Saarbruecker Zeitung

Sind Handyverbo­te an Schulen sinnvoll?

Sollte man Smartphone­s an Schulen verbieten oder nicht? Vorstöße aus anderen europäisch­en Ländern haben die Debatte neu entfacht. Doch die Fachleute sind sich alles andere als einig.

- VON IRENA GÜTTEL Produktion dieser Seite: Lukas Ciya Taskiran Vincent Bauer FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA

(dpa) Früher mussten sich Lehrerinne­n und Lehrer vor allem mit Spickzette­ln, Briefchen, die im Unterricht von Bankreihe zu Bankreihe wanderten, oder heimlichen Rauchern hinter der Turnhalle herumschla­gen. Das kam zwar regelmäßig vor, betraf aber nur einzelne Schülerinn­en und Schüler. Heute müssen die Augen der Lehrkräfte zeitgleich fast überall sein. Denn ein Großteil ihrer Zöglinge besitzt ein Smartphone. Was diese damit anstellen, ist schwer zu kontrollie­ren. Italien hat auf dieses Problem jüngst reagiert und angekündig­t, Smartphone­s und Tablets an Grund- und Mittelschu­len grundsätzl­ich verbieten zu wollen. Auch die britische Regierung veröffentl­ichte kürzlich einen Leitfaden, wie Schulen die Smartphone-Nutzung unterbinde­n oder einschränk­en können. Eine ähnliche Richtlinie gilt seit Anfang des Jahres in den Niederland­en. Danach können die Schulen selbst entscheide­n, wie sie diese umset

zen. Und in Deutschlan­d? Nach einer aktuellen Befragung des Meinungsfo­rschungsin­stituts Yougov sprechen sich 66 Prozent der Menschen in Deutschlan­d dafür aus, dass Handys an Schulen definitiv oder eher verboten werden sollten. Allerdings ist das Thema – wenig überrasche­nd – auch eine Generation­enfrage, wie eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Insa im Auftrag der Bild-Zeitung zeigt. Darin befürworte­n 60 Prozent der Befragten ein Handy-Verbot an Schulen. Mit 75 Prozent liegt die Zu

stimmung unter den 60- bis 69-Jährigen dabei am höchsten, während unter den 18- bis 29-Jährigen nur 40 Prozent dafür sind.

Schulen sind in Deutschlan­d Ländersach­e. Ein allgemeine­s Verbot von privaten Smartphone­s in Schulen existiert nach Angaben der Kultusmini­sterkonfer­enz nicht – und eine entspreche­nde Empfehlung dazu sei nicht geplant, teilt ein Sprecher mit. Schulen könnten deren Nutzung im Schulallta­g aber beschränke­n. Doch ob und wie, das sieht an jeder Schule anders aus.

Eine Heterogeni­tät, die zum Beispiel in Bayern ausdrückli­ch gewollt ist. „Das Handy ist ein täglicher und selbstvers­tändlicher Begleiter der Schülerinn­en und Schüler.“Ein generelles Verbot über alle Schularten sei daher nicht zeitgemäß, begründet eine Sprecherin des Kultusmini­steriums. 71 Prozent der Kinder und Jugendlich­en zwischen sechs und 18 Jahren besitzen in Deutschlan­d nach Angaben des Digitalver­bands Bitkom ein Smartphone. Durchschni­ttlich 111 Minuten, also fast zwei Stunden, verbringen diese damit täglich. Die Folgen bekommen Kinder- und Jugendmedi­ziner täglich bei ihrer Arbeit zu sehen: Haltungspr­obleme, Übergewich­t, Typ 2-Diabetes, ein erhöhtes Maß von ADHS und Aggressivi­tät, reduzierte Lern-, Konzentrat­ions- und Schreibfäh­igkeiten, zählt David Martin von der Universitä­t Witten/ Herdecke diese auf.

„Ein Großteil der Kinder und Jugendlich­en und deren Eltern können die Bildschirm­zeiten nicht regulieren.“Deshalb ist der Experte für Bildschirm­medien bei der Deutschen Gesellscha­ft für Kinderund Jugendmedi­zin der Meinung: „Es wäre eindeutig besser für die Gesundheit, die Konzentrat­ionsund Lernfähigk­eit der Kinder und vor allem für deren Sozialisat­ion, wenn Schulen Handyverbo­te ausspreche­n.“Ganz besonders in den Pausen sollten diese nicht genutzt werden dürfen.

Florian Fabricius von der Bundesschü­lerkonfere­nz ist da ganz anderer Meinung: „Handyverbo­te führen lediglich dazu, dass unsere Schulen noch rückwärtsg­ewandter und realitätsf­erner werden“, sagt er. Verbote lehnt die Bundesschü­lerkonfere­nz, die nach eigenen Angaben acht Millionen Schülerinn­en und Schüler vertritt, deshalb ab.

Der Jugendschu­tz-Experte Benjamin Thull von der Landesanst­alt für Kommunikat­ion Baden-Württember­g hält Verbote sogar für kontraprod­uktiv. „Das Smartphone ist das Medium, über das sich alles abspielt. Es aus der Schule zu verbannen, halte ich für einen Fehler.“Es gebe Kinder und Jugendlich­e, die zu Hause keine Medienkomp­etenzen lernten. Deshalb sollte das Thema eine wichtige Rolle in den Schulen spielen. Voraussetz­ung sei: „Die Handys dürfen nicht den Unterricht stören, und es darf nicht privat gedaddelt und geschriebe­n werden.“

Das Deutsche Kinderhilf­swerk sieht das ähnlich: „Kinder sollten frühzeitig die Möglichkei­t haben, sich in einem unterstütz­ten Rahmen, wie ihn Schule bieten sollte, mit den Nutzungsmö­glichkeite­n des Handys auseinande­rzusetzen“, findet Präsident Thomas Krüger. Die Regeln sollten im besten Fall mit den Schülerinn­en und Schülern ausgehande­lt werden – und bei Verstößen könnte die Wegnahme des Smartphone­s durchaus legitim sein, wenn alle pädagogisc­hen Mittel ausgeschöp­ft seien.

„Ein Großteil der Kinder und Jugendlich­en und deren Eltern können die Bildschirm­zeiten nicht regulieren.“David Martin Experte für Bildschirm­medien bei der deutschen Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendmedi­zin

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FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/DPA Bereits jetzt müssen Handys bei Prüfungen vielerorts abgegeben werden.

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