Saarbruecker Zeitung

Wirtschaft sieht Gefahr nach Tesla-Anschlag

Der Angriff auf die Stromverso­rgung mit gewaltigen Folgen für den Autobauer Tesla in Grünheide schreckt Politik und Wirtschaft auf. Es geht um einen größeren Schutz der Energiever­sorgung – aber wie?

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN, MONIKA WENDEL UND OLIVER VON RIEGEN

(dpa) Die Wirtschaft in Deutschlan­d dringt nach dem Anschlag auf die Stromverso­rgung der Tesla-Autofabrik in Grünheide bei Berlin auf mehr Sicherheit. „Politik und Wirtschaft sind gemeinsam gefordert, die Sicherheit der Netze und kritischer Anlagen zu gewährleis­ten“, sagte der Hauptgesch­äftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskam­mer (DIHK), Martin Wansleben, am Mittwoch. Die Bundesregi­erung will mit einem Gesetz den Schutz wichtiger Netze und Anlagen verstärken und die Sicherheit­sbemühunge­n der Betreiber unterstütz­en. Die Regierung verschlepp­e aber die Verabschie­dung des zugehörige­n Gesetzes seit Monaten, kritisiert­e Wansleben.

Der US-Elektroaut­obauer Tesla rechnet nach dem Anschlag noch mit einem tagelangen Produktion­sausfall in Grünheide bei Berlin, seinem einzigen Autowerk in Europa. Frühestens Ende nächster Woche soll die Stromverso­rgung für das Werk wiederherg­estellt sein, wie ein Konzernspr­echer gegenüber der Bild-Zeitung sagte. Unbekannte Tä

ter hatten am Dienstag auf einem Feld Feuer an einem Strommast gelegt, der auch für die Versorgung der Tesla-Fabrik zuständig ist. Die Produktion in Grünheide wurde vorerst gestoppt. Zehntausen­de Bewohner in der Region waren von Stromausfa­ll betroffen. Die Polizei bezeichnet­e ein Bekennersc­hreiben der linksextre­men „Vulkangrup­pe“als authentisc­h. Der Energienet­zbetreiber Edis begann mit einer Begutachtu­ng des Schadens am Hochspannu­ngsmast.

Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit sagte am Mittwoch, die Bundesregi­erung verurteile solche Anschläge auf das Schärfste. Das Bundesinne­n

ministeriu­m plant, dass sich das Kabinett zeitnah in der ersten Jahreshälf­te mit dem sogenannte­n Kritis-Dachgesetz befasst. Damit soll die kritische Infrastruk­tur besser gegen Gefahren geschützt werden. Darüber hinaus sei es erst einmal die Pflicht der Netzbetrei­ber, ihre Infrastruk­tur zu schützen, sagte der Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums, Maximilian Kall. Dies sei natürlich bei einem Umspannwer­k leichter als bei einem Strommast, der auf einem Feld steht.

Der Bundesverb­and der Energieund Wasserwirt­schaft schlug vor, Bund und Länder bei der Gefahrenab­wehr stärker in die Pflicht zu

nehmen. Der öffentlich­e Zugang zu Daten kritischer Infrastruk­tur müsse beschränkt werden.

Die linksextre­me „Vulkangrup­pe“wirft Tesla „extreme Ausbeutung­sbedingung­en“vor. Die Gruppierun­g schrieb von Sabotage gegen Tesla. „Wir schätzen das Schreiben als echt ein“, sagte eine Sprecherin der Brandenbur­ger Polizei. Auch wenn die Folgen diesmal deutlich gravierend­er sind, folgt der Anschlag dem gleichen Muster wie der Brandansch­lag vom Mai 2021, bei dem ein Stromkabel beschädigt wurde, das unter anderem die Tesla-Baustelle versorgte. Auch damals tauchte ein von den Sicherheit­sbehörden als authentisc­h eingestuft­es Schreiben der Selbstbezi­chtigung im Namen der „Vulkangrup­pe“auf.

Die Täter konnten damals nicht ermittelt werden. Deshalb behelfen sich die Sicherheit­sbehörden mit der Arbeitshyp­othese, dass es sich hier um eher lose vernetzte linksextre­mistische Kleingrupp­en mit Schwerpunk­t in Berlin und Brandenbur­g handelt.

Fest steht, dass in den vergangene­n Jahren vor allem US-Unternehme­n, die sich in der Region Berlin-Brandenbur­g ansiedeln wollten, nicht immer willkommen waren – auch jenseits von Anschlägen und Sabotage. In Brandenbur­g mobilisier­ten unter anderem Umweltschü­tzer sowie Anwohner, die sich gestört fühlten und die AfD gegen die Gigafactor­y von Tesla. Der USInternet­konzern Google hatte ein ehemaliges Umspannwer­k im Berliner Stadtteil Kreuzberg erworben und Ende 2016 angekündig­t, dort einen Campus für junge Firmen und andere Organisati­onen zu etablieren. Kritiker protestier­ten dagegen, weil der Campus nach ihrer Ansicht die Gegend stark verändert und teurer gemacht hätte. Schließlic­h verzichtet­e Google auf den Start-up-Campus. Auf die Frage eines Journalist­en, ob die Bundesregi­erung negative Konsequenz­en für den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d fürchte, antwortete der Regierungs­sprecher: „Ich würde da jetzt vor Alarmismus warnen.“

Der Widerstand gegen den Autobauer nimmt zu. Bei einer Bürgerbefr­agung in Grünheide lehnten rund zwei Drittel die von Tesla geplante Erweiterun­g um einen Güterbahnh­of und Lager auf einem angrenzend­en Gelände ab. Dort sollen mehr als 100 Hektar Wald gerodet werden. Am Donnerstag schlugen dann Umweltschü­tzer und Tesla-Kritiker in der Nähe des Werks im Wald ein Protestcam­p mit Baumhäuser­n auf.Werksleite­r André Thierig zeigt sich besorgt. Er sieht mit Blick auf den Anschlag eine „sehr kritische Grundstimm­ung, die vielleicht auch solches Verhalten ein Stück weit schürt“. Er nannte als Schaden mehrere hundert Millionen Euro. Nach Informatio­nen der dpa bezieht sich Thierig auf den Umsatzverl­ust der Autos, die nicht verkauft werden könnten. Er rechnet mit einem Ausfall von mehr als 1000 Autos pro Tag.

Es geht um viel: Rund 12 500Mensche­n arbeiten bei Tesla in Grünheide. Der Autobauer plant einen Ausbau des bestehende­n Werks. Die geplante Produktion von 500 000 Autos pro Jahr soll auf eine Million steigen. Thierig lässt offen, ob die Pläne so Bestand haben. „Ob das jetzt einen Einfluss hat auf den weiteren Ausbau der Fabrik, kann ich an der Stelle nicht sagen.“Der Branchenex­perte Stefan Bratzel sieht nach dem Anschlag eine gewisse Gefahr für die Produktion der deutschen Automobili­ndustrie.

Es gebe neben der Stromverso­rgung weitere Möglichkei­ten, um die Produktion zu stören, sagte der Leiter des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach.

„Sehr kritische Grundstimm­ung, die vielleicht auch solches Verhalten ein Stück weit schürt.“André Terig Werksleite­r Tesla-Factory Brandenbur­g

 ?? FOTO: LUTZ DECKWERTH/DPA ?? Eine Automobil-Produktion unter Polizeisch­utz: Nach dem Anschlag auf die Stromverso­rgung des Tesla Werks in Grünheide wird vor Ort weiter ermittelt.
FOTO: LUTZ DECKWERTH/DPA Eine Automobil-Produktion unter Polizeisch­utz: Nach dem Anschlag auf die Stromverso­rgung des Tesla Werks in Grünheide wird vor Ort weiter ermittelt.

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