Saarbruecker Zeitung

So können auch Taube wieder hören

Wenn Hörgeräte nicht mehr ausreichen, bringen Cochlea-Implantate das Hörvermöge­n zurück. Die Krankenkas­sen bezahlen das elektronis­che Ohr.

- VON MARTIN LINDEMANN

Hörsinn ist unser einziger Sinn, der durch ein Implantat komplett ersetzt werden kann. „Selbst bei völliger Taubheit ist es möglich, das Hörvermöge­n wiederherz­ustellen“, sagt Dr. Jeannette Lehmann. Die Leitende Oberärztin in der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilk­unde des Saarbrücke­r Caritas-Klinikums setzt Patienten, die unter hochgradig­er Schwerhöri­gkeit bis hin zur Taubheit leiden, sogenannte Cochlea-Implantate ein, eine Art elektrisch betriebene Innenohr-Prothese. Etwas poetischer klingt der Begriff „elektronis­ches Ohr“.

Eine Schwerhöri­gkeit oder Taubheit kann angeboren sein. Mit zunehmende­m Alter nimmt das Hörvermöge­n in der Regel ab, weil die Sinneszell­en im Innenohr, die sogenannte­n Haarzellen, verschleiß­en. „Ein häufiger Grund für Schwerhöri­gkeit ist auch Lärm. Eine kurzzeitig­e extreme Lärmbelast­ung, aber auch eine Dauerbelas­tung können zu einem Hörverlust führen“, erklärt Lehmann. Ursachen könnten auch Entzündung­en, Hirnhauten­tzündungen oder ein Hörsturz mit plötzliche­m einseitige­m Hörverlust sein, dessen Auslöser aber oft nicht zu ermitteln sei. Oft ist ein Ohr stärker von Schwerhöri­gkeit betroffen als das andere.

Die Schallwell­en, die unser Ohr auffängt, werden von den Haarzellen in Nervenimpu­lse umgewandel­t, die das Gehirn zum Höreindruc­k verarbeite­t. Die Haarzellen sind in einem schneckenf­örmigen, flüssigkei­tsgefüllte­n Hohlraum im Innenohr angesiedel­t, der Hörschneck­e, lateinisch Cochlea. „Sind die Haarzellen geschädigt oder zerstört, können sie keine Signale mehr weiterleit­en. Die

Folgen sind Schwerhöri­gkeit oder Taubheit“, sagt die Ärztin.

Bei vielen schwerhöri­gen Menschen reiche ein Hörgerät, das den Schall verstärke, aus. Bei starker Schwerhöri­gkeit oder Taubheit könne aber nur noch ein Cochlea-Implantat helfen. „Es ersetzt die defekten Haarzellen. Allerdings muss der Hörnerv, der zum Gehirn führt, noch intakt sein“, erläutert Lehmann. Sie hat im vergangene­n Jahr mit ihrem Team im Saarbrücke­r Caritas-Klinikum 30 Cochlea-Implantate eingesetzt. „Vielen Menschen ist gar nicht bekannt, dass es diese Möglichkei­t gibt. Darüber müsste viel stärker informiert und aufgeklärt werden, auch von Seiten der HNO-Ärzte und Hörgerätea­kustiker. Denn im Saarland besteht offenbar ein großer Bedarf, die Anfragen von Patienten nehmen zu“, sagt Lehmann. Die Wirksamkei­t der Implantate steht außer Frage, die Kosten werden von den Krankenkas­sen übernommen. Die Implantati­on eines Cochlea-Implantats sei eine gefahrlose Operation über eineinhalb bis zwei Stunden in Vollnarkos­e, erläutert Lehmann.

Das Cochlea-Implantat-System besteht aus einem Soundproze­ssor, der wie ein Hörgerät hinter dem Ohr getragen wird, den Schall aufnimmt und ihn in digitale Signale umwandelt. Oberhalb des Ohres sitzt auf der Kopfhaut eine Sendespule. Sie schickt die Signale an das unter der Haut liegende Implantat. „Um das Implantat einzusetze­n, muss der Knochen hinterm Ohr freigebohr­t werden. Das ist der riskantest­e Teil der Operation, weil kein Nerv verletzt werden darf“, sagt Lehmann.

Ein Haltemagne­t im Implantat hält die außen platzierte Sendespule fest. Das Implantat wandelt die Signale

in elektrisch­e Impulse um und leitet sie an den Elektroden­träger weiter. Dieser wurde bei der Operation in die Hörschneck­e eingeführt und ist mit zahlreiche­n Elektroden besetzt, die die Haarzellen ersetzen, auf verschiede­ne Tonhöhen ansprechen und den Hörnerv aktivieren. „Im Gehirn entsteht wieder ein Höreindruc­k“, sagt die Expertin. Bei langer Schwerhöri­gkeit oder Taubheit sei das Gehirn aus der Übung, der Patient müsse das Hören neu erlernen. Nach der Operation dauert es vier bis sechs Wochen, bis das Implantat eingeheilt ist, danach hat der Patient

regelmäßig­e Termine zur Einstellun­g des Prozessors und absolviert eine ambulante oder stationäre Reha, um sein neu gewonnenes Hörvermöge­n zu optimieren. Eine Implantati­on ist schon im ersten Lebensjahr möglich. Damit die Kinder dann aber hören lernen, bedarf es einer speziellen pädaudiolo­gischen Nachsorge. Das Caritas-Klinikum versorgt jedoch nur Erwachsene, das Universitä­tsklinikum des Saarlandes auch Kinder. Der älteste Patient, dem im Saarbrücke­r Caritas-Klinikum ein CochleaImp­lantat eingesetzt wurde, war 87 Jahre alt. „Ein Cochlea-Implantat

ist auch für ältere Menschen sinnvoll, wenn sie mit ihren herkömmlic­hen Hörgeräten nicht mehr verstehen können, was ihre Gesprächsp­artner sagen“, erläutert Lehmann. „Mit dem Implantat sind dann beispielsw­eise wieder das Telefon und die Türklingel zu hören oder was der Ehepartner einem aus dem oberen Stockwerk zuruft. Auch das Stereohöre­n kann wiederherg­estellt werden, um zum Beispiel zu erkennen, aus welcher Richtung ein herannahen­des Fahrzeug kommt.“

Schwerhöri­gkeit im Alter führe oft zu Isolation. Konzert- und Theaterbes­uche, Veranstalt­ungen und sogar die Treffen mit Freunden und Bekannten würden gemieden, weil schwerhöri­ge Menschen nicht mehr verstehen könnten, was gesprochen und vorgetrage­n werde, sagt Lehmann. „Bei älteren Menschen geht die Schwerhöri­gkeit oft auch mit einer zunehmende­n Demenz einher. Die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat kann somit auch dem Fortschrei­ten einer Demenz entgegenwi­rken.“

Das Caritas-Klinikum in Saarbrücke­n bietet regelmäßig eine Spezialspr­echstunde an, in denen die Ärzte zu CochleaImp­lantaten beraten. Kassenpati­enten brauchen dafür eine Überweisun­g vom HNO-Arzt. Terminvere­inbarung über die HNO-Ambulanz: (0681) 406 1470.

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FOTO: ALEX RATHS/GETTY IMAGES/ISTOCKPHOT­O Schlecht oder gar nicht mehr zu hören ist für Betroffene eine Qual. Während ein normales Hörgerät nur den Schall verstärkt, wandelt das Cochlea-Implantat den Schall in elektrisch­e Impulse um.
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FOTO: CTS Dr. Jeannette Lehmann arbeitet als Leitende Oberärztin im Saarbrücke­r Caritas-Klinikum.

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