Deutsche Parteien setzen bei Europa auf Frauen
Mit der Wahl der amtierenden EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) zur Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei wird klar, dass bei der Europawahl die Parteien vor allem in Deutschland auf starke Frauen setzen.
Mit 400 gegen 89 Stimmen haben die Delegierten der christdemokratisch-konservativen Parteienfamilie in geheimer Abstimmung Ursula von der Leyen als Spitzenkandidatin für die Europawahlen Anfang Juni für die EVP ins Rennen geschickt. Sie war zwar die erste Frau an der Spitze der EUKommission, doch nun ist sie längst nicht die einzige Spitzenkandidatin. Aus deutscher Perspektive werden im Wahlkampf gleich sechs Frauen ganz vorne stehen. Auch SPD, Grüne, FDP, Linke und Freie Wähler werben mit starken Frauen für Europa, lediglich die AfD und das Wagenknecht-Bündnis haben Männer auf den Schild gesetzt.
„Meine Freunde“, sagte die 65-jährige CDU-Politikerin in ihrer Rede vor dem Parteikongress in Bukarest, so als wolle sie alle Zweifel an ihrer inhaltlichen Verbundenheit mit der Europäischen Volkspartei per Umarmung vertreiben. Mehr Beifall bekam sie aus den verschiedenen Ecken des Saales, als sie jeden EVP-Regierungschef mit „Stolz“auf seine jeweiligen Leistungen einzeln lobte, und erst recht für zuvor in ihrer Präsidentschaft selten gehörte Sätze. „Wir werden immer an der Seite der Bauern stehen“, rief eben jene Frau, deren Kommission die europäischen Landwirte mit mehreren Projekten in Rage versetzt hatte.
Von der Leyen verteidigte das EVP-Wahlprogramm mit der Forderung, Asylverfahren künftig in Drittstaaten außerhalb Europas durchzuführen. Das stehe im Einklang mit dem EU-Recht, versicherte die Kandidatin und stellte dabei klar: „Wir entscheiden, wer nach Europa kommt und nicht die organisierten Schmuggler.“Von der Leyen und EVP-Präsident Manfred Weber kündigten an, dass der Einsatz für Demokratie, Wohlstand und Sicherheit im Mittelpunkt der nun beginnenden Kampagne stehen werde. Beide nannten für die Kooperation mit anderen Partnern drei Bedingungen: Sie müssten für Europa, gegen Putin und für den Rechtsstaat sein. Am Rande des Parteikongresses in Bukarest kursierten Spekulationen, dass auch die italienische FratelliRegierungspartei von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in die EVP aufgenommen werden könnte. Das dürfte eine Zusammenarbeit von EVP, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen erschweren, die von der Leyen für ihre erneute Wahl zur Kommissionspräsidentin gewinnen will.
Streng genommen treten zwei Frauen und zwei Männer auf Europaebene um den Posten des Kommissionspräsidenten an: neben von der Leyen die Grünen-Spitzenkandidatin Terry Reintke, der Luxemburger Sozialdemokrat Nicolas Schmit und der österreichische Kommunist Walter Baier. Im deutschen Wahlkampf werden aber sechs Frauen für ihre Parteien in den Ring gehen:
Ursula von der Leyen (65), gebürtige Brüsselerin und im Raum Hannover auf dem elterlichen Anwesen wohnend. Die ausgebildete Ärztin war Landes- und Bundesministerin und erste deutsche Verteidigungsministerin, bevor sie 2019 auf Vorschlag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron am eigentlichen Wahlsieger Man
fred Weber vorbei den wichtigsten Posten der EU bekam. Von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán abgesehen, stehen die für die Erstauswahl zuständigen Mitglieder des Rates hinter ihr. Fraglich bleibt, ob und wie sie sich die nötige Mehrheit im Parlament sichern kann. Sie selbst kandidiert nicht für einen Einzug ins Parlament. In Deutschland gibt es deshalb in den Ländern für CDU und CSU 16 verschiedene Spitzenkandidaten auf den Wahlzetteln, nicht den der EVP-Spitzenkandidatin.
Katarina Barley (55), gebürtige Kölnerin und in Trier heimisch gewordene Deutsch-Britin. Die Juristin ist die deutsche Spitzenkandidatin der SPD. Sie arbeitete beim Bundesverfassungsgericht und im Justizdienst, bevor sie SPD-Generalsekretärin und danach Bundesjustizministerin wurde. Seit 2019 ist sie Vizepräsidentin des Europäischen
Parlamentes. Sie steht auf Nummer eins der SPD-Liste.
Terry Reintke (36), als Theresa geborene Gelsenkirchenerin. Sie ist Diplom-Politologin, seit 2014 Mitglied des Europaparlamentes und seit 2022 an der Spitze der Fraktion der europäischen Grünen. Sie wurde im November Spitzenkandidatin der deutschen, im Februar auch der europäischen Grünen und steht auf Platz eins der Grünen-Liste.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (65), in Düsseldorf geborene Germanistin. Sie arbeitete lange beruflich als Verlagsrepräsentantin und politisch als Kommunalpolitikerin in ihrer Heimatstadt, war dort Erste Bürgermeisterin, als sie stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende wurde. Seit 2021 ist sie Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, seit Januar FDP-Spitzenkandidatin mit Listenplatz eins.
Carola Rackete (35), in Preetz bei Kiel geborene Naturschutzmanagerin und nautische Offizierin. Sie wurde als Kapitänin bekannt, als sie mit einem Flüchtlingsrettungsschiff trotz eines Verbotes der italienischen Behörden den Hafen der Mittelmeerinsel Lampedusa anlief. Bislang wirkte sie als Aktivistin, nicht als Politikerin. Das könnte sich mit der Europawahl im Juni ändern. Das zur „Spitzenkandidatin“der Linken ernannte Nichtparteimitglied steht auf Platz zwei der Liste; vor ihr ist Parteichef Martin Schirdewan abgesichert.
Christine Singer (58), im oberbayerischen Weilheim geborene Hauswirtschaftsmeisterin. Sie ist bayerische Landesbäuerin und betreibt mit ihrer Familie einen Milchviehbetrieb in Hofheim im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Die Freien Wähler setzten sie für die Europawahlen auf Platz eins ihrer Liste.