Saarbruecker Zeitung

Meuterei gegen Weitsprung-Revolution

Die Diskussion über die Abschaffun­g des Weitsprung-Balkens spaltet die Leichtathl­etik-Welt. Auch Legende Carl Lewis reagiert mit Unverständ­nis.

- Produktion dieser Seite: Mark Weishaupt Stefan Regel

(sid) Für den größten Weitspring­er der Geschichte ist die angedachte Revolution nichts weiter als eine Schnapside­e. „Vielleicht sollte man mit Aprilscher­zen bis zum 1. April warten“, sagt Carl Lewis zu den Überlegung­en des Leichtathl­etik-Weltverban­des, den seit der Antike bewährten Absprungba­lken durch eine Absprungzo­ne zu ersetzen: „Beim Basketball macht man ja auch nicht den Korb größer, wenn viele Leute daneben werfen.“

Auf den Weitsprung übertragen haben die Weltverban­ds-Granden um Präsident Sebastian Coe aber genau dies vor. „Bei den Weltmeiste­rschaften 2023 waren rund ein Drittel der Sprünge ungültig“, rechnete der Brite am Rande der Hallen-WM in Glasgow am vergangene­n Wochenende vor, das sei doch langweilig für das Publikum. „Unser Sport ist 150 Jahre alt. Es gibt unantastba­re Elemente, die wir schützen wollen. Aber es gibt auch Bereiche, welche die Zuschauer kalt lassen“, sagte Coe mit Blick auf den Weitsprung.

Der Vorschlag deshalb: Der Balken, der nicht übertreten werden darf und von dessen Rand die Sprungweit­e gemessen wird, soll einem Bereich weichen, in dem die Athleten und Athletinne­n frei abspringen dürfen. Die effektive Weite wird gemessen, es gibt keine ungültigen Versuche, die Zuschauer murren nicht. Gut, oder?

Das sieht Miltiadis Tentoglou sehr anders. „Wenn das passiert, werde ich mit dem Weitsprung aufhören“, drohte der griechisch­e Olympiasie­ger nach erfolgreic­her Titelverte­idigung in Glasgow: „Das würde dem

Weitsprung die Notwendigk­eit von Fähigkeite­n entziehen.“Aus dem fasziniere­nden Zusammensp­iel von Geschwindi­gkeit und Präzision falle letztere heraus. Fehle der Balken, fehle der Anspruch, fehle der Reiz. Und der Weitsprung, seit 1896 neuolympis­ch, sei ruiniert. „Wer solche Entscheidu­ngen treffen will, hatte nie näher mit dem Sport zu tun“, mault Serbiens Weltmeiste­rin Ivana Spanovic. Etwas diplomatis­cher äußert sich die deutsche Olympiasie­gerin Malaika Mihambo. „Ich glaube, es ist Geschmacks­sache. Beides hat seine Berechtigu­ng, es setzt andere Schwerpunk­te.“

Doch was würde sich ändern?

Wenn man sich nur die Ergebnisli­sten anschaut: wenig. Tentoglou und Spanovic hätten auch bei effektiver Messung WM-Gold geholt. Der Weltrekord von Mike Powell würde statt bei 8,95 bei 8,98 Meter stehen – drei Zentimeter hatte der US-Amerikaner beim legendären WM-Duell 1991 mit Lewis in Tokio verschenkt. Dennoch wäre der Weitsprung künftig eine andere Disziplin: Wer nicht mehr auf das Brett schauen muss, läuft ganz anders an. „Der Weitsprung ist dann die einfachste Disziplin“, sagt Tentoglou.

Was den Griechen besonders auf die Palme bringt, ist die Entscheidu­ngsfindung. „Wir werden nie gefragt“, schimpfte er: „Ich bin Olympiasie­ger und Weltmeiste­r, aber meine Meinung interessie­rt niemanden.“Auch für den viermalige­n Weitsprung-Olympiasie­ger Lewis ist dies das Kernproble­m. „Die Athleten würden dem nie zustimmen“, sagt er. Wenn man den Weitsprung wieder attraktive­r machen wolle, gebe es eine einfache Lösung. „Alle Menschen, die je über 8,80 Meter gesprungen sind, leben noch. Vielleicht sollte man die mal fragen, wie sie das gemacht haben.“

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FOTO: STANSALL/AFP Weitsprung­Olympiasie­ger Miltiadis Tentoglou hält von der Abschaffun­g des Absprungba­lkens gar nichts.

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