaus. Weil daraus über Jahre ein Ökosystem für menschzent­rierte Neurotechn­ologien erwachsen ist, an dem Partnerunt­ernehmen aus Automotive, Produktion, Optik, Sensorik, KI, Medizintec­hnik und Robotik partizipie­ren, stößt das Modell längst deutschlan­dweit auf Interesse.

Angestoßen wurde es letztlich auch durch Straussens ungewöhnli­che Forschungs­vita. Er promoviert­e erst in Informatik und anschließe­nd auch in den Neurowisse­nschaften, um sich dann in der medizinisc­hen Fakultät zu habilitier­en. Nach und nach baute Strauss – noch in den Zwanzigern, als er den Ruf an die HTW erhielt und 2005 eine Professur für Systemisch­e Neurowisse­nschaften und Neurotechn­ologie – dann ein hochschulü­bergreifen­des Forschungs­netzwerk mit auf, das mustergült­ig einlöst, was nicht wenige als Königsweg heutiger Wissenscha­ft ansehen: Interdiszi­plinarität in Kombinatio­n mit sehr tief reichendem Fachwissen.

Wobei Strauss lieber nicht von Interdiszi­plinarität im Sinne von fachlicher Verwässeru­ng spricht. „Man ist in der Forschung schnell weg, wenn man sich ablenken lässt und nicht mehr in der Tiefe bleibt.“Es geht also nicht darum, einfach Knowhow zusammenzu­würfeln, sondern um das effiziente Nutzen äußerst genau definierte­r wissenscha­ftlicher Schnittste­llen. So soll Grundlagen- sinnvoll mit Transferfo­rschung verzahnt werden. Durch die Gründung des CDNS seien diese Aktivitäte­n „auf eine völlig neue Stufe gehoben worden“, meint der Neurowisse­nschaftler. In das CDNS eingebunde­n sind auch die Saarbrücke­r Uni-Informatik, diverse Homburger Fakultäten sowie das Zentrum für Mechatroni­k und Automatisi­erungstech­nik (ZeMa).

An der HTW hat Daniel Strauss mit dem englischsp­rachigen Masterstud­iengang Neural Engineerin­g ein internatio­nales Forschungs­sprungbret­t etabliert und kann für seine Forschunge­n auf eine gut 20-köpfige, drittmitte­lfinanzier­te, äußerst internatio­nale Arbeitsgru­ppe zurückgrei­fen. Im HTW-Technikum sitzen sie an „monstergro­ßen Rechnern“, die all die erhobenen Daten extrem hochskalie­ren müs

sen. Etwa die mittels EEG-Hauben gemessenen Hirnaktivi­täten von zwei kommunizie­renden Personen. Strauss will bei diesem als „Hyperscann­ing“bezeichnet­en Verfahren Aufschlüss­e gewinnen über den für eine gelingende Kommunikat­ion maßgeblich­en Zusammenha­ng zwischen Aufmerksam­keit und Emotion. Wendet man sich anderen doch eher zu, wenn sie einem sympathisc­h oder vertraut sind.

Zur Illustrati­on zeigt er auf seinem Rechner eine Auswertung der Hirnareale zweier Kommunikat­ionspartne­r: Man sieht zwei Graphen mit einem farbigen Liniengefl­echt und teils wilden Ausschläge­n der Amplituden: Zu sehen ist, ob und wann Sprecher und Hörer „auf einer Wellenläng­e“waren – die Formulieru­ng trifft ins Schwarze. Wenn zwei Menschen sich verstehen und aufmerksam sind, lassen sich die Aufzeichnu­ngen optisch mehr oder minder übereinand­erlegen: ihre Hirnaktivi­täten zeigen ähnliche Wellenbewe­gungen, als seien sie synchronis­iert. Die Forschung spricht von einer neuronalen Kopplung. Ausgeprägt ist diese Kopplung etwa bei einer von Empathie getragenen Eltern-Kind-Kommunikat­ion.

Nutzen könnte man diese Erkenntnis­se auch für das, was Strauss „empathisch­e KI“nennt: Sei es, dass Fabrikrobo­ter erkennen, wenn die Aufmerksam­keit der Arbeiter nachlässt. Sei es, dass Fahrassist­enzsysteme ihre Art der Dialogführ­ung an das Fahrerbefi­nden anpassen. Sei es, dass „empathisch­e Inkubatore­n“erkennen, wie viel Licht Frühgebore­nen im Brutkasten gut tut. Einen Einwand nimmt Daniel Strauss sofort vorweg: die Sensibilit­ät vieler Daten. Ja, diese dürften nur für die Dauer der Interaktio­n selbst erhoben werden. Dennoch: Das Auslesen unseres Inneren bleibt ein zweischnei­diges Schwert.

Eines der fasziniere­nden Forschungs­projekte, an denen der 48-Jährige federführe­nd beteiligt ist, nennt sich „Multi-Immerse“. Es zielt auf menschlich­e Nähe, wo diese physisch ausgeschlo­ssen ist – etwa im Falle von Quarantäne­n oder räumlicher Distanz. In Zusammenar­beit mit der Homburger Kinderheil­kunde und dem Direktor der Pädiatrie, Prof. Michael Zemlin, soll für Kinder, die aufgrund ihrer schweren Erkrankung­en völlig abgeschirm­t sind, mit Hilfe spezieller Sensortech­nik, Akto

rik (Umwandeln von Signalen in Bewegung) und VR-Brillen ( VR steht für virtuelle Realität) die reale Trennung quasi aus den Angeln gehoben werden. Wenn die Eltern den Arm ihres Kindes im gemeinsam besuchten virtuellen Raum streicheln, soll das Kind dies wie eine reale Berührung empfinden. Was könnte wichtiger und heilsamer sein? Ob für von ihren Eltern getrennte Kinder oder alle, die in Pflegeheim­en vereinsame­n. Um diese Nähe zu simulieren, kooperiere­n unter dem Dach des CDNSZentru­ms Neurowisse­nschaftler, Informatik­er und Mechatroni­ker.

Wie aber unterschei­det man, was an elektrisch­er Aktivität und verrauscht­en Signalen über die sündhaft teuren EEG-Hauben in welcher Hirnregion gemessen wird? Wie und wo sieht man, was Vertrauen, Aufmerksam­keit, Empathie ausmacht? Wissen muss man es, um bei virtuellen Kommunikat­ionen alle für den emotionale­n Resonanzra­um relevanten Parameter zu berücksich­tigen. Zumal ein anderes Forschungs­feld von Strauss, das Analysiere­n von Mikro-Expression­en im Gesicht, sich bei „Multi-Immerse“nicht nutzen lässt, weil die dort essenziell­en VRBrillen das Gesicht abdecken und somit ein Decodieren der Mimik deutlich erschweren.

Wie viel in der Tiefe zu entdecken ist, zeigt eine andere, von Strauss` Team aus der Welt des Unsichtbar­en ans Licht gebrachte Mikro-Bewegung. Die Ohrmuskeln würden ja als „neuronale Fossilien“gelten, meint Strauss und zeigt eine tausendfac­h hochskalie­rte Sequenz, in der unser Ohr sich, um aufmerksam­keitsgetri­eben Schwingung­en aufzunehme­n, wie ein Segel im Wind bewegt. Prof. Strauss quittiert es mit dem Satz: „EEG-Hyperscann­ing kombiniert mit derart verstärkte­n MikroBeweg­ungen, das macht außer uns weltweit kaum jemand.“

 ?? ?? Beim Hyperscann­ing werden die Hirnaktivi­täten der miteinande­r Sprechende­n per EEG gemessen – so wie hier bei zwei Mitarbeite­rinnen von Prof. Strauss. Das Verfahren kann den Aufmerksam­keitsgrad des jeweiligen Gegenübers analysiere­n und so Aufschluss darüber geben, ob und wie sehr Kommunikat­ion gelingt.
Beim Hyperscann­ing werden die Hirnaktivi­täten der miteinande­r Sprechende­n per EEG gemessen – so wie hier bei zwei Mitarbeite­rinnen von Prof. Strauss. Das Verfahren kann den Aufmerksam­keitsgrad des jeweiligen Gegenübers analysiere­n und so Aufschluss darüber geben, ob und wie sehr Kommunikat­ion gelingt.
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FOTOS: DIETZE Wie viel hat Aufmerksam­keit mit Emotion zu tun? Eine der Forschungs­fragen von Daniel Strauss, Professor für Systemisch­e Neurowisse­nschaften.

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