Die Unbelehrbaren in der linken Szene
Nach der Verhaftung von Daniela Klette zeigt sich: Es gibt noch immer Sympathie für frühere RAFMitglieder. In den Anfängen der Terrorgruppe war die Billigung von Gewalt durch die linke Szene ein ernstes Problem für den Staat.
Am Mittwoch prangt ein weithin sichtbares Banner an der Front der „Roten Flora“in Hamburg. „Solidarität mit Burkhard, Daniela, Volker“, ist darauf zu lesen. Außerdem: „Wir stehen zusammen!“und: „Für euch Gesundheit & Glück!“. Die Solidaritätsadresse gilt offensichtlich den ehemaligen Mitgliedern der Rote-Armee-Fraktion (RAF) Burkhard Garweg, ErnstVolker Staub und Daniela Klette. Letztere war am Dienstag in BerlinKreuzberg nach drei Jahrzehnten im Untergrund gefasst worden. Die „Rote Flora“ist das Zentrum der Linksradikalen in der Hansestadt, zuletzt war sie im Zusammenhang mit der Gewaltorgie rund um den G20Gipfel 2017, die dort zum Teil geplant worden sein soll, in die Schlagzeilen geraten.
Die Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP) wiederum erkennt in Berlin als Ort der Festnahme ein wichtiges Indiz: Dass sich Klette jahrelang unbehelligt in Kreuzberg habe aufhalten können, zeige, dass es sich bei der Hauptstadt nach wie vor um eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene handele.
Wie in Hamburg gibt es auch dort Solidaritätsbekundungen: „Viel Kraft Daniela – und viel Glück Burkhard & Volker!“, steht auf einer Matratze am Landwehrkanal und offenbar noch an einer anderen Stelle im Bezirk Kreuzberg. Der „Tagesspiegel“zitierte nach dem Zugriff wie zum Beweis einen verblüfften Nachbarn Klettes, der seine Sympathie nicht verhehlen konnte: „Da habe ich jahrelang neben der Genossin gewohnt, das gibt's ja nicht“. Seine Abschiedsparole habe gelautet: „Rotfront!“
Was die Rechtfertigung von Gewalt angeht, pflegte die linke Szene in ihrem Streben nach revolutionären gesellschaftlichen Umbrüchen von Anfang an ein höchst ambivalentes Verhältnis zum Terrorismus der RAF. Bis heute werden deren Protagonisten, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Brigitte Mohnhaupt, Ulrike Meinhof und andere, in bestimmten Kreisen popkulturell als coole Typen verklärt und nicht als die Kriminellen wahrgenommen, die sie waren und sind.
Vor bald einem halben Jahrhundert, am 7. April 1977, bildete die Erschießung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback durch Mitglieder der RAF den Auftakt für ein Terrorjahr, das im sogenannten Deutschen Herbst gipfelte. In seinem Pamphlet „Buback – ein Nachruf“, das kurz nach dem Attentat in der Zeitung des Asta der Universität Göttingen veröffentlicht wurde, schildert ein gewisser Mescalero seine spontane Freude über den Mord an dem ehemaligen Mitglied der NSDAP: „Meine unmittelbare Reaktion, meine ‚Betroffenheit` nach dem Abschuss (!) von Buback ist schnell geschildert: Ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören.“
Der Verfasser bezeichnet sich selbst als „Stadtindianer“. Das war eine von vielen Gruppen, Einzelpersonen, politischen Bewegungen, Parteien und Parteiflügeln, aus der seit Mitte der 60er Jahre in der Bundesrepublik wie in anderen Ländern Westeuropas und in Nordamerika die „Neue Linke“erwachsen war. Sie alle vereinte der – zunächst nur intellektuelle – Entwurf einer Gegengewalt zum Gewaltmonopol eines als übermächtig und – was die junge westdeutsche Republik betraf – von Alt-Nazis durchsetzt empfundenen Staates. Wobei die Bereitschaft zur tatsächlichen Gewaltanwendung in dem Maße zunahm, wie massiv dieser Staat auf die Angriffe gegen sich reagierte. Dabei hatte Mescalero seine Mitstreiter auf dem Weg zum Sozialismus letztlich auch davor gewarnt, nicht „die gleichen Killervisagen wie die Bubacks“zu bekommen.
Kein Geringerer als die linke Ga
lionsfigur, der französische Philosoph, Begründer des französischen Existenzialismus und Großneffe des berühmten Albert Schweitzer, JeanPaul Sartre, hatte gar am 4. Dezember 1974 dem rechtskräftig verurteilten Terroristen Andreas Baader im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim einen Besuch abgestattet. Das Gespräch war dem Protokoll zufolge inhaltlich ein ziemliches Desaster, doch wurde die Visite als Geste der Sympathie interpretiert, zumal der damals schon fast erblindete Sartre anschließend behauptete, der RAFAnführer sei Isolationsfolter ausgesetzt – obwohl er dessen Zelle gar nicht gesehen hatte.
Selbst Erich Fried, Verfasser von bis heute viel zitierter Liebeslyrik und ein Freund des marxistischen Wortführers der Studentenbewegung der 60er Jahre, Rudi Dutschke, befand in den sieben Strophen seines Gedichts „Auf den Tod des Generalbundesanwalts Siegfried Buback“, ihm graue im Angesicht vor dessen brutalem Ende nur „fast so sehr“wie vor dem Leben Bubacks. Im Zentrum des
Poems steht die Kritik an der Person des Generalbundesanwalts („Dieses Stück Fleisch glaubte, Recht zu tun, und tat Unrecht“) und ein vergleichsweise milder Tadel für dessen Mörder („Es wäre besser gewesen, so ein Mensch wäre nicht so gestorben. Es wäre besser gewesen, ein Mensch hätte nicht so gelebt“).
Gewalt – in realer wie auch in imaginierter Form – wurde im linken Spektrum seinerzeit „eine reinigende und damit bewusstseinserweiternde Bedeutung zugeschrieben“, schreibt Marcus M. Payk, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg. Doch entschieden war die zwischen Demokratie und Revolution schwankende Szene keineswegs.
Zwar schafften es die Unterstützer und Anwälte anlässlich des vierten Hungerstreiks der RAF-Gefangenen im April 1977, die Unterschriften einer großen Zahl von Intellektuellen unter einem „Offenen Aufruf an die Justizbehörden“zu versammeln. Doch andere wie Oskar Negt,
Heinrich Böll, Freimut Duve, Walter Jens oder Martin Walser begannen, vehement zu widersprechen: Zu Solidarität bestehe nicht der geringste Anlass. Ihre „Briefe zur Verteidigung der Republik“überschritten schon Ende 1977 eine Auflage von 100 000. „Sie wirkten“, schreibt der Schweizer Historiker Philipp Sarasin, „wie eine erneute Grundlegung der Bundesrepublik aus dem Geiste ihrer liberalen und linken Verteidiger und sprachen offenbar für viele das aus, was gesagt werden musste. Verteidigt wurde explizit nicht die Bundesrepublik als
existierender Staat, sondern eben die Republik, das heißt ein Demokratieprojekt, das nicht von der Polizei, sondern nur von den Bürgerinnen und Bürgern verteidigt werden konnte.“
Am Ende des blutigen Jahres 1977 konnte der Rechtsstaat seinen Anspruch auf das Gewaltmonopol behaupten. Nicht durch Repression, sondern weil der Terrorismus sich von seiner wahren, seiner brutalsten Seite gezeigt hatte. Nur eine kleine Minderheit in diesem Land hat das noch nicht begriffen.