Pflegesohn hat Albträume von Missbrauch
Im Prozess um Missbrauch an Pflegekindern hat am Dienstag das zweite mutmaßliche Opfer ausgesagt.
Rechtsanwalt Jens Schmidt ist verärgert. Der Verteidiger der wegen Missbrauchs angeklagten Pflegemutter Sabine D. kritisiert die Aussagen eines Zeugen scharf. In seinen Augen antwortet das mutmaßliche Opfer Dennis (Name geändert) bei vielen seiner Fragen deutlich zu oft mit „Weiß ich nicht“. „Ich kann die Antwort fast nicht mehr hören. Zur Zeugenpflicht gehört, dass man sich anstrengt. Und das wird an etlichen Stellen gesagt. Das sind eindeutige Fluchttendenzen“, sagt Schmidt.
Schmidt wirft dem Zeugen und Nebenklagevertreter vor, seinen Fragen gezielt auszuweichen: „Der Redeschwall ist jedem hier aufgefallen, das war teilweise schon an der Grenze des Erträglichen, dass er gar nicht aufs Thema eingeht, sondern um den heißen Brei herumredet.“
Es ist bereits der dritte Verhandlungstag, an dem Dennis sich den
Fragen im Saarbrücker Landesgericht stellen muss. Auch am Dienstag geht es um seine Erlebnisse während seiner Kindheit bei den angeklagten Pflegeeltern Patrick und Sabine D. in deren ehemaligem Haus in Mettlach-Tünsdorf. Von seinem Leben dort berichtet er detailliert. In seiner Aussage springt er manchmal aber thematisch hin und her. Insbesondere Verteidiger Schmidt hakt immer wieder nach, um zu prüfen, ob es Widersprüche zwischen den Aussagen der Pflegegeschwister und zu älteren Schilderungen von Dennis selbst gibt. Erneut soll der Zeuge eine Situation beim Duschen beschreiben, in welcher Sabine D. mit Unterstützung von Dennis dessen Pflegegeschwister mit eiskaltem Wasser abgeduscht und geschlagen haben soll. „Ich habe sie festgehalten, wenn die aus der Dusche raus wollten, indem ich sie runter gedrückt habe, wenn sie raus wollten“, beschreibt er die Situation nüchtern. Wie er das denn genau gemacht habe, fragt Schmidt hartnäckig nach: „Mit einer oder zwei Händen?“„Das kann ich Ihnen so nicht sagen. Es war eine Ausnahmesituation mit Stress, weil der- oder diejenige aus der Dusche raus wollte“, entgegnet Dennis.
Die Sachverständige, die im Prozess die Glaubhaftigkeit der Zeugen prüfen soll, möchte von Dennis wissen, ob er Albträume von seinen Erlebnissen bei Familie D. habe. Ja, das komme vor, antwortet er. Er erzählt von einem grünen Eimer mit Wasser, in den ihn Pflegevater Patrick D. kopfüber gedrückt haben soll. „Viele Sachen sind mit der Zeit weggegangen, aber das mit dem Wasser, davon habe ich öfters Albträume gehabt.“Auch schildert er Sorgen im Alltag: „Ich weiß, dass ich aus der Familie draußen bin und auch aus dem Schlechten. Aber dieses Gefühl, das ich manchmal früher hatte, krieg ich nicht raus“, sagt er.
Während der Befragung antwortet Dennis ruhig und nüchtern. Leicht gebeugt sitzt er mit den Armen auf dem kleinen Tisch abgestützt zwischen Nebenklägern und Angeklagten. Er schaut die Sachverständigen und Verteidiger direkt an, wenn sie ihn befragen. Er wirkt gefestigt. Doch als es um seine leibliche Mutter geht, wird seine Stimme brüchig. Als er gefragt wird, ob es bei der Pflegefamilie ein Bild seiner verstorbenen Mutter gegeben habe, verneint er. „Nein, ich hab nie ein Bild von meiner Mama oder so gesehen“, entgegnet er und weint.
Der Verteidiger von Pflegevater Patrick D., Christian Schmitt, wirft Dennis ebenfalls vor, er würde seine Aussagen an die seiner Zwillingsschwester Marina (Name geändert) anpassen, die zuvor in seiner Gegenwart vom Gericht befragt wurde: „Die eher dürftige Aussage von Marina wird angepasst und eine in sich verständliche Geschichte daraus gemacht.“
Der Prozess wird am morgigen Donnerstag fortgesetzt.