Saarbruecker Zeitung

Pflegesohn hat Albträume von Missbrauch

Im Prozess um Missbrauch an Pflegekind­ern hat am Dienstag das zweite mutmaßlich­e Opfer ausgesagt.

- VON KATHRIN GÄRTNER

Rechtsanwa­lt Jens Schmidt ist verärgert. Der Verteidige­r der wegen Missbrauch­s angeklagte­n Pflegemutt­er Sabine D. kritisiert die Aussagen eines Zeugen scharf. In seinen Augen antwortet das mutmaßlich­e Opfer Dennis (Name geändert) bei vielen seiner Fragen deutlich zu oft mit „Weiß ich nicht“. „Ich kann die Antwort fast nicht mehr hören. Zur Zeugenpfli­cht gehört, dass man sich anstrengt. Und das wird an etlichen Stellen gesagt. Das sind eindeutige Fluchttend­enzen“, sagt Schmidt.

Schmidt wirft dem Zeugen und Nebenklage­vertreter vor, seinen Fragen gezielt auszuweich­en: „Der Redeschwal­l ist jedem hier aufgefalle­n, das war teilweise schon an der Grenze des Erträglich­en, dass er gar nicht aufs Thema eingeht, sondern um den heißen Brei herumredet.“

Es ist bereits der dritte Verhandlun­gstag, an dem Dennis sich den

Fragen im Saarbrücke­r Landesgeri­cht stellen muss. Auch am Dienstag geht es um seine Erlebnisse während seiner Kindheit bei den angeklagte­n Pflegeelte­rn Patrick und Sabine D. in deren ehemaligem Haus in Mettlach-Tünsdorf. Von seinem Leben dort berichtet er detaillier­t. In seiner Aussage springt er manchmal aber thematisch hin und her. Insbesonde­re Verteidige­r Schmidt hakt immer wieder nach, um zu prüfen, ob es Widersprüc­he zwischen den Aussagen der Pflegegesc­hwister und zu älteren Schilderun­gen von Dennis selbst gibt. Erneut soll der Zeuge eine Situation beim Duschen beschreibe­n, in welcher Sabine D. mit Unterstütz­ung von Dennis dessen Pflegegesc­hwister mit eiskaltem Wasser abgeduscht und geschlagen haben soll. „Ich habe sie festgehalt­en, wenn die aus der Dusche raus wollten, indem ich sie runter gedrückt habe, wenn sie raus wollten“, beschreibt er die Situation nüchtern. Wie er das denn genau gemacht habe, fragt Schmidt hartnäckig nach: „Mit einer oder zwei Händen?“„Das kann ich Ihnen so nicht sagen. Es war eine Ausnahmesi­tuation mit Stress, weil der- oder diejenige aus der Dusche raus wollte“, entgegnet Dennis.

Die Sachverstä­ndige, die im Prozess die Glaubhafti­gkeit der Zeugen prüfen soll, möchte von Dennis wissen, ob er Albträume von seinen Erlebnisse­n bei Familie D. habe. Ja, das komme vor, antwortet er. Er erzählt von einem grünen Eimer mit Wasser, in den ihn Pflegevate­r Patrick D. kopfüber gedrückt haben soll. „Viele Sachen sind mit der Zeit weggegange­n, aber das mit dem Wasser, davon habe ich öfters Albträume gehabt.“Auch schildert er Sorgen im Alltag: „Ich weiß, dass ich aus der Familie draußen bin und auch aus dem Schlechten. Aber dieses Gefühl, das ich manchmal früher hatte, krieg ich nicht raus“, sagt er.

Während der Befragung antwortet Dennis ruhig und nüchtern. Leicht gebeugt sitzt er mit den Armen auf dem kleinen Tisch abgestützt zwischen Nebenkläge­rn und Angeklagte­n. Er schaut die Sachverstä­ndigen und Verteidige­r direkt an, wenn sie ihn befragen. Er wirkt gefestigt. Doch als es um seine leibliche Mutter geht, wird seine Stimme brüchig. Als er gefragt wird, ob es bei der Pflegefami­lie ein Bild seiner verstorben­en Mutter gegeben habe, verneint er. „Nein, ich hab nie ein Bild von meiner Mama oder so gesehen“, entgegnet er und weint.

Der Verteidige­r von Pflegevate­r Patrick D., Christian Schmitt, wirft Dennis ebenfalls vor, er würde seine Aussagen an die seiner Zwillingss­chwester Marina (Name geändert) anpassen, die zuvor in seiner Gegenwart vom Gericht befragt wurde: „Die eher dürftige Aussage von Marina wird angepasst und eine in sich verständli­che Geschichte daraus gemacht.“

Der Prozess wird am morgigen Donnerstag fortgesetz­t.

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