Saarbruecker Zeitung

„Die deutsche Wirtschaft ist wie gelähmt“

Während es in anderen Ländern aufwärts geht, bleibt die Konjunktur in Deutschlan­d am Boden. Die Unsicherhe­it bei Investoren und Konsumente­n ist groß, warnt das Münchner Ifo-Institut.

- VON BIRGIT MARSCHALL Produktion dieser Seite: Lukas Ciya Taskiran, Lucas Hochstein

Führende Konjunktur­institute sehen Deutschlan­d im Winterhalb­jahr erneut in der Rezession. „Die deutsche Wirtschaft ist wie gelähmt“, erklärte das Münchner Ifo-Institut am Mittwoch. „Unter Unternehme­n und Haushalten ist die Stimmung schlecht und die Unsicherhe­it hoch.“Die Ifo-Ökonomen und das Kieler Institut für Weltwirtsc­haft (IfW) gehen davon aus, dass die Wirtschaft nach einem Minus im vierten Quartal 2023 auch im laufenden ersten Vierteljah­r schrumpft. Damit rutscht sie nach 2023 erneut in die Rezession. Erst ab Jahresmitt­e dürfte sich die Konjunktur erholen. Für das Gesamtjahr 2024 senkte das

Ifo-Institut seine bisherige Wachstumsp­rognose von 0,7 auf 0,2 Prozent. Die Kieler Experten kappten ihre Schätzung von 0,9 Prozent auf nur 0,1 Prozent.

„Die Konsum-Zurückhalt­ung, die hohen Zinsen und Preissteig­erungen, die Sparbeschl­üsse der Regierung und die schwache Weltkonjun­ktur dämpfen derzeit die Konjunktur

in Deutschlan­d und führen erneut zu einer Winterreze­ssion“, sagte IfoKonjunk­turchef Timo Wollmershä­user in Berlin. Eine spürbare Erholung lasse noch auf sich warten. Allerdings deute sich in den nächsten Monaten eine leichte Besserung an. „Mit dem allmählich­en Wegfall der Belastunge­n bei Zinsen und Preisen und den Auswirkung­en der höheren Kaufkraft

für die Verbrauche­r wird sich die Wirtschaft­sleistung zur Jahresmitt­e beschleuni­gen.“

Für 2025 erhöhte das Ifo seine Prognose um 0,2 Punkte auf 1,5 Prozent, während das Kieler Institut weiter mit 1,2 Prozent Wachstum rechnet. Trotz schwacher Dynamik zeige sich der Arbeitsmar­kt robust, so das IfW. „Die Beschäftig­ung dürfte im laufenden

Jahr noch einmal etwas zulegen, bevor sie im Zuge des demografis­chen Wandels auf einen Abwärtstre­nd einschwenk­t.“Auch das Ifo-Institut erwartet einen Beschäftig­ungszuwach­s 2024 von 45,9 auf 46,1Millionen und im kommenden Jahr den Rekordwert von 46,2Millionen Erwerbstät­igen. Die Zahl der Arbeitslos­en steige von gut 2,6 auf 2,7 Millionen, sinke aber im kommenden Jahr wieder unter die 2,6 MillionenM­arke.

Die Konjunktur soll sich in der zweiten Jahreshälf­te wegen der Belebung der Weltwirtsc­haft, des Inflations­rückgangs und des wieder stärkeren privaten Konsums beleben. Die Verbrauche­rpreise steigen dem Ifo-Institut zufolge 2024 nur noch um 2,3 Prozent, nach 5,9 Prozent im Vorjahr. Im kommenden Jahr werde die Inflations­rate sogar auf 1,6 Prozent fallen. Der anhaltend hohe Fachkräfte­mangel wird nach der IfWEinschä­tzung zu deutlich steigenden Löhnen führen. Mit dem erwarteten Abebben der Teuerung „werden die real verfügbare­n Einkommen im laufenden Jahr erstmals nach drei Jahren wieder steigen und den privaten Konsum stimuliere­n“, so das Institut.

Mit seiner Schätzung liegt das IfoInstitu­t auf dem Niveau der Regierungs­prognose von 0,2 Prozent für 2024, das IfW leicht darunter. Der Bundesverb­and der Deutschen Industrie erwartet 0,3 Prozent.

Ifo-Chef Clemens Fuest übte Kritik an der Bundesregi­erung. Deren fehlende Wachstumss­trategie und Zerstritte­nheit hätten zur Wirtschaft­sschwäche beigetrage­n, wie sich an der enormen Investitio­nszurückha­ltung zeige. „Die Schuldenbr­emse ist kein Wachstumsh­indernis“, widersprac­h Fuest SPD und Grünen. Die Probleme lägen tiefer. Es brauche Strukturre­formen, vor allem den Abbau der Bürokratie. Der Anteil der Konsumausg­aben im Bundeshaus­halt müsse zu Gunsten von mehr Investitio­nen kleiner werden.

„Die Schuldenbr­emse ist kein Wachstumsh­indernis.“Clemens Fuest Chef des Ifo-Instituts

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FOTO: IMAGO/CHRIS EMIL JANSSEN Das Container Terminal des Hamburger Hafens: Das Münchner Ifo-Institut rechnet in seiner neusten Prognose mit mehr konjunktur­eller Belebung in der zweiten Jahreshälf­te.

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