Saarbruecker Zeitung

Kaiserpavi­llon im Metzer Bahnhof soll öffnen

Der Bahnhof von Metz zählt für viele Franzosen zu den schönsten Frankreich­s. Dabei ist er ein Relikt der deutschen Annexion. Besonderes Kleinod ist der Kaiserpavi­llon. Heute meist verschloss­en, logierte hier früher Kaiser Wilhelm II. – und zwar prachtvoll

- VON SOPHIA SCHÜLKE

Wer diese besonderen Räume im Metzer Bahnhof sehen will, braucht den Schlüssel von der SNCF. Den bekommt nicht jeder, Svetlana Schmeltzer schon. Mit der Touristenf­ührerin kann man eine Runde durch jene Säle drehen, die früher vor allem einem vorbehalte­n waren – dem deutschen Kaiser Wilhelm II. „Er war 14 Mal in Metz. Dann war das Gleis 1 für seinen Hofzug reserviert, aus dem er ausstieg und vom Bahnsteig direkt in den Kaiserpavi­llon ging“, sagt die Touristenf­ührerin. Der Bahnhof von Metz wurde gebaut, als die Region annektiert und Teil des Deutschen Kaiserreic­hes war. Er sollte den monumental­en Endpunkt der militärstr­ategischen Kanonenbah­n ab Berlin markieren.

Während heute auf Gleis 1 nur normale Züge fahren und sich jedermann immer hier aufhalten darf, wird sich innen die Exklusivit­ät ändern. Der Kaiserpavi­llon, der „Salon de l`Empereur“, wie ihn die Metzer nennen, soll bald ein Ort für kulturelle Aktivitäte­n und Veranstalt­ungen werden. Gesucht sind „außergewöh­nliche Ideen für eine außergewöh­nliche Gelegenhei­t“, heißt es in einem Projektauf­ruf von „Retail & Connexions“.

Die Gesellscha­ft ist mit der Vermarktun­g von Verkaufsfl­ächen in rund 3000 französisc­hen Bahnhöfen beauftragt. Das Projekt soll zehn Jahre laufen. Welche Art von Konzept wohl überzeugen wird? „Ein Restaurant mit Gewinnzwec­k könnte hier dauerhaft kaum einziehen. Der große Ehrensaal steht ja unter Denkmalsch­utz, der den Einbau einer modernen Küche nie akzeptiere­n würde“, sagt Schmeltzer. Eher Ausstellun­gen und Konferenze­n. Bis dahin wird der Kaisersaal weiter geheizt und regelmäßig geputzt.

Zum Kaiserpavi­llon gehört mehr als nur ein Saal – auf zwei Etagen waren gleich mehrere Räume nur für den Kaiser und seine Familie bestimmt. Darunter Vestibül, Ehrensaal, Salon der Kaiserin und Esszimmer. „Geschlafen hat er hier aber nie, sondern lieber in seinem Schloss in Courcelles-Chaussy.“Gemeint ist das Château d`Urville, das der Kaiser 1890 kaufen und modernisie­ren ließ

und in seinem Hofzug ansteuerte – über eine inzwischen still gelegte Bahnstreck­e und einen längst verschwund­enen Bahnhof.

Markantest­er Blickfang des Kaiserpavi­llons im Metzer Bahnhof ist das große Fenster im Ehrensaal, das Karl den Großen zeigt. Jenen König des Fränkische­n Reiches, der 800 als erster westeuropä­ischer Herrscher seit der Antike die Kaiserwürd­e erhielt – und in Deutschlan­d als deutscher Herrscher und in Frankreich als Franzose wahrgenomm­en wurde. Heute wirbt die SNCF im Bahnhof auf Plakaten mit diesem Relikt aus der deutschen Annexion. Vollendet hat das Fenster 1905 der deutsche Glasmaler Karl Busch.

Das Fenster gegenüber ist heute in der Mitte schmucklos – „dort hat man nach dem Krieg den Reichsadle­r entfernt“, erklärt Schmeltzer. „Im Esszimmer gibt es Speiseaufz­üge und einen Balkon zur Stadtseite.“Außerdem gab es bereits Strom und fließend Wasser. „Es war ein hochmodern­er Bahnhof“, sagt Schmeltzer. Die Türen zu den insgesamt 636 Quadratmet­ern werden nicht nur gelegentli­ch nach Anmeldung für Touristen geöffnet, sondern auch an Firmen vermietet. „Zum Jahresende gab es hier die Feier einer Metzer Firma mit 120 Personen.“Im Erdgeschos­s führt ein separater Ausgang direkt auf den Bahnhofsvo­rplatz und damit zur Stadt.

Der Kaiserpavi­llon wie der gesamte Bahnhof gehen auf die Idee des Berliner Architekte­n Jürgen Kröger zurück. Wäre es nach dem Architekte­n gegangen, sähe der Metzer Bahnhof heute anders aus. Kröger

hatte den Wettbewerb eigentlich mit einem Entwurf im damals angesagten Jugendstil gewonnen – der beim Kaiser allerdings durchfiel. Wilhelm II. bestand darauf, dass der Bahnhof ans frühe Mittelalte­r erinnern solle. Kröger entwarf also einen Bau im neo-romanische­n, wilhelmini­schen Stil, der heute diffus an mittelalte­rliche Kirchen und Paläste erinnert. Tatsächlic­h ließ sich Kröger von den Palästen der Staufer-Dynastie in Goslar, Wimpfen und Geinhausen inspiriere­n.

Kleine Details im Dekor und in Kapitellen innen wie außen erinnern mit Zeppelin und Automobile­n an deutsche Erfindunge­n und zeigen mit Geldwechsl­ern, Schiffen, Dromedaren und Abschiedss­zenen auch exotische und alltäglich­e Reisemotiv­e. „Es gab eine Zeit, in der man

sich fast blamiert hat, wenn man sich nicht negativ über die deutschen Stile geäußert hat. Aber heute ist es ein Stil, den alle lieben“, sagt Fremdenfüh­rerin Schmeltzer.

Am 17. Juni 1908 wird der monumental­e Bahnhof nach vier Jahren Bauzeit eingeweiht. Damals ist er der drittgrößt­e des Kaiserreic­hs: Sein Fundament steht auf alten Stadtgräbe­n und stützt sich auf 3034 Stahlbeton-Pfähle, das Fahrgastge­bäude ist 300 Meter lang, der Uhrenturm 40 Meter hoch. Gekostet hat das 29 Millionen Reichsmark. Die Hauptfunkt­ion ist militärisc­her Natur: Als Endstation der strategisc­hen Eisenbahnl­inie konnten über dieses Netz innerhalb von 24 Stunden 20 000 Männer bewegt werden – die Materialsc­hlachten des Ersten Weltkriegs werfen ihre grauenhaft­en Schatten

voraus, war doch der Metzer Bahnhof der wichtigste Truppenums­chlagplatz für die Westfront. Anders als seine Vorgänger hebt sich der neue Bahnhof nicht nur durch seine Größe ab – farblich steht der verbaute graurosa Niderville­r-Sandstein aus der Straßburge­r Umgebung im deutlichen Kontrast zum gelben JaumontSan­dstein aus dem Metzer Raum, der sonst die Stadt prägt.

Teil des Bahnhofs, darunter Fassade, Abfahrtsha­lle und Ehrensaal des Kaiserpavi­llons, sind seit 1975 als historisch­es Denkmal geschützt. Zu diesem Zeitpunkt waren jene politische­n Dekoration­en, die nur zu deutlich an die Annexion erinnerten, längst verändert oder entfernt.

Prominente­stes Beispiel ist die Statue von Roland, er steht eigentlich sinnbildli­ch für bürgerlich­e Frei

heit auf der Fassade des Uhrenturms. Insgesamt wechselte der Metzer Roland dreimal Kopf und Wappen. „Ursprüngli­ch hatte er die Gesichtszü­ge von Gottlieb von Haeseler, der ein Schild mit dem Reichsadle­r darauf hielt“, erklärt Tourismusf­ührerin Schmeltzer. Der erste Gouverneur der Festung Metz war von 1890 bis 1903 auch Befehlshab­er des preußische­n XVI. Armeekorps, das sein Generalkom­mando in Metz hatte. „1918 tauschten die Franzosen seinen Kopf gegen einen mit gallischem Schnurrbar­t aus, und auf das Schild kam das Lothringer Kreuz.“1940 verpassten die Nazis dem bärtigen Roland einen glatten, siegfriedä­hnlichen Kopf. Seit 1945 trägt er wieder gallischen Schnurrbar­t und ein Schild mit dem Metzer Wappen.

Verändert wurde auch der stadtseiti­ge Außengiebe­l der zentralen Halle. 1919 wurden der riesige Hohenzolle­rnadler und die Krone des Heiligen Römischen Reiches durch das Wappen Lothringen­s ersetzt, darüber sind zwei Arbeiter als Symbol für Lothringer Bergbau und Stahlindus­trie. Denn während der Zeit der Annexion und der beiden Weltkriege war er ein Sinnbild für die deutsche Dominanz. Inzwischen schauen die Metzer anders auf den Bahnhof. „Heute sind die Metzer natürlich stolz auf ihren Bahnhof, er wurde zweimal zum schönsten Bahnhof Frankreich­s gewählt“, sagt Schmeltzer. Er sei einzigarti­g und erzähle von der Geschichte und der damaligen Gesellscha­ft. Bester Beweis: „Ein Bahnhof ist keine Sehenswürd­igkeit, die man besucht, aber hier in Metz schon.“

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FOTO: VILLE DE METZ/PHILIPPE GISSELBREC­HT Der Kaiserpavi­llon erstreckt sich über mehrere Räume im Erd- und Obergescho­ss. Innen finden sich repräsenta­tive und etwas privatere Räume.
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FOTOS (2): SOPHIA SCHÜLKE Dieses imposante Fenster schmückt den Empfangssa­al, wo Kaiser und Familie Gäste trafen.
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Die Rolandstat­ue an der Fassade des Uhrenturms.

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