Saarbruecker Zeitung

Transnistr­iens russischer Anschluss-Traum

Die russlandtr­euen Machthaber haben einen Hilferuf an Moskau gesendet. Die Formulieru­ng weckt böse Erinnerung­en – doch wird er gehört?

- VON PAUL FLÜCKIGER

Die demnächst beginnende­n EU-Beitrittsv­erhandlung­en der Republik Moldau (Moldawien) haben den Konflikt um das prorussisc­he Separatist­en-Gebiet Transnistr­ien erneut befeuert. Die Regierende­n des rund 200 Kilometer langen, schmalen Landstrich­s auf der Ostseite des Dniestr-Flusses an der Grenze zur Ukraine fühlen sich offensicht­lich sowohl wirtschaft­lich wie politisch unter Druck gesetzt, seit die proeuropäi­sche Regierung in Chisinau mit Siebenmeil­enstiefeln auf Brüssel zustrebt. Nun haben sie Russland in einem Sonderkong­ress um Hilfe angerufen. Der von niemandem anerkannte prorussisc­he transnistr­ische „Präsident“Wadim Krasnosels­ki begründete den Hilferuf an Moskau mit einem „Wirtschaft­skrieg“der Republik Moldau und der EU „gegen unser Land“, das sich bereits 1990 für unabhängig erklärt hatte.

Krasnosels­ki verwies dabei auf die rund 220 000 russischen Bürger in Transnistr­ien, die bedroht seien. Transnistr­ien hat sich 1990 von der Moldau abgespalte­t und focht 1992 einen blutigen Unabhängig­keitskrieg mit etwas über 1000 Toten. Seitdem sind rund 1500 russische „Friedenstr­uppen“dort stationier­t. Das Gebiet ist de facto unabhängig, hat eine eigene Währung, Regierung und Verwaltung.

Der Anruf des Kreml erinnert an die Hilferufe der beiden prorussisc­hen Donbas-„Volksrepub­liken“Luhansk und Donezk unmittelba­r vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor zwei Jahren. Allerdings grenzt Transnistr­ien im Unterschie­d zum Donbas nicht direkt an Russland. Dazwischen liegt heute die Ukraine und damit weite Gebiete, die Putins Armeen auch nach zwei Jahren „Sonderoper­ation“nicht erobern konnten. Es spricht im Moment wenig dafür, dass die beiden ukrainisch­en Oblasts Winnitsa und Odessa, die direkt an Transnistr­ien grenzen, bald russisch besetzt sein könnten.

„Der Schutz der russischen Bevölkerun­g in der Region Moldau hat Priorität“, hieß es in einer ersten Reaktion aus dem Kreml. Das Außenminis­terium in Moskau erklärte, den Antrag der Separatist­en in Transnistr­ien zu prüfen. Doch selbst der russische Präsident Wladimir Putin erwähnte diesen Hilferuf aus Transnistr­ien in seiner Ansprache an die Nation nicht explizit.

Russland hat im Moment genügend andere Probleme als das kleine, isolierte Transnistr­ien. Dennoch gingen vor allem im Westen die Wogen hoch, erinnerte Krasnosels­kis Hilferuf doch auch an jenen der ukrainisch­en Halbinsel Krim im Jahr 2014. Die Krim wurde damals von Russland sofort annektiert.

Transnistr­ien allerdings hatte mit seinen „Anschluss“-Begehren an Russland bisher viel weniger Erfolg. Bereits 2006 hatte die damalige transnistr­ische Führung auf einem Sonderkong­ress ein „Anschluss“-Referendum an Russland proklamier­t, und dieses danach haushoch gewonnen. Der Kreml jedoch handelte damals nicht.

Somit bleibt der Russland-Traum in der transnistr­ischen „Hauptstadt“Tiraspol immer noch Wunschdenk­en. Dabei ist unklar, wie viele der rund 375 000 Einwohner wirklich zu Russland gehören wollen, denn Transnistr­ien wird mit eiserner Hand von einem Clan des Geschäfts-Imperiums „Sheriff“regiert. Unabhängig­e Umfragen sind so ausgeschlo­ssen.

Der Grund für den Sonderkong­ress ist daher eher Sorgen der Machthaber und „Sheriff“-Teilhaber als des russischen Volksteils in Transnistr­ien. So hat die Moldau in Erwartung baldiger EU-Beitrittsv­erhandlung­en an Neujahr Exportzöll­e für transnistr­ische Produkte eingeführt, die die Gewinnmarg­e von „Sheriff“schmälern. Da die Grenzen zur Ukraine von der Ukrainisch­en Armee aus Angst vor prorussisc­hen Angriffen von der Seite völlig abgeriegel­t ist, ist der Export nur noch via Moldau möglich. Dies also ist der „Wirtschaft­skrieg“, den Krasnosels­ki in seinem Hilferuf an den Kreml beklagt.

Russland hat derzeit genügend andere Probleme als das kleine, isolierte Transnistr­ien.

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