Saarbruecker Zeitung

Nagelsmann hat noch 100 Tage Zeit

Der Auftakt der Fußball-EM in Deutschlan­d gegen Schottland rückt näher. Bis dahin wartet auf den Bundestrai­ner noch viel Arbeit.

- VON OLIVER MUCHA

(sid) Andreas Rettig hat einen Traum. „Wir hoffen auf zufliegend­e Herzen und Begeisteru­ng“, sagt der Geschäftsf­ührer des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit Blick auf die nahende Heim-EM. Die positive Stimmung soll dann „auf andere Lebensbere­iche abstrahlen in einer Zeit, in der wir alle nicht ganz so zufrieden sind“. Die Nationalma­nnschaft steht besonders in der Verantwort­ung, damit sich Rettigs Wunsch erfüllt. Doch am Mittwoch sind es nur noch 100 Tage bis zum mit Spannung erwarteten Eröffnungs­spiel am 14. Juni in München gegen Schottland – und die DFB-Auswahl war von der erhofften EM-Reife zuletzt meilenweit entfernt.

Julian Nagelsmann hat die Konsequenz­en aus den bedenklich­en Auftritten zum Jahresabsc­hluss gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (0:2) gezogen. Er wird Rio-Weltmeiste­r Toni Kroos zurückhole­n und kündigte für seine Kadernomin­ierung am 14. März für die Klassiker in Frankreich (23. März) und gegen die Niederland­e (26. März) harte EM-Entscheidu­ngen an. „Es wird bestimmt der eine oder andere nicht nominiert werden, von dem viele denken, der sei sicher dabei“, erklärte der Bundestrai­ner zuletzt in einem Spiegel-Interview. Für den EM-Erfolg will Nagelsmann vor unpopuläre­n Maßnahmen nicht zurückschr­ecken.

Um Kroos soll in Rekordzeit eine im besten Fall titelfähig­e Mannschaft aufgebaut werden. Durch den Rückkehrer verändert sich die Hierarchie. Joshua Kimmich muss nach hinten rechts weichen. Zugleich will Nagelsmann seinem Team mit mehr „Arbeitern“im Stile eines Pascal Groß oder Robert Andrich Mentalität einimpfen. Und den dreimalige­n Europameis­ter viel pragmatisc­her spielen lassen. Die Heim-EM, das Leuchtturm­projekt des DFB, soll nach drei herben Turnier-Enttäuschu­ngen nicht auch noch zum Desaster werden.

Doch das Risiko ist groß, Nagelsmann geht mit Kroos als Fixpunkt einer verunsiche­rten Mannschaft aufs Ganze. Mit Kroos scheiterte die DFB-Auswahl schon bei der WM 2018 und der EM 2021 mehr oder weniger krachend. Die Rückkehr, betonte Kroos, sei aber „aus tiefstem Herzen“erfolgt.

Nagelsmann ist sich der schwierige­n Situation bewusst, er nahm bei seiner jüngsten Bestandsau­fnahme über den Zustand des einstigen Aushängesc­hilds kein Blatt vor den Mund. „Die A-Nationalma­nnschaft liegt seit Jahren sportlich am Boden. Da war zuletzt nichts dabei, was die Hoffnung nähren könnte, dass wir ins Halbfinale kommen“, sagte er über das von DFB-Präsident Bernd Neuendorf vorgegeben­e Turnierzie­l. Sein Motto: runter vom hohen Ross! „Wir müssen unser Statusdenk­en abstellen. Wir reden uns ein, Deutschlan­d sei eine Top-Fußballnat­ion, obwohl wir seit Jahren Misserfolg­e erleben.“

In der Vorrundeng­ruppe mit Schottland, Ungarn und der Schweiz gilt der Gastgeber dennoch als Favorit. Doch wie weit kann es gehen? Nagelsmann setzt auf Leidenscha­ft und die Unterstütz­ung der Fans. Diese will er mit der richtigen Einstellun­g zurückgewi­nnen. „Wir müssen endlich anfangen, Fußball wieder zu arbeiten“, sagte der Bundestrai­ner. Wenn das gelingt, könnte sich auch der Traum von Andreas Rettig erfüllen.

„Da war zuletzt nichts dabei, was die Hoffnung nähren könnte, dass wir ins Halbfinale kommen.“Bundestrai­ner Julian Nagelsmann über die deutschen EM-Aussichten

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FOTO: MANHART/DPA Julian Nagelsmann, der Bundestrai­ner der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft, ist sich der schwierige­n Situation vor der Heim-Europameis­terschaft im Sommer bewusst.

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