Anwälte des einstigen „Oberskins“erheben Vorwürfe gegen Polizei
Im zweiten Prozess um den tödlichen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Saarlouis hat die Verteidigung des Angeklagten die Saar-Polizei kritisiert.
Pünktlich um 9.30 Uhr betritt Peter St. den Saal. Erneut in Handschellen. Wolfgang Stahl, der Verteidiger des 54-jährigen Saarlouisers, dem die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage Beihilfe zum Mord an Samuel Yeboah und zum versuchten Mord in 20 weiteren Fällen durch einen rassistischen Brandanschlag 1991 in Saarlouis vorwirft, hatte das zu Prozessauftakt vergangene Woche moniert: Seinen Mandanten in Handschellen vor der anwesenden Presse in den Saal zu führen, verletze dessen Menschenwürde, komme einer „Vorverurteilung“gleich.
Peter St. leide an einem Hüftschaden und habe kein Interesse an einem Fluchtversuch. Das Gericht ließ sich von dieser Argumentation offenbar nicht überzeugen. Auch eine Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofs schloss bei der Haftprüfung Mitte Dezember eine
Fluchtgefahr beim Angeklagten nicht aus, weshalb die Untersuchungshaft aufrechterhalten wurde.
Kriminalhauptkommissar Hentges soll an diesem Montag, dem zweiten Verhandlungstag, als Zeuge gehört werden. Eigentlich. Denn die Verteidigung versucht, die Vernehmung des Zeugen kurzfristig zu verhindern, soweit er Angaben zu den polizeilichen Vernehmungen ihres Mandanten macht. Warum? Peter St. sei nicht über seine Rechte belehrt worden. Es sind gravierende Vorwürfe, die die Verteidigung hier der saarländischen Polizei gegenüber erhebt: Es handele sich um eine massive Verletzung von Verfahrensrechten, eine Verletzung der Belehrungspflicht in mindestens drei Fällen – der jetzt Angeklagte sei damals nur als Zeuge, nicht aber als Beschuldigter belehrt worden. Und das zu einem Zeitpunkt, als die Polizei längst einen Verdacht gegen ihn gehegt habe. Die Aussagen, so der Antrag seiner Anwälte, dürften daher nicht verwertet werden. Das Landespolizeipräsidium wollte diese Vorwürfe am Montag auf Anfrage nicht weiter kommentieren.
Die Verteidigung verfolgt in diesem Verfahren, das zeichnet sich am zweiten Tag ab, eine offensive Strategie. Was der Zeuge Hentges nicht sagen dürfen soll, liest Rechtsanwalt Kienle dann in seinem Antrag – zumindest in Teilen – selbst vor: Der Kriminalbeamte sei früh davon ausgegangen, dass in der Szene nichts – auch nicht der tödliche Brandanschlag – geplant oder durchgeführt wurde, ohne dass Peter St. als tonangebende Figur der saarländischen Neonaziszene seine Zustimmung gegeben habe.
Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück, 40 Minuten später die Entscheidung: Der Zeuge darf zu diesem Thema vernommen werden. Unzufriedene Gesichter bei der Verteidigung. Der Polizeibeamte sagt aus, er habe Peter St. dreimal vernommen: im Oktober 2020, im Januar 2021 und im April 2022. Und er bestätigt, was Rechtsanwalt Kienle in seiner Aussage bereits vorweggenommen hat.
Für die Ermittlungsgruppe der saarländischen Polizei sei nach einiger Zeit absehbar gewesen, dass der Angeklagte eine wichtige Rolle in der Szene gespielt haben müsse – sein Name sei in mehr als 100 Vernehmungen immer wieder gefallen: Er habe Anfang der 90er Jahre politische Themen in die Skinhead-Szene eingebracht, Kontakte zur FAP und NPD gepflegt und sei Mitte der 90er Jahre „Chef“der neonazistischen „Kameradschaft Saarlautern“gewesen. Letztlich will er der Szene aber 2006 den Rücken gekehrt und entsprechende Kontakte aufgegeben haben.
Am Abend vor der Tat saßen sie nach übereinstimmenden Aussagen zu dritt im „Bayrischen Hof“. An die Gesprächsthemen dieses Abends könne er sich nicht mehr genau erinnern, sagt St. mehr als 30 Jahre später bei der Polizei aus, „mit Sicherheit“seien aber auch die rassistischen Übergriffe im Osten Thema gewesen. An konkrete Äußerungen, insbesondere den Satz „Hier in Saarlouis müsste auch mal was passieren oder brennen“, den der Zeuge Heiko Sch. ihm zuschreibt und der auch der Anklage zugrunde liegt, konnte sich St. in den fraglichen Vernehmungen nicht erinnern.
Die Vernehmung des Zeugen konnte an diesem Tag nicht abgeschlossen werden und wird zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt. Dann soll der Zeuge nach Informationen unserer Zeitung auch dazu befragt werden, was die Durchsuchung der Wohnung des
Angeklagten Anfang 2021 ergeben hat. An diesem Dienstag wird der Hauptbelastungszeuge Heiko Sch. im Zeugenstand erwartet.
Dessen Aussage kommt im aktuellen Verfahren eine besondere Bedeutung zu. Denn Peter S., der im ersten Prozess im Mordfall Samuel Yeboah im Oktober wegen der rassistisch motivierten Brandstiftung zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt wurde, hatte Heiko Sch. als Haupttäter benannt. Er wollte augenscheinlich seinen besten Freund, den nun wegen Beihilfe angeklagten Peter St., aus der Schusslinie nehmen. Auch gegen Heiko Sch. sind in diesem Zusammenhang Ermittlungen eingeleitet worden. Die Bundesanwaltschaft wollte sich bis Redaktionsschluss nicht zu deren Stand äußern.
Die Verteidigung verfolgt in diesem Verfahren, das zeichnet sich am zweiten Tag ab, eine offensive Strategie