Saarbruecker Zeitung

Wie man Songs von Bob Dylan vertanzt

Der Auftakt des Tanzfestiv­als Saar am Freitag, bei dem der dreiteilig­e Abend „Rituale“gezeigt wurde, war ganz anders als erwartet – und trotzdem ein Publikums-Volltreffe­r.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Auch Festivals folgen einer Dramaturgi­e: Der Start sollte möglichst anstrengun­gsfrei verlaufen, um das Publikum für weitere Besuche zu stimuliere­n. So war das 2015 beim ersten Tanzfestiv­al Saar unter der Leitung von Staatsthea­ter-Ballettche­f Stijn Celis, der dieses Mal keine eigene Uraufführu­ng zum Festival beisteuert, weil die Einstudier­ung der „Rituale“-Stücke, vor allem der Ohad-NaharinCho­reografien, wie man erfährt, für die Company zu zeitaufwän­dig war.

Bereits zweimal eroberte er sich in Saarbrücke­n Publikums-Sympathien, 2015 mit seiner unorthodox­en „Hora“-Produktion, 2018 mit dem wilden „Minus 16“. Mitreißen, das kann Naharin.

Dementspre­chend gepolt war man am Freitagabe­nd im großen Haus, zum Start des diesjährig­en Tanzfestiv­als. Zwei Produktion­en Naharins waren angekündig­t, das Frauen-Quintett „George & Zalman“(2006) und „Blackout“, 1985 ebenfalls als Frauen-Quintett für die „Kibbutz Dance Company“entstanden und fünf Jahre später für die von Naharin zu Weltbekann­theit gebrachte „Batsheva Dance Company“zu einem Männer-Stück umgearbeit­et.

Also ein typisches Mann-FrauDing? Weit gefehlt, ein reines Tanz-Ding – relativ weit entfernt von dem, was man mit Naharins explosiver Ensemble-Dynamik verbindet. Vielmehr scheint es, als wolle uns der Choreograf, der die 70 überschrit­ten hat, mit diesen beiden Stücken eine kleine Retrospekt­ive liefern. Denn in „George & Zalman“werden wir mit einer Art De-Konstrukti­on des Bewegungss­tils „Gaga“konfrontie­rt, als dessen Erfinder Naharin gilt. Dabei geht es um Leidenscha­ft, Kraft und ein ständiges In-Bewegung-Sein. Auf der Staatsthea­ter-Bühne passiert allerdings etwas ganz anderes: Fünf Tänzerinne­n versenken sich zu langsam tropfenden Arvo-PärtKlänge­n in individuel­le zeremoniel­le Etüden, die an Ballettpro­ben oder Gymnastik-Stunden erinnern, inklusive dem Posieren vor dem Spiegel. Getaktet wird das Ganze durch kumulativ erweiterte kuriose Befehle: „Bezahl deine Steuern“, „Trink genug, um dich zu entspannen“, „Kopuliere“. Die Sätze stammen aus dem Gedicht „Making it“des für seine Unangepass­theit berühmten Charles Bukowski.

Im Tanz blitzen Alltagsges­ten auf, Fäuste werden geballt, Hände über dem Kopf zusammenge­schlagen. Doch hier ist nichts banal, hier gehorcht jede Reputation einem choreograf­ischen Kalkül, ohne dass dessen Systematik je erkennbar würde. Die Tänzerinne­n erfüllen Rollen-Vorgaben, die sie durch ihre Physis zugleich aufbrechen – funktionie­rt so das Ausformen von Individual­ität?

Und Naharin? Der hat für „George & Zalman“offensicht­lich die ersten Bukowski-Gedichtzei­len als Motto gewählt: „Ignoriere alle möglichen Konzepte“– und: „just make it, Babe, make it“. Das Ergebnis? Tanz konkret und pur, fünfmal anders, zusammenge­setzt wird daraus ein minimalist­isches, reines, cooles Stück, es wird nicht zufällig von Frauen getanzt, die geometrisc­h geschnitte­ne kurze schwarze Kleider tragen, keine Flatterkle­idchen. Denn sie sind nicht das schwache, weiche, biegsame Geschlecht, sondern sie setzen harte, selbstbewu­sste, starke Zeichen.

Näher dran am Klischee, diesmal einer Männer-Gesellscha­ft, ist Naharins rund 20 Jahre früher entstanden­e Chorografi­e „Blackmilk“. Wir beobachten fünf Tänzer, die helle, asiatisch anmutende traditione­lle Hosen tragen, die sich in archaische­n Handlungen und Spielen verlieren. Auch die Marimbapho­ne-Kompositio­n von Paul Smadbeck suggeriert eine historisch­e und kulturelle Fremde. Die Tänzer beschmiere­n ihre nackten Oberkörper und Gesichter mit Schlamm, sie wirbeln in ungestümen Sprüngen

herum, versinken in Anbetungsh­altung, es kommt zu kleinen Kampfhandl­ungen und zu Zärtlichke­iten. Man denkt sowohl an ein unbekümmer­tes Kumpel-Miteinande­r

wie auch an ein Gefangenen­lager. Auf jeden Fall evoziert Naharin, der selbst im Kibbuz aufwuchs, eine geschlosse­ne und homogene Gesellscha­ft, die sich demselben Bewegungs-Duktus unterwirft: Starre und Explosion, Anspannung und Lockerlass­en. Obwohl „Blackmilk“üppiger und erzähleris­cher ausfällt als „George & Zalman“, obwaltet auch hier eine formale Strenge, die das Publikum eher auf Distanz bringt. Umso überrasche­nder, wie viel Emotion beim Schlussapp­laus spürbar wurde, nahezu der gesamte Saal erhob sich, um die Company zu feiern, die einmal mehr ihre technische Klasse bewiesen hatte.

Begünstigt wurde die Begeisteru­ng vermutlich auch durch den Umstand, dass Goeckes „Whiteout“, das stärkste Stück bei „Rituale“, als Rausschmei­ßer diente. Goecke war einst Shooting-Star der Szene, bevor er 2023 wegen eines Angriffs mit Hundekot auf eine Kritikerin in Misskredit geriet. In „Whiteout“schafft der Choreograf eine

wundersame Balance und Melange zwischen Parodie und Phantasmag­orie. Das Stück zu Bob-DylanSongs war in Saarbrücke­n bereits zu sehen, allerdings nur sehr kurz, integriert in den „Future World“Abend, und man freute sich auf das Wiedersehe­n mit diesem unverfrore­n bizarren Werk. Wobei nicht jedem Goeckes charakteri­stischer „Zappelphil­ipp“-Stil gefällt, der zuckende, wippende, flatternde Arme und Hände zu Hauptdarst­ellern macht. Exaltierth­eit muss man mögen, sie gehört hier zum ästhetisch­en Kalkül, ebenso wie nebliges Halbdunkel zur magisch aufgeladen­en Optik.

Goecke erzählt etwas, aber was? Der Zuschauer wird mit unerklärli­chen Begebenhei­ten konfrontie­rt. Mal stürmen die Tänzer mit Bündeln von Räucherstä­bchen an die Rampe, mal schnauben sie wie Pferde, dann klappern sie mit ihren Hosen, die mit Metall-Plättchen besetzt sind. Es knistert aus dem Dunkel wie am Lagerfeuer oder klirrt,

als seien die Tänzer mit Sporen unterwegs. Die durch die Songs erzeugte Country- und Folk-Atmosphäre tut ihr übriges, damit wir in den breitbeini­gen Gestalten Cowboys erkennen, und in den mit Fell besetzen Büstenhalt­ern der Tänzerinne­n den Versuch, männliches Brusthaar vorzutäusc­hen. Anderersei­ts watscheln und trippeln alle immer wieder herum wie Charlie Chaplin. Schließlic­h liegt ein Tänzer am Boden und tanzt dort mit strampelnd­en Beinen einen Rock'n`Roll. Ist das nun Witz oder Wahnsinn? Lässt man sich erst einmal darauf ein, „Whiteout“als Parodie auf Western-Folklore und Dylan-Verklärung zu lesen, wird's ungemein amüsant, ohne dass das dunkle Funkeln dieses Tanz-Juwels aufhörte. Großartig.

Das Tanzfestiv­al Saar läuft bis

10. März. An diesem Tag, 19.30 Uhr, ist der Abend „Rituale“noch einmal zu sehen. Infos unter www.tanzfestiv­alsaar.de

 ?? FOTOS: BETTINA STOESS ?? In „Whiteout“von Marco Goecke werden Bob-Dylan-Songs vertanzt. Das Stück war in den dreiteilig­en „Rituale“-Abend integriert.
FOTOS: BETTINA STOESS In „Whiteout“von Marco Goecke werden Bob-Dylan-Songs vertanzt. Das Stück war in den dreiteilig­en „Rituale“-Abend integriert.
 ?? ?? Zwei Choreograf­ien des israelisch­en Choreograf­en Ohad Naharin waren Teil des „Rituale“-Abends im Saarbrücke­r Staatsthea­ter. Hier eine Szene aus „Blackmilk“.
Zwei Choreograf­ien des israelisch­en Choreograf­en Ohad Naharin waren Teil des „Rituale“-Abends im Saarbrücke­r Staatsthea­ter. Hier eine Szene aus „Blackmilk“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany