Atomkraftwerk Cattenom macht Block 4 fit für weitere zehn Jahre
Sechs Monate lang steht der Reaktor im grenznahen AKW still. Bei einer Großinspektion werden alle Komponenten auf ihre Belastbarkeit geprüft.
Nicolas Kieffer läuft routiniert durch die Anlage, grüßt ziemlich jeden Mitarbeiter, der ihm über den Weg läuft und macht einen entspannten Eindruck. Dabei ist vor zwei Wochen sein größtes Projekt seit Langem gestartet. Der Lothringer verantwortet die Generalüberholung des Blocks 4 im grenznahen Atomkraftwerk (AKW) Cattenom. Es ist eine Baustelle der Superlative: Rund sechs Monate lang führen 3000 Männer und Frauen bis zu 20 000 Prüfungen und Wartungsarbeiten am Meiler durch. 200 Millionen Euro investiert der Betreiber EdF in die Instandhaltung, die alle zehn Jahre stattfindet. Das Ziel: die Verlängerung der Betriebsgenehmigung durch die französische Atomaufsichtsbehörde (ASN), um weitere zehn Jahre am Netz zu bleiben. Kommt im Herbst grünes Licht für Block 4, würden alle vier Blöcke in Cattenom mindestens 40 Jahre laufen. Doch auch dann ist noch lange nicht Schluss. „Präsident Macron hat angekündigt, eine Laufzeit von 60 Jahren anzustreben. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass jeder Reaktor alle zehn Jahre die Betriebsgenehmigung der ASN bekommt“, erklärt AKW-Direktor Jérôme Le Saint. Anders sei es zum Beispiel in Belgien, wo die Meiler von vorneherein eine Betriebsgenehmigung für 40 Jahre bekommen würden.
Wichtige Bestandteile der Generalüberholung sind die Prüfungen der Teile, die nicht ausgetauscht werden können. Es handelt sich dabei um den Reaktorbehälter und das Betongehäuse. Im Reaktorbehälter selbst können keine Menschen arbeiten. Dort untersucht ein zwölf Tonnen schwerer Roboter rund 300 Stunden lang jeden Zentimeter darauf, wie wasserdicht und belastbar das Material ist oder ob sich Risse gebildet haben. Mit Kameras, Röntgenbildern und Ultraschall. „Bisher wurden in Cattenom noch nie Risse an einem Reaktorbehälter festgestellt. Sollte es der Fall sein, würde der Betrieb an diesem Reaktor sofort eingestellt“, erklärt Le Saint. Ebenso würden die wichtigsten Bestandteile wie etwa der Reaktordruckbehälter
und Dampfgeneratoren auf ihren Widerstand geprüft. Dafür wird der Druck stufenweise bis auf 207 Bar erhöht (zum Vergleich: 155 Bar im Normalbetrieb).
Außer der reinen Prüfung werden auch bei der Generalüberholung jede Menge Teile ersetzt, zum Bei
spiel Rohre, Absperrhähne und Ventile. Wichtig wird in diesem Zusammenhang der präventive Umtausch von Rohren, die für Spannungskorrosion anfällig sein könnten. Bei der jüngsten Inspektion 2022 waren im nicht nuklearen Teil von Block 4 Korrosionsrisse bei Rohren im Sicherheits-Einspeisekreis festgestellt worden. Außerdem werden in diesen Tagen die vier Haupttransformatoren im Block 4 umgetauscht, die seit Betriebsbeginn funktionieren. „Diese sollen alle 30 Jahre gewechselt werden, für diesen Block ist es also das erste Mal“, erläutert Projektleiter Nicolas Kieffer. 250 Tonnen wiegt jeder der einzelnen Transformatoren, die abgebaut werden müssen.
Allein durch das Personal des Werks in Cattenom sind die Arbeiten der Generalüberholung nicht zu leisten. In den sechs Monaten bekommen sie deshalb Unterstützung von außen. Zum einen sind es EdFMitarbeiter aus ganz Frankreich, die zu spezialisierten Wartungseinheiten gehören, die landesweit tätig sind. Zum anderen von anderen Firmen, die auf die Wartung bestimmter Komponenten spezialisiert sind. Etwa wie Siemens Energy, deren Mitarbeiter in diesen Tagen mit dem Abbau und der Untersuchung der Turbine beschäftigt sind. Unter der Leitung von Stéphane Jung sind 40 Menschen acht Wochen lang im Einsatz. 40 Prozent seines Teams sind Deutsche von der Siemens-EnergyZentrale in Mülheim an der Ruhr.
Rund zwei Drittel des Strombedarfs der Region Grand Est deckt das AKW in Cattenom ab. Der erste Reaktor ging 1986 ans Netz, Block 4 im Jahre 1991. Seine vier Reaktoren gehören zur 1300 MW-Reihe, über deren Laufzeitverlängerung über 40 Jahre hinaus zurzeit diskutiert wird. Eine öffentliche Anhörung zur Zukunft der gesamten Baureihe hat vor Kurzem begonnen, an der sich jeder online beteiligen kann. Darüber hinaus gibt es öffentliche Sitzungen in den jeweiligen Kommunen. In Cattenom wird während der jährlichen lokalen Informationskommission des Kernkraftwerks (CLI) am Dienstag, 14. Mai, ab 18.30 Uhr im Casino in Cattenom darüber diskutiert. Auch Deutsche und Luxemburger können die Sitzung besuchen. Nach Abschluss dieser grundsätzlichen Anhörung wird jeder Reaktor, der länger als 40 Jahre funktionieren soll, im Laufe des Prozesses Objekt einer eigenen spezifischen Anhörung sein.