Saarbruecker Zeitung

„Der falsche Mann im falschen Job“

Mit seiner Rechtferti­gung, keine Taurus-Marschflug­körper an die Ukraine liefern zu können, hat Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) in Großbritan­nien und Frankreich die Verbündete­n verärgert. In Paris und London wachsen Zweifel an der Kompetenz des Kanzlers.

- VON SUSANNE EBNER, BIRGIT HOLZER UND KATRIN PRIBYL

Typisch Insel dienen Nachrichte­n vom Kontinent kaum noch als Aufreger im Königreich. Nachdem aber bekannt wurde, dass die Russen ein Gespräch deutscher Offiziere abgehört und den Mitschnitt veröffentl­icht haben, schaffte es Olaf Scholz tatsächlic­h auf die Titelseite­n britischer Zeitungen – begleitet von harscher Kritik. „Wir wissen, dass Deutschlan­d von russischen Geheimdien­sten unterwande­rt ist, und das ist nur ein Beweis dafür, dass es weder sicher noch zuverlässi­g ist“, urteilte Ex-Verteidigu­ngsministe­r Ben Wallace. Downing Street bezeichnet­e den Verrat von Militärgeh­eimnissen von Seiten des Bundeskanz­lers als „sehr ernste Angelegenh­eit“.

Nach Ansicht der Tageszeitu­ng „The Times“ist Scholz das schwächste Glied im Kreis jener Nato-Verbündete­n, die die Ukraine im besonderen Maße unterstütz­en. „In Berlin sollten einige Köpfe rollen“, verlangte der Kommentato­r. Beunruhigt reagierten die Briten zuletzt vor allem darauf, dass in dem geleakten Telefonat erneut behauptet wurde, das Königreich habe einige Leute im Kriegsgebi­et, um seine an die Ukraine gelieferte­n Storm Shadow-Marschflug­körper einsatzber­eit zu machen.

Schon letzte Woche wüteten in Westminste­r Politiker verschiede­ner Couleur, als dies Scholz erstmals in der Öffentlich­keit andeutete. Der SPD-Mann sei „der falsche Mann im falschen Job zur falschen Zeit“, urteilte Wallace. Der Kanzler habe gegen das ungeschrie­bene Gesetz unter den Nato-Partnern verstoßen, bei solchen Einsätzen weder die Anwesenhei­t noch den Standort von eingesetzt­en Truppen öffentlich zu machen, sagte der ehemalige britische Nato-Beamte Jamie Shea gegenüber dieser Zeitung. Den langfristi­gen Schaden des „peinlichen“Leaks schätzte er aber als eher gering ein. „Deutschlan­d ist ein zu wichtiger Verbündete­r, um daraus einen bilaterale­n Vorfall zu machen.“

Derweil erfuhr die Achse Paris – Berlin neue Erschütter­ungen, erneut ausgelöst durch eine Aussage von Präsident Emmanuel Macron. Die Aufregung um seinen Vorstoß von letzter Woche, er schließe den Einsatz von Bodentrupp­en in der Ukraine nicht aus, war noch nicht abgeklunge­n, da legte er nach. „Wir nähern uns mit Sicherheit einem Moment in Europa, in dem es gilt, nicht feige zu sein“, sagte er am Dienstag. „Man will nie die Dramen vorhersehe­n, die kommen.“

Meinte er damit etwa Scholz, weil er der Ukraine keine TaurusMars­chflugkörp­er liefern will und der Bodentrupp­en-Idee eine klare Absage erteilt hat? Immerhin folgt der Deutsche damit der Linie der Nato. Generalsek­retär Jens Stoltenber­g betont gebetsmühl­enhaft, dass das Militärbün­dnis keinerlei Pläne habe, Soldaten in die Ukraine zu entsenden, auch wenn die Partner das kriegsgebe­utelte Land „in noch nie dagewesene­r Weise“unterstütz­ten.

Die Allianz will unbedingt vermeiden, in einen größeren Krieg mit dem atomar bewaffnete­n Russland hineingezo­gen zu werden. Gleichwohl hindert die einzelnen Nato-Mitglieder nichts daran, sich einzeln oder in Gruppen an einem solchen Unterfange­n zu beteiligen. Die Organisati­on selbst würde sich jedoch nur engagieren, wenn alle 32 Verbündete­n zustimmen.

Obwohl es aus Macrons Umfeld hieß, Macrons Satz habe sich nicht auf Scholz bezogen, wurde die Retourkuts­che von Bundesvert­eidigungsm­inister Boris Pistorius durchaus vernommen. Der sagte am Rande eines Besuchs in Schweden, Diskussion­en über mehr oder weniger Mut seien „etwas, das nicht

wirklich dazu beiträgt, die Probleme zu lösen“.

Die Spitzen zeigen: Die oft gerühmte deutsch-französisc­he Achse ist stark belastet. Hinzu kommt, dass sich unterschie­dliche Positionen herauskris­tallisiere­n. Frankreich als einzige Atommacht in der EU pflegt die „strategisc­he Ambiguität“, um Russland im Unklaren

darüber zu lassen, wozu es bereit ist, Stichwort Bodentrupp­en. Zugleich hinkt die französisc­he Militärhil­fe zahlenmäßi­g im Vergleich deutlich hinterher. Appelle aus Berlin, mehr zu liefern, verärgerte­n Macron. Ausgerechn­et diejenigen, die vor zwei Jahren nur Schlafsäck­e und Helme angeboten hatten, forderten nun mehr?

Die Abhöraffär­e sowie Scholz' Andeutung bezüglich der Präsenz von Briten und Franzosen in der Ukraine wurde zwar von offizielle­r Seite kaum kritisiert. Doch „Le Monde“kommentier­te, beides sage etwas über Deutschlan­d und sein Führungspe­rsonal aus: „Ihr Verhältnis zum Krieg bleibt irreal, unbequem, grenzt sogar an Verweigeru­ng.“

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FOTO: LEWIS JOLY/AP/DPA Die oft demonstrat­iv gezeigte Einigkeit zwischen Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron (rechts) und Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD), hier bei dessen Besuch im Élysée-Palast, hat hinter den Kulissen Risse bekommen.

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