So können auch Taube wieder hören
Wenn Hörgeräte nicht mehr ausreichen, bringen Cochlea-Implantate das Hörvermögen zurück. Die Krankenkassen bezahlen das elektronische Ohr.
Hörsinn ist unser einziger Sinn, der durch ein Implantat komplett ersetzt werden kann. „Selbst bei völliger Taubheit ist es möglich, das Hörvermögen wiederherzustellen“, sagt Dr. Jeannette Lehmann. Die Leitende Oberärztin in der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde des Saarbrücker Caritas-Klinikums setzt Patienten, die unter hochgradiger Schwerhörigkeit bis hin zur Taubheit leiden, sogenannte Cochlea-Implantate ein, eine Art elektrisch betriebene Innenohr-Prothese. Etwas poetischer klingt der Begriff „elektronisches Ohr“.
Eine Schwerhörigkeit oder Taubheit kann angeboren sein. Mit zunehmendem Alter nimmt das Hörvermögen in der Regel ab, weil die Sinneszellen im Innenohr, die sogenannten Haarzellen, verschleißen. „Ein häufiger Grund für Schwerhörigkeit ist auch Lärm. Eine kurzzeitige extreme Lärmbelastung, aber auch eine Dauerbelastung können zu einem Hörverlust führen“, erklärt Lehmann. Ursachen könnten auch Entzündungen, Hirnhautentzündungen oder ein Hörsturz mit plötzlichem einseitigem Hörverlust sein, dessen Auslöser aber oft nicht zu ermitteln sei. Oft ist ein Ohr stärker von Schwerhörigkeit betroffen als das andere.
Die Schallwellen, die unser Ohr auffängt, werden von den Haarzellen in Nervenimpulse umgewandelt, die das Gehirn zum Höreindruck verarbeitet. Die Haarzellen sind in einem schneckenförmigen, flüssigkeitsgefüllten Hohlraum im Innenohr angesiedelt, der Hörschnecke, lateinisch Cochlea. „Sind die Haarzellen geschädigt oder zerstört, können sie keine Signale mehr weiterleiten. Die
Folgen sind Schwerhörigkeit oder Taubheit“, sagt die Ärztin.
Bei vielen schwerhörigen Menschen reiche ein Hörgerät, das den Schall verstärke, aus. Bei starker Schwerhörigkeit oder Taubheit könne aber nur noch ein Cochlea-Implantat helfen. „Es ersetzt die defekten Haarzellen. Allerdings muss der Hörnerv, der zum Gehirn führt, noch intakt sein“, erläutert Lehmann. Sie hat im vergangenen Jahr mit ihrem Team im Saarbrücker Caritas-Klinikum 30 Cochlea-Implantate eingesetzt. „Vielen Menschen ist gar nicht bekannt, dass es diese Möglichkeit gibt. Darüber müsste viel stärker informiert und aufgeklärt werden, auch von Seiten der HNO-Ärzte und Hörgeräteakustiker. Denn im Saarland besteht offenbar ein großer Bedarf, die Anfragen von Patienten nehmen zu“, sagt Lehmann. Die Wirksamkeit der Implantate steht außer Frage, die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen. Die Implantation eines Cochlea-Implantats sei eine gefahrlose Operation über eineinhalb bis zwei Stunden in Vollnarkose, erläutert Lehmann.
Das Cochlea-Implantat-System besteht aus einem Soundprozessor, der wie ein Hörgerät hinter dem Ohr getragen wird, den Schall aufnimmt und ihn in digitale Signale umwandelt. Oberhalb des Ohres sitzt auf der Kopfhaut eine Sendespule. Sie schickt die Signale an das unter der Haut liegende Implantat. „Um das Implantat einzusetzen, muss der Knochen hinterm Ohr freigebohrt werden. Das ist der riskanteste Teil der Operation, weil kein Nerv verletzt werden darf“, sagt Lehmann.
Ein Haltemagnet im Implantat hält die außen platzierte Sendespule fest. Das Implantat wandelt die Signale
in elektrische Impulse um und leitet sie an den Elektrodenträger weiter. Dieser wurde bei der Operation in die Hörschnecke eingeführt und ist mit zahlreichen Elektroden besetzt, die die Haarzellen ersetzen, auf verschiedene Tonhöhen ansprechen und den Hörnerv aktivieren. „Im Gehirn entsteht wieder ein Höreindruck“, sagt die Expertin. Bei langer Schwerhörigkeit oder Taubheit sei das Gehirn aus der Übung, der Patient müsse das Hören neu erlernen. Nach der Operation dauert es vier bis sechs Wochen, bis das Implantat eingeheilt ist, danach hat der Patient
regelmäßige Termine zur Einstellung des Prozessors und absolviert eine ambulante oder stationäre Reha, um sein neu gewonnenes Hörvermögen zu optimieren. Eine Implantation ist schon im ersten Lebensjahr möglich. Damit die Kinder dann aber hören lernen, bedarf es einer speziellen pädaudiologischen Nachsorge. Das Caritas-Klinikum versorgt jedoch nur Erwachsene, das Universitätsklinikum des Saarlandes auch Kinder. Der älteste Patient, dem im Saarbrücker Caritas-Klinikum ein CochleaImplantat eingesetzt wurde, war 87 Jahre alt. „Ein Cochlea-Implantat
ist auch für ältere Menschen sinnvoll, wenn sie mit ihren herkömmlichen Hörgeräten nicht mehr verstehen können, was ihre Gesprächspartner sagen“, erläutert Lehmann. „Mit dem Implantat sind dann beispielsweise wieder das Telefon und die Türklingel zu hören oder was der Ehepartner einem aus dem oberen Stockwerk zuruft. Auch das Stereohören kann wiederhergestellt werden, um zum Beispiel zu erkennen, aus welcher Richtung ein herannahendes Fahrzeug kommt.“
Schwerhörigkeit im Alter führe oft zu Isolation. Konzert- und Theaterbesuche, Veranstaltungen und sogar die Treffen mit Freunden und Bekannten würden gemieden, weil schwerhörige Menschen nicht mehr verstehen könnten, was gesprochen und vorgetragen werde, sagt Lehmann. „Bei älteren Menschen geht die Schwerhörigkeit oft auch mit einer zunehmenden Demenz einher. Die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat kann somit auch dem Fortschreiten einer Demenz entgegenwirken.“
Das Caritas-Klinikum in Saarbrücken bietet regelmäßig eine Spezialsprechstunde an, in denen die Ärzte zu CochleaImplantaten beraten. Kassenpatienten brauchen dafür eine Überweisung vom HNO-Arzt. Terminvereinbarung über die HNO-Ambulanz: (0681) 406 1470.