Öffentlicher Raum: Der Mann ist das Maß aller Dinge
Heute ist der internationale Frauentag. Dass Frauen oft benachteiligt sind, zeige sich auch im Alltag, meint Designerin Julia Pierzina.
Frauen haben bei Autounfällen ein deutlich höheres Risiko, verletzt oder sogar getötet zu werden als Männer. Das hat eine Studie der amerikanischen Verkehrssicherheitsbehörde ergeben. Und zwar nicht, weil sie schlechter Auto fahren. Die Sicherheit in Fahrzeugen ist schlicht auf den Durchschnittsmann ausgelegt. Getestet wird nämlich meist nur mit einem männlichen Dummy. Dass die Welt für Männer gemacht zu sein scheint, ist also mehr als nur ein Eindruck, mehr als ein subjektives Gefühl.
„Es ist davon auszugehen, dass die Gestaltung des öffentlichen Raumes, aber auch von Produkten und Dienstleistungen, auf die Bedürfnisse einer bestimmten Personengruppe zugeschnitten ist“, sagt Julia Pierzina. Den Männern nämlich. „Aufgrund der Geschlechterrollen waren es lange Zeit vor allem Männer, die als Erfinder oder Designer tätig waren“, erklärt sie, „und dabei geht man eben im Regelfall von sich selbst, vom eigenen Erfahrungsraum aus.“
Julia Pierzina ist stellvertretende Vorsitzende des „International Gender Design Network“in
Deutschland, einer internationalen Initiative, die sich dafür einsetzt, Geschlechterfragen in Designprozesse einzubinden. An der Hochschule der Bildenden Künste Saar promoviert Pierzina derzeit zum Thema Gender (dt.: soziales Geschlecht) und Design. Schon im Studium dort habe sie Design als etwas erkannt, das Stereotype abbauen und
Gerechtigkeit fördern kann. Bisher lebten wir allerdings in einer Welt, die von Männern für Männer geschaffen wurde. Tischhöhen, die Wohlfühltemperatur im Büro, die Sicherheit eines Autos bei einem Unfall – all das orientiere sich an Werten des Durchschnittsmannes. Daten von Frauen würden oft nicht oder nur fehlerhaft erhoben. Man nennt das den „Gender Data Gap“(dt.: Geschlechter-Datenlücke).
Auch in der Konzeption des öffentlichen Raumes seien Männer das Maß aller Dinge. Da ist zum Beispiel die Sache mit den Toiletten: In der Planung dieser räumten Architekten Männern und Frauen in der Regel die gleiche Quadratmeterzahl ein. Das höre sich erst einmal fair an, sei es aber nicht. In Herrentoiletten gibt es zusätzlich Urinale, die weniger Platz einnehmen als Kabinen. So kann die Herrentoilette von mehr Menschen benutzt werden. Für Frauen sind Toilettenbesuche zudem zeitaufwendiger: Sie müssen sich weiter entkleiden als Männer, eventuell auch noch Hygieneprodukte benutzen. Hinzu kommt, dass sie häufiger zur Toilette müssen. Frauentoiletten müssten also größer sein als Herrentoiletten. Sind sie aber nicht. Julia Pierzina zieht das Toiletten-Beispiel eigentlich ungern heran. „Da wird dann oft entgegnet, ob wir keine wichtigeren Probleme haben“, sagt sie, „aber man kann das Problem auch noch fortdenken.“So nähmen Wickeltische in Damentoiletten zusätzlichen Platz weg. „Allein über die Platzierung dort wird ja automatisch Frauen die Übernahme dieser Rolle zugeschrieben“, sagt Pierzina.
Wer mit Kind im Straßenverkehr unterwegs ist, und das seien eben noch immer meistens Frauen, wird dort ebenfalls benachteiligt: „Wer eine Aktentasche unterm Arm hat, wird mit der Schaltung von Fußgängerampeln gut mithalten können“, sagt Pierzina, „schwierig wird es, wenn man einen Kinderwagen schiebt, ein Kind auf dem Laufrad dabei hat oder auch mit Krücken geht.“
Auch die Wegestrecken, die Menschen täglich zurücklegen, seien „vergeschlechtlicht“, erklärt Pierzina. Laut der Umfrage „Mobilität in Deutschland“legen Männer pro Tag 46 Kilometer zurück. Das sind 13
Kilometer mehr als Frauen. Männer bewegten sich dabei häufig nur vom Wohnort zum Arbeitsplatz, erklärt Pierzina. Frauen hingegen hätten, wegen ihrer sozialen Rolle, mehrere Wege: Von Zuhause zur Kita, von der Kita zum Einkauf, vom Einkauf nach Hause und wieder zurück zur Kita. Und so weiter. Studien belegten zudem, dass Männer viel Auto fahren. Frauen seien hingegen öfter zu Fuß, mit dem Rad oder dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs. „Der öffentliche Nahverkehr müsste also so konzipiert sein, dass sich die Wegestrecken einfach verbinden lassen“, sagt Pierzina. Fahrradstraßen sollten so ausgebaut werden, dass man dort auch mit Kind sicher unterwegs sein kann. Gehwege so verbreitert, dass sie auch mit Kinderwagen gut zu nutzen sind. Busse so gestaltet, dass mehrere Kinderwägen reinpassten. Alles Punkte, die es auch in Saarbrücken noch umzusetzen gilt. „Stattdessen wird noch immer der Individualverkehr als das wichtigste betrachtet, vieles danach ausgerichtet“, sagt Pierzina. Sie wisse, dass es bei der Saarbrücker Stadtverwaltung einige Bemühungen gebe, die Stadt gerechter zu gestalten. „Es scheitert dann aber eben oft an Kosten, andere Dinge werden priorisiert.“
„Die Gestaltung des öffentlichen Raumes ist auf die Bedürfnisse einer bestimmten Personengruppe zugeschnitten.“Julia Pierzina