Pistorius und der hybride Krieg des Kremls
Verteidigungsminister Boris Pistorius reist mit schwerem politischen Gepäck nach Skandinavien. Er informiert sich in Stockholm über das schwedische Wehrpflichtmodell, doch der Abhörskandal um die „Taurus“Schalte hoher deutscher Offiziere ist in Stockholm
STOCKHOLM Irgendwo zwischen „Putins Informationskrieg“, Taurus-Abhörskandal und WehrpflichtDebatte liegt an diesem Tag auch Schweden. Boris Pistorius bricht am Mittag mit einiger Verspätung zu einer Reise auf, die ihn zumindest gefühlt in die Nähe der russischen Grenze bringen wird. Heute in Norwegen wird er ihr auch physisch nah sein. Die Nato werde jeden Zentimeter ihres Bündnisgebietes verteidigen, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz noch bei der Münchner Sicherheitskonferenz betont. Norwegen und Finnland haben eine direkte Landgrenze mit dem
Aggressor in ihrem Osten. Schweden muss zumindest die Nähe seiner Ostseeinsel Gotland zur russischen Exklave Kaliningrad im Auge haben. Die Taurus-Abhöraffäre fliegt mit, die Debatte über ein künftiges Wehrpflichtmodell für Deutschland ebenso.
Der Verteidigungsminister hat am Morgen noch versucht, den Skandal um einen veröffentlichten Audio-Mitschnitt eines Gesprächs hoher deutscher Offiziere, darunter der Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, zurück in Berlin zu lassen. Ja, disziplinarische Vorermittlungen würden gegen alle Teilnehmer dieser Schaltkonferenz eingeleitet, inklusive Luftwaffen-Inspekteur Gerhartz. Aber der Verteidigungsminister macht – vorbehaltlich des endgültigen Ergebnisses der Untersuchungen – auch klar, er werde Wladimir Putin „nicht auf den Leim gehen“. Pistorius: „Ich werde niemanden meiner besten Offiziere für Putins Spiel opfern.“Der hybride Krieg des Kremls – Putin, Pistorius und die grünen Männchen. Zugleich stellt der Minister klar, dass alles untersucht werde: „Unnötig, schlimmer Fehler, alles wird aufgearbeitet“, sagt Pistorius vor seinem Abflug nach Stockholm.
In der schwedischen Hauptstadt betont er am Abend dann noch einmal an der Seite seines Amtskollegen Pal Jonson, Putin gehe es in dessen Informationskrieg gegen Deutschland auch darum, „uns als Partner bloß zu stellen. Das darf ihm nicht gelingen, das habe ich sehr deutlich gemacht.“An der Zuverlässigkeit Deutschlands gebe es trotz dieser von Russland geleakten Abhöraffäre „nicht die geringsten Zweifel“.
In Schweden absolviert der deut
„Taurus ist im Augenblick nicht meine vordringlichste Baustelle. Über dieses Stöckchen zu springen, da habe ich keine Lust.“Boris Pistorius (SPD) Bundesverteidigungsminister
sche Verteidigungsminister seinen Antrittsbesuch beim nächsten Nato-Mitglied. 31 plus Schweden wird es bald heißen, nachdem auch Ungarn als letztes Nato-Land in der vergangenen Woche seine Vorbehalte gegen einen Beitritt Schwedens fallengelassen hat. Dafür gibt es für Ungarns Regierungschef Viktor Orbán nun Kampfjets – Typ „Gripen“, made in Sweden. In Stockholm informiert sich Pistorius auch über das dort praktizierte Wehrpflichtmodell. In dem skandinavischen Land, das 2017 zur Wehrpflicht zurückgekehrt ist, werden alle jungen Frauen und Männer eines Jahrgangs gemustert. Die Streitkräfte wenden sich dann
gezielt an jene Kandidatinnen und Kandidaten, die ihnen für einen Dienst in der Armee besonders geeignet erscheinen. Womöglich nimmt Pistorius an diesem Modell eine Anleihe. Der Verteidigungsminister: „Dass ich ein gewisses Faible für das schwedische Modell habe, daraus habe ich nie einen Hehl gemacht.“Eine Richtungsentscheidung mit einer Rückkehr zu einem Wehrpflichtmodell schon 2025, wie das Nachrichtenmagazin „Spiegel“verbreitet, habe er allerdings noch nicht getroffen. Aktuell würden mögliche Modelle überprüft. „Ob 2025 dabei herauskommt oder ein anderes Jahr, das wird sich zeigen“,
versucht Pistorius das Tempo bei der Suche nach einem WehrpflichtModell für Deutschland herunterzuspielen. Aktionismus ist seine Sache nicht.
Der SPD-Politiker ist trotz der ärgerlichen Abhör-Affäre sortiert und stellt sich trotz rechtlicher Prüfung um die Vorgänge der abgehörten Schaltkonferenz vor seine Offiziere. Er spiele diesen Vorgang nicht herunter, sondern nehme ihn „sehr, sehr ernst“. Doch die Kertsch-Brücke zur Krim, die im Gespräch der deutschen Generäle und Offiziere als mögliches militärisches Ziel der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland genannt worden
war, sei „seit Monaten in der Diskussion und da erkenne ich keine Geheimhaltungsrelevanz“, so Pistorius. Sehr wohl hört Pistorius, dass die Taurus-Debatte auch nach dem Basta-Wort des Bundeskanzlers („Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.“) in Deutschland weiter geht. Liefert Deutschland am Ende womöglich doch, wie etwa SPD-Außenpolitiker Nils Schmid andeutet? Pistorius springt an diesem turbulenten Dienstag nicht auf den weiter rollenden Taurus-Zug auf. „Taurus ist im Augenblick nicht meine vordringlichste Baustelle. Über dieses Stöckchen zu springen, da habe ich keine Lust.“