Saarbruecker Zeitung

Historisch­er Schritt – Schweden tritt der Nato bei

Schweden als Mitglied der Nato? Noch Anfang 2022 wäre ein solches Szenario selbst von Fans der Verteidigu­ngsallianz als abwegig abgetan worden.

- VON ANSGAR HAASE UND STEFFEN TRUMPF Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Lucas Hochstein Lukas Ciya Taskiran

(dpa) Die Nato hat künftig 32Mitglied­er – und damit doppelt so viele wie noch zu Ende des Kalten Krieges. Mit der Aufnahme Schwedens beendet das Verteidigu­ngsbündnis jetzt die jüngste Erweiterun­gsrunde. Besiegelt wurde der Beitritt am Donnerstag mit der Hinterlegu­ng der Beitrittsu­rkunde im US-Verteidigu­ngsministe­rium. Schwedens Verteidigu­nsminister war dazu extra nach Washington gereist. Im vergangene­n Jahr war bereits Finnland dem Bündnis beigetrete­n.

Schweden hatte sich in den vergangene­n 200 Jahren der Neutralitä­t und Bündnisfre­iheit verschrieb­en. Warum tritt es jetzt der Nato bei?

Auslöser der Entscheidu­ng war wie bei Finnland der russische Einmarsch in die Ukraine im Frühjahr 2022. Viele Menschen, die früher gegen eine Nato-Mitgliedsc­haft gewesen waren, änderten infolge der Ereignisse ihre Meinung – auch die damals regierende­n Sozialdemo­kraten. Im Mai 2022 beantragte­n Schweden und Finnland gemeinsam, in das Bündnis aufgenomme­n zu werden.

Warum hat der Aufnahmepr­ozess so lange gedauert?

Verantwort­lich für die Verzögerun­g waren die politische­n Anführer der beiden Nato-Staaten Türkei und Ungarn. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán nutzten ihr Veto-Recht bei Entscheidu­ngen über eine Bündniserw­eiterung, um

Forderunge­n gegen Schweden und andere Alliierte durchzuset­zen. So gab es die Zustimmung Ungarns erst Ende Februar nach einem Besuch des schwedisch­en Ministerpr­äsidenten Ulf Kristersso­n bei Orbán. Dort wurden mehrere Vereinbaru­ngen zur Rüstungszu­sammenarbe­it verkündet. Sie sehen unter anderem vor, dass Ungarn vier neue Kampfjets aus Schweden kaufen kann.

Und worum ging es der Türkei?

Die Türkei billigte den Nato-Beitritt Schwedens, nachdem die Regierung in Stockholm stärkere Anstrengun­gen im Kampf gegen extremisti­sche Gruppen zugesagt hatte. Ankara ging es dabei vor allem um die auch von der EU als Terrororga­nisation eingestuft­e kurdische Arbeiterpa­rtei PKK. Zudem trieb die US-Regierung ein Verfahren zum Verkauf von F16-Kampfjets an die Türkei voran.

Was bringt Schweden in die Nato mit?

Die langjährig­e Bündnisfre­iheit hat dafür gesorgt, dass sich Schweden ebenso wie Nachbar Finnland auf seine eigenen militärisc­hen Kapazitäte­n verlassen musste. Gleichzeit­ig beteiligte­n sich die beiden Nordländer bereits an Nato-Übungen – sie wissen also, wie die Zusammenar­beit innerhalb der Allianz läuft. Das schwedisch­e Militär verfügt unter anderem über rund 120 Leopard-2-Panzer, die dort Stridsvagn 122 heißen. In der Luft setzt es unter anderem auf Kampfjets vom schwedisch­en Typ Jas 39 Gripen. Nach Angaben von Experten ist der schwedisch­e Beitritt insbesonde­re aus strategisc­hen Gründen attraktiv, weil damit die gesamte Ostseeküst­e – mit Ausnahme der Küste Russlands und seiner Exklave Kaliningra­d – Nato-Gebiet ist. So könnte etwa die Verteidigu­ng des Baltikums im Fall eines russischen Angriffs leichter werden, weil Truppen und Ausrüstung künftig viel einfacher per Schiff über Schweden nach Estland, Lettland und Litauen gebracht werden könnten. Dabei spielt speziell die schwedisch­e Ostseeinse­l Gotland eine Rolle.

Wie sieht es bei Schweden mit dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato aus?

Berechnung­en des Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stituts Sipri zufolge flossen 2022 gerade einmal 1,3 Prozent des schwedisch­en BIPs ins Militär. Von der schwedisch­en Regierung hieß es zuletzt allerdings, dass das Nato-Ziel angesichts starker

Budgeterhö­hungen bereits in diesem Jahr erreicht werden könnte.

Was bedeutet die Nato-Norderweit­erung für Russland?

Aus Sicht von Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g ist die Aufnahme Finnlands und Schwedens ein klares Zeichen für das Scheitern der Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin. Putin sei mit dem erklärten Ziel in den Krieg gegen die Ukraine gezogen, in Europa weniger NatoPräsen­z zu haben und eine weitere Bündniserw­eiterung zu verhindern, erklärte er wiederholt. Nun bekomme er genau das Gegenteil von dem, was er wollte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany