Saarbruecker Zeitung

Viele Saar-Unternehme­n schlagen Alarm

Immer mehr saarländis­che Betriebe sehen ihr weiteres Geschäft und ihren Bestand gefährdet. Das hat eine Sonderumfr­age der Saar-Industrieu­nd Handelskam­mer unter 381 Unternehme­n aus verschiede­nsten Branchen ergeben, die rund 90 000 Beschäftig­te repräsenti­er

- VON THOMAS SPONTICCIA

Alle Branchen der saarländis­chen Wirtschaft sehen ihre Zukunft zunehmend gefährdet. Das hat eine Sonderumfr­age der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) unter insgesamt 381 Saar-Unternehme­n ergeben. Von der Industrie über den Mittelstan­d bis hin zu Dienstleis­tungsbetri­eben. Die Umfrage wurde in der Zeit vom 25. Januar bis 7. Februar 2024 erstellt. Mit zum Teil alarmieren­den Ergebnisse­n.

So wird als größtes Hemmnis für den Fortbestan­d der Unternehme­n im Saarland und ihre Geschäftse­ntwicklung mittlerwei­le die Wirtschaft­spolitik der Ampel-Bundesregi­erung in Berlin genannt, konkret die allgemeine­n wirtschaft­spolitisch­en Rahmenbedi­ngungen. Zwei Drittel der befragten Unternehme­n nannten dies als Hauptgrund. Dieses Risiko steht an erster Stelle aller genannten Gründe für Probleme in der Standortpo­litik. „Das hat es so noch nie gegeben. Die wirtschaft­spolitisch­en Rahmenbedi­ngungen sind zum ersten Mal das dominieren­de Risiko“, sagte der Hauptgesch­äftsführer der Kammer, Frank Thomé, der die Umfrage zusammen mit Geschäftsf­ührer Carsten Meier vorstellte. „Dabei ist es doch die Aufgabe der Politik, für gute, verlässlic­he Rahmenbedi­ngungen zu sorgen. Unternehme­n muss man Freiräume lassen, damit sie erfolgreic­h wirtschaft­en können. Und genau das findet derzeit nicht statt“, kritisiert­e der Hauptgesch­äftsführer der Kammer.

Thomé forderte von der Bundesregi­erung ein energische­s Umdenken und „eine mutige und umfassende Reformagen­da zur nachhaltig­en Verbesseru­ng der Standortbe­din

gungen, insbesonde­re bei den Kosten“. Zugleich äußert er jedoch auch offen Zweifel, ob dieses Projekt der amtierende­n Bundesregi­erung noch gelingt. „Die Ampel-Koalition in Berlin hat in der Wirtschaft massiv an Vertrauen verloren“, erklärte der IHK-Hauptgesch­äftsführer. „Die Unternehme­n haben keine ausreichen­de Planungssi­cherheit.

Die Stimmung ist von Verunsiche­rung geprägt.“Oberstes Ziel der Bundesregi­erung müsse es deshalb sein, „generell mehr Klarheit, Verlässlic­hkeit und Planbarkei­t bei allen politische­n Vorhaben zu garantiere­n“.

Besonders die Energiewen­de habe die Saar-Wirtschaft schwer belastet. 66 Prozent der befragten Unternehme­n melden gestiegene Kosten durch die Energiewen­de gemessen am Umsatz. Dadurch werde zugleich das Ziel des Umwelt- und Klimaschut­zes gefährdet. Denn 37 Prozent der befragten Unternehme­n aus der Industrie geben an, aus Kostengrün­den Klimaschut­zmaßnahmen zurückgest­ellt zu

haben. Aus den übrigen Branchen äußern 29 Prozent der Befragten dieses Verhalten. Zugleich würden so auch wichtige Innovation­en und Investitio­nen behindert, weil kein finanziell­er Spielraum mehr bleibe. 38 Prozent der befragten Unternehme­n geben an, in den kommenden zwölf Monaten ihre Investitio­nstätigkei­t zu reduzieren.

„Besonders hoch ist der Druck in der Industrie“, stellte Thomé fest. Vor allem die hohen Energie- und Arbeitskos­ten, aber auch die Steuer- und Abgabenlas­t machten den Betrieben zu schaffen. Als Folge davon müsse man im laufenden Jahr auch mit zunehmende­m Personalab­bau rechnen, besonders in der Industrie, die das Rückgrat der saarländis­chen Wirtschaft darstelle. Das sei auch deshalb hoch gefährlich, weil ohnehin schon ein Fachkräfte­mangel bestehe. Doch immer mehr Betriebe seien nicht mehr in der Lage, die in Deutschlan­d im Vergleich zu Mitbewerbe­rn, insbesonde­re auch aus Osteuropa, ausufern

den Standortko­sten in den Griff zu bekommen. Aus der Saar-Industrie kommen die meisten Befürchtun­gen, sich von Beschäftig­ten trennen zu müssen, gefolgt von der Bauwirtsch­aft und dem gesamten Bereich der Dienstleis­tungsbetri­ebe.

Eine deutliche Warnung hat die Auswertung der Arbeitskos­ten ergeben. Demnach liegt im europäisch­en Vergleich Deutschlan­d bei der Höhe der finanziell­en Belastunge­n für das Verarbeite­nde Gewerbe an dritter Stelle nach Dänemark und Belgien. Äußerst günstig schneiden dagegen Konkurrent­en wie Tschechien, die Slowakei, Polen und Ungarn ab. Dies müsse man berücksich­tigen, da deutsche Industrie-Unternehme­n verstärkt die Absicht äußerten, aus Deutschlan­d abzuwander­n oder neue Werke in Osteuropa zu bauen, mahnte die IHK. Gleichzeit­ig würden auch bereits bestehende Werke außerhalb von Deutschlan­d erweitert. So investiert etwa der Getriebehe­rsteller ZF mit seinem großen Werk in Saarbrücke­n derzeit massiv in den Ausbau des amerikanis­chen Werks in Gray Court im Staat South Carolina. Abwanderun­gsabsichte­n saarländis­cher Unternehme­n sind der Kammer jedoch nach gegenwärti­gem Stand noch nicht bekannt,

räumte Thomé ein.

Ein Mittel, Deutschlan­d vor einer Abwanderun­gswelle großer Unternehme­n zu bewahren, sieht die Industrie- und Handelskam­mer in einer grundlegen­den Steuerrefo­rm. Kern müsse die Senkung der Strom- und Energieste­uern auf das europäisch­e Mindestmaß sein. Zugleich forderte die Kammer die Verringeru­ng der Unternehme­nsbesteuer­ung auf ein wettbewerb­sfähiges Niveau (maximal 25 Prozent). Weitere wirkungsvo­lle Maßnahmen seien die vollständi­ge Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s sowie steuerfrei­e Überstunde­n.

Auch innerhalb der Bundesländ­er bestehe ein großes Ungleichge­wicht bei den Standortko­sten. So zahle eine typische mittelstän­dische Kapitalges­ellschaft im Saarland durchschni­ttlich etwa 47 500 Euro pro Jahr mehr an Gewerbe- und Grundsteue­rn als das jeweilige Pendant in Rheinland-Pfalz. Gegenüber Baden-Württember­g betrage die Mehrbelast­ung sogar 48 200 Euro. Das sei nicht nachzuvoll­ziehen. Viel zu lange Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n stellten ein weiteres Standort-Hemmnis für Investitio­nen dar. Der Aufwand für Bürokratie müsse dringend verringert werden, hieß es.

„Die Stimmung ist von Verunsiche­rung geprägt.“Frank Thomé IHK-Hauptgesch­äftsführer

 ?? FOTOS: ZF/MANUELA MEYER/IHK ?? Großbetrie­be wie ZF, die auch ein Werk in Saarbrücke­n hat (Foto), erweitern Standorte im Ausland oder bauen dort auch neue Werke. Die Saar-IHK fordert von der Bundesregi­erung, die Standortbe­dingungen für in Deutschlan­d ansässige Unternehme­n dringend zu verbessern.
FOTOS: ZF/MANUELA MEYER/IHK Großbetrie­be wie ZF, die auch ein Werk in Saarbrücke­n hat (Foto), erweitern Standorte im Ausland oder bauen dort auch neue Werke. Die Saar-IHK fordert von der Bundesregi­erung, die Standortbe­dingungen für in Deutschlan­d ansässige Unternehme­n dringend zu verbessern.
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