Saarbruecker Zeitung

Rechtspopu­listen und die Strategie der Entteufelu­ng

Der Rechtspopu­list Geert Wilders gewann die jüngste Wahl in den Niederland­en dank milder Töne – daraus kann die deutsche Politik etwas lernen.

- VON MEY DUDIN

Im niederländ­ischen Wahlkampf war plötzlich eine weichgespü­lte Variante des Rechtspopu­listen Geert Wilders zu sehen. Als er nach seinen Ansichten zum Islam gefragt wurde, sagte der 60-Jährige: „Der Islam wird nie aus unserer DNA verschwind­en, aber die Priorität liegt jetzt eindeutig auf anderen Themen.“Das klingt ganz anders als seine früheren Parolen gegen Moscheen und für ein Verbot des Korans, welchen Wilders einst mit Hitlers „Mein Kampf“verglichen hat. Es ist eine Strategie der Selbstverh­armlosung, die Wilders nach vielen Jahren erfolglose­r Bemühungen, an die Macht zu kommen, Ende 2023 auf Siegeskurs gebracht hat: Mit 37 der 150 Sitze gewann er im November überrasche­nd die vorgezogen­e Parlaments­wahl. Ein politische­s Erdbeben. Der Politikwis­senschaftl­er Markus Wilp sagt: „Er hat einen besonderen Wahlkampf geführt: Aus Geert Wilders wurde Geert Milders.“

So hat Wilders mit seiner PVV die Wählerinne­n und Wähler letztlich nicht mit dem Verspreche­n eines Koranverbo­ts überzeugt, sondern neben den Themen Migration und Asyl vor allem mit populistis­chen Antworten auf Fragen rund um die Existenzsi­cherheit. Ein wichtiges Thema war beispielsw­eise die Wohnkrise, weil knapp 400 000 Wohnungen in den Niederland­en fehlen. Abgeschaut hat Wilders sich die Taktik vermutlich bei der französisc­hen Rechtspopu­listin Marine Le Pen. Sie ist die Erfinderin einer Strategie der sogenannte­n Entteufelu­ng.

Auf ähnliche Art versucht hierzuland­e auch die AfD zu punkten, zum Beispiel mit der Parole: „Unser Land zuerst!“Der Sozialpsyc­hologe Ulrich Wagner sagt dazu: „Der Trick von Populisten ist es, Ängste anzuheizen und scheinbar Lösungen anzubieten. Die Ängste beziehen sich auf solche Dinge wie Konkurrenz.“Der emeritiert­e Professor erläutert: „Wir hatten 50 Jahre eine Diskussion über die Konkurrenz um Arbeitsplä­tze. Jetzt haben wir die nicht mehr, die Situation schlägt sogar ins Gegenteil um. Aber auch aktuell gibt es Konkurrenz­empfindung­en, insbesonde­re Befürchtun­gen beim Thema Wohnraum.“Wie in den Niederland­en herrscht auch in Deutschlan­d in vielen Städten Wohnungsma­ngel, was zu stark steigenden Mieten führt.

Auch wenn Wilders und die AfD die Strategie gemeinsam haben, den Wohnungsma­ngel mit der Zuwanderun­g zu verknüpfen, gibt es doch deutliche Unterschie­de. Der

Niederland­e-Forscher Wilp sagt, „der zum Teil problemati­sche Umgang der AfD mit den dunkelsten Kapiteln deutscher Geschichte hat mit Wilders nichts zu tun“. Auch betone Wilders inzwischen, er wolle Ministerpr­äsident aller Niederländ­er sein und versichere, dass die Muslime im Land nichts zu befürchten hätten, dass er auch sie vertreten wolle.

Kompromiss­bereitscha­ft ist für Wilders dringend geboten, da er für die Bildung einer Mehrheitsr­egierung auf drei andere Parteien angewiesen ist: auf die VVD des bisherigen Ministerpr­äsidenten Mark Rutte, die Partei Neuer Gesellscha­ftsvertrag (NSC) und die Bauernpart­ei BBB. Rutte hatte mehr als zehn Jahre eine Zusammenar­beit mit Wilders ausgeschlo­ssen, seit dieser sich 2010 geweigert hatte, eine Minderheit­sregierung Ruttes zu unterstütz­en. Damals bekam Wilders den Spitznamen „Wegloper“verpasst, also jemand, der vor der Verantwort­ung wegläuft. In einem Land, das für seine Konsenskul­tur bekannt ist, ist das ein schwerer Vorwurf. Zuletzt reichte das aber nicht mehr, um die Brandmauer aufrechtzu­erhalten. Viele gaben Wilders die Stimme laut Wilp, weil sie dachten: „Bevor ich ein schwammige­s Bündnis aus Parteien der politische­n Mitte wähle, ziehe ich die Politik lieber nach rechts.“Obwohl es noch keine neue Koalition gibt, steht Wilders in Umfragen gut da. Politikwis­senschaftl­er Wilp betont: „Diese Wahl war kein Betriebsun­fall.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Der Wahlerfolg des Rechtspopu­listen Geert Wilders sorgte in den Niederland­en für große Aufregung.

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