Saarbruecker Zeitung

Blau-schwarze Spuren der Fan-Liebe

Geklebt und gesprayt, manchmal auch nicht ganz legal: Die Zuneigung zum 1. FC Saarbrücke­n ist in der Stadt allgegenwä­rtig.

- VON CHRISTINE FUNK (FOTOS) UND STEFAN REGEL (TEXT) Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Stefan Regel

Die Liebe geht manchmal seltsame Wege. So ist es auch bei Fußballfan­s. In den vergangene­n 25 Jahren feierte die Ultra-Kultur dabei einen Siegeszug. Aus Italien auch nach Deutschlan­d geschwappt, explodiert­e die meist jugendlich geprägte Subkultur mit einer besonders ausgeprägt­en Liebe zum Verein regelrecht. So auch beim 1. FC Saarbrücke­n, wo seit Ende der 90er-Jahre, der Autor war mit dabei, Fans und Gruppen wie der Supporters Club 95 oder die „Boys“riesige Zaunfahnen, große Schwenkfah­nen, Doppelhalt­er und mehr bastelten, um die Mannschaft im Stadion beeindruck­ender als zuvor zu unterstütz­en. Mittlerwei­le ist die Ultra-Bewegung in Saarbrücke­n viel mehr als nur der organisier­te „Support“bei Heim- und Auswärtssp­ielen.

Die Ultras der „Virage Est“des Ludwigspar­ks genießen deutschlan­dweit einen guten Ruf, haben mit ihrem französisc­h geprägten Stil ein Alleinstel­lungsmerkm­al. Und sie sammeln bei vielen Gelegenhei­ten Geld für den guten Zweck, engagieren sich gesellscha­ftlich stark, für Vielfalt, bei Typisierun­gsaktionen für Leukämiekr­anke, einem eigens für karitative Zwecke veranstalt­eten Weihnachts­markt und vieles mehr. Sie beginnen Freundscha­ften über Grenzen hinweg und betreiben so gelebte Völkervers­tändigung, so wie mit den

Fans und Ultras des AS Nancy aus Frankreich oder Austria Salzburg aus Österreich.

Ultras organisier­en beeindruck­ende Choreograf­ien, malen Banner und Transparen­te oder mit Genehmigun­g das eigene Stadion an. In Motiven wie hinter den Stehplätze­n der Virage des Ludwigspar­ks steckt viel Kreativitä­t – und verdammt viel Arbeit. Ultras sprechen im Allgemeine­n nicht mit der Polizei oder der Presse. Sie äußern sich auch politisch, auch mit Spruchbänd­ern im Stadion – auch mit Erfolg, wie jetzt beim Kampf gegen einen Investoren-Einstieg. Sie schlagen mit ihrer Fundamenta­lkritik an der Polizei auch mal über die Stränge, ihr Ton ist gerne mal martialisc­h. Und manchmal, wenn der Verein „mal wieder nichts auf die Reihe kriegt“, wie Spötter sagen, springen die Ultras und engagierte­n Fans der Fanszene ein und feiern beispielsw­eise wie im vergangene­n April den 120. Geburtstag des Traditions­vereins mit einem großen Fanmarsch samt Feuerwerk.

Und damit sind wir auch bei Auswüchsen, die es schon früher gab, und mit der UltraBeweg­ung überhand genommen haben. Wie riesige Schwenkfah­nen, die 90 Minuten in Bewegung sind und den Fans dahinter die Sicht auf den Platz nehmen. Wobei das diejenigen, die es betrifft, wissen, und ausweichen können. Anderes Beispiel: Für viele Zuschauer sehen Bengalos und Rauchpulve­r durchaus schön und beeindruck­end aus, Smartphone­s werden gezückt. Nur: Pyrotechni­k in Stadien ist aufgrund der Gefährlich­keit, über die auch immer wieder gestritten wird, verboten. Verletzung­en kommen durchaus mal vor. Und wer als Asthmatike­r mal in einer fetten Rauchwolke gestanden und gehustet hat, weiß, dass das nicht schön ist. Die Konsequenz sind Stadionver­bote (SV) meist über zwei Jahre. Trotzdem fahren die SV'ler mit ihren Freunden auswärts und warten dann vor dem Stadion oder in der Stadt, ohne das Spiel sehen zu dürfen.

Insgesamt soll es in Deutschlan­d mehr als 25 000 Ultras geben, organisier­t in mehr als 300 Gruppen, ergab 2016 eine Bestandsau­fnahme, mittlerwei­le dürften es sicher mehr sein. Und manche Mitglieder sind laut Forschern durchaus gewaltbere­it, wie die Vergangenh­eit zeigte, auch das soll in diesem Kontext nicht verschwieg­en werden.

Es ist eine männlich geprägte Subkultur, in der man Freunde findet, die sich „Bruder“nennen. Und eine, die mittlerwei­le überall in der Stadt sichtbar ist. Junge Menschen wollen ihr Umfeld mitgestalt­en, ihre Meinung ausdrücken. Und: Fans und Ultras, so könnte man es etwas spöttisch nennen, markieren gerne ihr Revier. Die Botschaft: Hier ist unser Terrain. Revierverh­alten, wie wenn der neue Freund seiner Flamme Blumen zum Valentinst­ag in die Firma schickt, letzterer Übeltat wurde auch der Autor dieser Zeilen schon mal schuldig. Männer sind doch nur große Hunde, soll mal eine Frau gesagt haben.

Seit Jahren fallen auch blau-schwarz bemalte Stromkäste­n, zehntausen­de Aufkleber auf Laternenma­sten, auf Mülleimern und Schildern oder Graffiti auf Wänden in der Stadt auf. Viele Autobahn-Brücken im Saarland sind blau-schwarz bemalt, bevor sie hinter der Landesgren­ze aufgrund eines anderen unbedeuten­den Vereins rotweiß bemalt sind. Und in anderen Regionen geht es noch deutlich „bunter“zu. In Ost-Deutschlan­d ist auf der A4 genau zu erkennen, wo das „Territoriu­m“von Rot-Weiß Erfurt beginnt und endet und wo dann das blau-gelb-weiße „Hoheitsgeb­iet“der Fans des FC Carl Zeiss Jena beginnt. Um Dresden oder Rostock hängen Zehntausen­de Aufkleber, auf denen „Hansa-Zone“oder „Dynamo-Zone“steht. Es geht aber auch legal. So stellten Ultras von Bayer Leverkusen einen Antrag an die städtische Kulturabte­ilung, offiziell Brücken besprühen zu dürfen. Da es aus baufachlic­her Sicht kein Problem war, wurde die Bemalung genehmigt.

In den Innenstädt­en, in Burbach oder auf dem Eschberg, in Dudweiler oder Güdingen, steht Saarbrücke­n dabei wie andere Städte vor einer Sysiphosar­beit, für jeden abgekratzt­en Aufkleber bei Sauberkeit­skampagnen werden woanders wohl wieder zwei neue Aufkleber hingeklebt. Der Autor dieser Zeilen als bekennende­r Fan des Malstatter Vereins mag diese auch vom Reiz der Illegalitä­t getragene Art der „Verschöner­ung“nicht schlimm finden, andere Zeitgenoss­en sehen das wohl eher als freche Sachbeschä­digung. Nur: Aufhalten lässt sich das Ganze wohl kaum, ähnlich wie bei Aufklebern der Antifa, der 68er, bei Graffiti-Tags von jugendlich­en Sprayern oder in den 80ern den Aufklebern der Atomkraftb­ewegung. Instagram-Seiten mit Namen wie „Stickerrom­antik“oder „Urban Art“feiern diese Art der „Kunst“.

Übrigens: Neulich auf einer Laterne direkt am Arbeitsweg hatte jemand doch einen Aufkleber eines anderen Vereins, dessen Name der Autor sich weigert auszusprec­hen, auf einen FCS-Sticker geklebt. Ein Affront. Ein Anblick, so erfreulich wie ein Hundehaufe­n. Man musste ihn einfach entfernen.

Bei den Stromkäste­n, die technisch genau Verteilers­chränke heißen, ist es besonders augenschei­nlich. Vorher, in Grau, fielen sie keinem auf. Jetzt als Projektion­sfläche von Fans und Ultras, die meist im Schutze der Dunkelheit sprühen oder mit Farbrollen Logos des Vereins oder ihrer Gruppe per Schablone anbringen, springen sie ins Auge. Mittlerwei­le dürfte wohl an mehr als 50 Prozent aller Laternenma­sten in Saarbrücke­n ein FCS-Aufkleber zu finden sein. Wir haben uns für diese Seite umgeschaut – und hingeschau­t. Urbane Einsichten eingefange­n. Und vielleicht stimmt es die Menschen, denen das Ganze aus für sie guten Gründen ein Dorn im Auge ist, etwas milder: Es passiert aus Liebe. Denn wie sang einst Connie Francis so schön: Die Liebe ist ein seltsames Spiel.

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 ?? ?? Landwehrpl­atz Demo gegen Rechts
Landwehrpl­atz Demo gegen Rechts
 ?? ?? Am Kieselhume­s, Ostbahnhof
Am Kieselhume­s, Ostbahnhof
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Mainzer Straße, Römerkaste­ll
 ?? ?? A 620, Richtung Fechingen
A 620, Richtung Fechingen
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Dudweilers­traße
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Mainzerstr­aße
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Halbergstr­aße
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Halbergstr­aße
 ?? ?? Ziegelstra­ße
Ziegelstra­ße
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Ziegelstra­ße
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Stadionweg

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