Transnistriens russischer Anschluss-Traum
Die russlandtreuen Machthaber haben einen Hilferuf an Moskau gesendet. Die Formulierung weckt böse Erinnerungen – doch wird er gehört?
Die demnächst beginnenden EU-Beitrittsverhandlungen der Republik Moldau (Moldawien) haben den Konflikt um das prorussische Separatisten-Gebiet Transnistrien erneut befeuert. Die Regierenden des rund 200 Kilometer langen, schmalen Landstrichs auf der Ostseite des Dniestr-Flusses an der Grenze zur Ukraine fühlen sich offensichtlich sowohl wirtschaftlich wie politisch unter Druck gesetzt, seit die proeuropäische Regierung in Chisinau mit Siebenmeilenstiefeln auf Brüssel zustrebt. Nun haben sie Russland in einem Sonderkongress um Hilfe angerufen. Der von niemandem anerkannte prorussische transnistrische „Präsident“Wadim Krasnoselski begründete den Hilferuf an Moskau mit einem „Wirtschaftskrieg“der Republik Moldau und der EU „gegen unser Land“, das sich bereits 1990 für unabhängig erklärt hatte.
Krasnoselski verwies dabei auf die rund 220 000 russischen Bürger in Transnistrien, die bedroht seien. Transnistrien hat sich 1990 von der Moldau abgespaltet und focht 1992 einen blutigen Unabhängigkeitskrieg mit etwas über 1000 Toten. Seitdem sind rund 1500 russische „Friedenstruppen“dort stationiert. Das Gebiet ist de facto unabhängig, hat eine eigene Währung, Regierung und Verwaltung.
Der Anruf des Kreml erinnert an die Hilferufe der beiden prorussischen Donbas-„Volksrepubliken“Luhansk und Donezk unmittelbar vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor zwei Jahren. Allerdings grenzt Transnistrien im Unterschied zum Donbas nicht direkt an Russland. Dazwischen liegt heute die Ukraine und damit weite Gebiete, die Putins Armeen auch nach zwei Jahren „Sonderoperation“nicht erobern konnten. Es spricht im Moment wenig dafür, dass die beiden ukrainischen Oblasts Winnitsa und Odessa, die direkt an Transnistrien grenzen, bald russisch besetzt sein könnten.
„Der Schutz der russischen Bevölkerung in der Region Moldau hat Priorität“, hieß es in einer ersten Reaktion aus dem Kreml. Das Außenministerium in Moskau erklärte, den Antrag der Separatisten in Transnistrien zu prüfen. Doch selbst der russische Präsident Wladimir Putin erwähnte diesen Hilferuf aus Transnistrien in seiner Ansprache an die Nation nicht explizit.
Russland hat im Moment genügend andere Probleme als das kleine, isolierte Transnistrien. Dennoch gingen vor allem im Westen die Wogen hoch, erinnerte Krasnoselskis Hilferuf doch auch an jenen der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014. Die Krim wurde damals von Russland sofort annektiert.
Transnistrien allerdings hatte mit seinen „Anschluss“-Begehren an Russland bisher viel weniger Erfolg. Bereits 2006 hatte die damalige transnistrische Führung auf einem Sonderkongress ein „Anschluss“-Referendum an Russland proklamiert, und dieses danach haushoch gewonnen. Der Kreml jedoch handelte damals nicht.
Somit bleibt der Russland-Traum in der transnistrischen „Hauptstadt“Tiraspol immer noch Wunschdenken. Dabei ist unklar, wie viele der rund 375 000 Einwohner wirklich zu Russland gehören wollen, denn Transnistrien wird mit eiserner Hand von einem Clan des Geschäfts-Imperiums „Sheriff“regiert. Unabhängige Umfragen sind so ausgeschlossen.
Der Grund für den Sonderkongress ist daher eher Sorgen der Machthaber und „Sheriff“-Teilhaber als des russischen Volksteils in Transnistrien. So hat die Moldau in Erwartung baldiger EU-Beitrittsverhandlungen an Neujahr Exportzölle für transnistrische Produkte eingeführt, die die Gewinnmarge von „Sheriff“schmälern. Da die Grenzen zur Ukraine von der Ukrainischen Armee aus Angst vor prorussischen Angriffen von der Seite völlig abgeriegelt ist, ist der Export nur noch via Moldau möglich. Dies also ist der „Wirtschaftskrieg“, den Krasnoselski in seinem Hilferuf an den Kreml beklagt.
Russland hat derzeit genügend andere Probleme als das kleine, isolierte Transnistrien.