Saarbruecker Zeitung

Öffentlich­er Raum: Der Mann ist das Maß aller Dinge

Heute ist der internatio­nale Frauentag. Dass Frauen oft benachteil­igt sind, zeige sich auch im Alltag, meint Designerin Julia Pierzina.

- VON ISABELL SCHIRRA

Frauen haben bei Autounfäll­en ein deutlich höheres Risiko, verletzt oder sogar getötet zu werden als Männer. Das hat eine Studie der amerikanis­chen Verkehrssi­cherheitsb­ehörde ergeben. Und zwar nicht, weil sie schlechter Auto fahren. Die Sicherheit in Fahrzeugen ist schlicht auf den Durchschni­ttsmann ausgelegt. Getestet wird nämlich meist nur mit einem männlichen Dummy. Dass die Welt für Männer gemacht zu sein scheint, ist also mehr als nur ein Eindruck, mehr als ein subjektive­s Gefühl.

„Es ist davon auszugehen, dass die Gestaltung des öffentlich­en Raumes, aber auch von Produkten und Dienstleis­tungen, auf die Bedürfniss­e einer bestimmten Personengr­uppe zugeschnit­ten ist“, sagt Julia Pierzina. Den Männern nämlich. „Aufgrund der Geschlecht­errollen waren es lange Zeit vor allem Männer, die als Erfinder oder Designer tätig waren“, erklärt sie, „und dabei geht man eben im Regelfall von sich selbst, vom eigenen Erfahrungs­raum aus.“

Julia Pierzina ist stellvertr­etende Vorsitzend­e des „Internatio­nal Gender Design Network“in

Deutschlan­d, einer internatio­nalen Initiative, die sich dafür einsetzt, Geschlecht­erfragen in Designproz­esse einzubinde­n. An der Hochschule der Bildenden Künste Saar promoviert Pierzina derzeit zum Thema Gender (dt.: soziales Geschlecht) und Design. Schon im Studium dort habe sie Design als etwas erkannt, das Stereotype abbauen und

Gerechtigk­eit fördern kann. Bisher lebten wir allerdings in einer Welt, die von Männern für Männer geschaffen wurde. Tischhöhen, die Wohlfühlte­mperatur im Büro, die Sicherheit eines Autos bei einem Unfall – all das orientiere sich an Werten des Durchschni­ttsmannes. Daten von Frauen würden oft nicht oder nur fehlerhaft erhoben. Man nennt das den „Gender Data Gap“(dt.: Geschlecht­er-Datenlücke).

Auch in der Konzeption des öffentlich­en Raumes seien Männer das Maß aller Dinge. Da ist zum Beispiel die Sache mit den Toiletten: In der Planung dieser räumten Architekte­n Männern und Frauen in der Regel die gleiche Quadratmet­erzahl ein. Das höre sich erst einmal fair an, sei es aber nicht. In Herrentoil­etten gibt es zusätzlich Urinale, die weniger Platz einnehmen als Kabinen. So kann die Herrentoil­ette von mehr Menschen benutzt werden. Für Frauen sind Toilettenb­esuche zudem zeitaufwen­diger: Sie müssen sich weiter entkleiden als Männer, eventuell auch noch Hygienepro­dukte benutzen. Hinzu kommt, dass sie häufiger zur Toilette müssen. Frauentoil­etten müssten also größer sein als Herrentoil­etten. Sind sie aber nicht. Julia Pierzina zieht das Toiletten-Beispiel eigentlich ungern heran. „Da wird dann oft entgegnet, ob wir keine wichtigere­n Probleme haben“, sagt sie, „aber man kann das Problem auch noch fortdenken.“So nähmen Wickeltisc­he in Damentoile­tten zusätzlich­en Platz weg. „Allein über die Platzierun­g dort wird ja automatisc­h Frauen die Übernahme dieser Rolle zugeschrie­ben“, sagt Pierzina.

Wer mit Kind im Straßenver­kehr unterwegs ist, und das seien eben noch immer meistens Frauen, wird dort ebenfalls benachteil­igt: „Wer eine Aktentasch­e unterm Arm hat, wird mit der Schaltung von Fußgängera­mpeln gut mithalten können“, sagt Pierzina, „schwierig wird es, wenn man einen Kinderwage­n schiebt, ein Kind auf dem Laufrad dabei hat oder auch mit Krücken geht.“

Auch die Wegestreck­en, die Menschen täglich zurücklege­n, seien „vergeschle­chtlicht“, erklärt Pierzina. Laut der Umfrage „Mobilität in Deutschlan­d“legen Männer pro Tag 46 Kilometer zurück. Das sind 13

Kilometer mehr als Frauen. Männer bewegten sich dabei häufig nur vom Wohnort zum Arbeitspla­tz, erklärt Pierzina. Frauen hingegen hätten, wegen ihrer sozialen Rolle, mehrere Wege: Von Zuhause zur Kita, von der Kita zum Einkauf, vom Einkauf nach Hause und wieder zurück zur Kita. Und so weiter. Studien belegten zudem, dass Männer viel Auto fahren. Frauen seien hingegen öfter zu Fuß, mit dem Rad oder dem öffentlich­en Nahverkehr unterwegs. „Der öffentlich­e Nahverkehr müsste also so konzipiert sein, dass sich die Wegestreck­en einfach verbinden lassen“, sagt Pierzina. Fahrradstr­aßen sollten so ausgebaut werden, dass man dort auch mit Kind sicher unterwegs sein kann. Gehwege so verbreiter­t, dass sie auch mit Kinderwage­n gut zu nutzen sind. Busse so gestaltet, dass mehrere Kinderwäge­n reinpasste­n. Alles Punkte, die es auch in Saarbrücke­n noch umzusetzen gilt. „Stattdesse­n wird noch immer der Individual­verkehr als das wichtigste betrachtet, vieles danach ausgericht­et“, sagt Pierzina. Sie wisse, dass es bei der Saarbrücke­r Stadtverwa­ltung einige Bemühungen gebe, die Stadt gerechter zu gestalten. „Es scheitert dann aber eben oft an Kosten, andere Dinge werden priorisier­t.“

„Die Gestaltung des öffentlich­en Raumes ist auf die Bedürfniss­e einer bestimmten Personengr­uppe zugeschnit­ten.“Julia Pierzina

 ?? FOTO: JULIA PIERZINA ?? Julia Pierzina promoviert derzeit an der Hochschule der Bildenden Künste Saar zum Thema Gender und Design.
FOTO: JULIA PIERZINA Julia Pierzina promoviert derzeit an der Hochschule der Bildenden Künste Saar zum Thema Gender und Design.

Newspapers in German

Newspapers from Germany