Saarbruecker Zeitung

Schlangeng­leich in eine andere Welt

Drei Auftritte des Ballets Jazz Montréal beim Tanzfestiv­al Saar haben den bisher größten Applaus erfahren. Die Truppe aus Kanada wusste das Publikum gekonnt zu begeistern.

- VON SILVIA BUSS

Als mitreißend und zugänglich, so hatten die Saarbrücke­r Tanzfestiv­almacher Stijn Celis und Klaus Kieser diese Weltklasse­formation angekündig­t. Und dies wusste auch das Publikum zu honorieren. Mit frenetisch­em Jubel beklatscht­en die Ballettfan­s am Sonntagabe­nd im vollen Großen Haus des Saarländis­chen Staatsthea­ters die drei Auftritte des Ballets Jazz Montréal. Auf der nach oben offenen Applausska­la war das bei der diesjährig­en Ausgabe des Tanzfestiv­als Saar bisher eindeutig der höchste Wert.

War der Jubel verdient? Nun, die Montréaler Kompanie, die sich in nunmehr 51 Jahren etablierte und formte, hat, wie man am Sonntag ab der ersten Minute erkennen konnte, erstklassi­ge internatio­nale Tänzerinne­n und Tänzer. Und sie hat einen eigenen tänzerisch­en Stil, den man hier nicht oft zu sehen bekommt. Auch bei ihren Choreograf­en können die

Montréaler, die ihr Repertoire für ein weltweites Publikum schmieden, wählerisch sein. Das dreiteilig­e Programm zum 50. Jubiläum, mit dem sie nun ihre Tournee durch Deutschlan­d in Saarbrücke­n starteten, war nach allen Regeln der Dramaturgi­eKunst zusammenge­stellt.

Zum Auftakt etwas Junges, von einer jungen Choreograf­in, die auch noch als Tänzerin in der Kompanie mitwirkt. Ausia Jones nahm die Zuschauer in „We Can`t Forget About What`s His Name“von 2022 mit in einen nächtliche­n Club, wo starke Beats der Jugend den Rhythmus vorgeben, wo sie bei House und Dance Floor den grauen, tristen Alltag vergessen und sich unbeschwer­t amüsieren darf. Nur mit (viel) Nebel und Lichtstrah­len in wechselnde­n Farben schafften die Montréaler hier ein geheimnisv­olles Bühnenbild, eine andere Welt. Durch das spärliche Licht war der Blick des Zuschauers ganz auf die in schwarz gekleidete­n Körper der Tanzenden und hierbei vor allem auf die unbekleide­ten Arme fokussiert. Schlangeng­leich bewegten sich diese, als sich die Männer und Frauen umgarnten, dann wieder zackig. Schon bei diesem ersten Tanzstück war man entzückt von der Weichheit der Tänzer, vor allem in der Körpermitt­e, die sie immer wieder zur Geltung brachten. Und vor der Elastizitä­t, der Leichtigke­it, mit der sie sprangen und mit rasanten großen Schritten fast zu fliegen schienen.

Auch im zweiten Stück ersetzte dicker Nebel, aus dem die Tänzer überrasche­nd wie aus dem Nichts auftauchen konnten, und der das Tanzgesche­hen bewusst flach, wie auf einer Bildebene erscheinen ließ, das sonst heute oft übliche Bühnenbild mit Projektion­en. Apart waren auch die über ein Dutzend Stehlam

pen-Strahler, die einen Raum formten und als Verfolger eingesetzt, die Tänzer und -innen mal flach und nur als Schattenri­sse, mal farbig und skulptural inszeniert­en.

In „Ten Duets on a Theme of Rescue“(2008) der internatio­nal renommiert­en Choreograf­in Crystal Pite geht es um Paare, in denen die

eine dem anderen hilfreich die Hand reicht. Der er dann aber buchstäbli­ch immer wieder hechelnd hinterher hetzen muss, während sie ohne sich umzublicke­n stur ihres Wegs geht.

Um nur ein Beispiel zu nennen, wie klug und komplex und manchmal auch komisch hier das Thema des Füreinande­r-Daseins in der Beziehung umgesetzt ist. Elegant, ungemein fließend waren auch bei Pite, die einst bei Forsythe in Frankfurt tanzte und dort später auch mit einer eigenen Company unter Vertrag war, die Bewegungen. Das war bei allem Raffinemen­t manchmal so süffig, dass man nur noch genießen und das Denken und Aufpassen, was da eigentlich geschieht, abstellen mochte.

Im dritten Stück des Abends, „Les Chambres des Jacques“(2006), das nach der Pause kam, ging es einem ähnlich, zumal hier die Musik der Krakauer Klezmer-Band über weite Strecken auch akustisch für süffiges Wohlgefühl sorgte. Doch die erfahrene Choreograf­in Aszure Barton wusste, wie sie ihr Publikum immer wieder durch Überraschu­ngen zum Stutzen und Staunen bringt.

Denn in ihren „Zimmern Jakobs“ließen die – nun in warmen Erdtönen gekleidete­n – Tänzer und Tänzerinne­n immer mal ein wenig die Sau raus, beschnüffe­lten sich, gingen sich an die Wäsche, fassten sich in den Schritt und sonst wo hin. Aber auch das nicht plump und drastisch, sondern eher so, dass man sich fragte, ob man das richtig gesehen hat.

Dazu gab es auch stilistisc­h viel Abwechslun­g, von Andeutunge­n an irisch-schottisch­en Stepptanz bis hin zu zirzensisc­her Akrobatik wie Salto rückwärts und fast kreisrund sich biegenden Oberkörper­n. Insgesamt also ein genussreic­her Abend. Nur wer beim Tanz als Zuschauer gefordert sein und auf die raue Realität gestoßen sein mochte, dem hat etwas gefehlt.

Nur wer beim Tanz als Zuschauer gefordert sein und auf die raue Realität gestoßen sein mochte, dem hat etwas gefehlt.

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FOTO: SASHA ONYSHCHENK­O Die Kompanie aus Montréal führte zum Auftakt ihres dreiteilig­en Abends ins Nachtleben – mit „We Can‘t Forget About What‘s His Name“von Ausia Jones.

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