Angeklagter Ex-Neonazi-Chef aus U-Haft entlassen
Die Bundesanwaltschaft wirft dem ehemaligen Kopf der Saarlouiser Neonazi-Szene Beihilfe zum Mord an Samuel Yeboah und zum versuchten Mord in 20 Fällen vor. Am vergangenen Dienstag hatte der Zeuge Heiko Sch. ausgesagt und seine Erinnerungen an den Vorabend der Tat geschildert. Der dringende Tatverdacht gegen den Angeklagten Peter St. stützt sich vor allem darauf, dass er als Anführer der Skinhead-Szene kurz vor der Tat unter Bezugnahme auf die pogromartige Situation – Neonazi-Banden griffen zunächst in Ostdeutschland, später im gesamten Bundesgebiet Asylbewerberheime an – geäußert haben soll, dass „hier auch mal so etwas brennen oder passieren müsse“.
Der Zeuge indes hatte am vergangenen Dienstag – glaubhaft, wie das Gericht findet – versichert, den Satz in dieser Diktion bei keiner seiner insgesamt vier polizeilichen Vernehmungen geäußert zu haben, da er sich an den genauen Wortlaut nicht erinnern könne. Die Verteidiger des Angeklagten hatten daher am Dienstag unmittelbar im Anschluss beantragt, dass ihr Mandant unverzüglich freigelassen werden müsse – Peter St. saß seit Juni vergangenen Jahres in UHaft. Der dringende Tatverdacht ließ sich nach Auffassung des Gerichts nun nicht mehr aufrechterhalten, weshalb der Angeklagte sofort zu entlassen sei.
Peter St., der den Senatsbeschluss mit regungsloser Miene zur Kenntnis nahm, wollte sich zunächst nicht zu seiner Haftentlassung äußern. Nebenklagevertreter Björn Elberling moniert, dass der Beschluss sich zu sehr an Heiko Sch.s Aussage in der Hauptverhandlung orientiert, dabei aber übersehe, dass sich diese im Laufe der Zeit verändert habe – insbesondere, sei Heiko Sch. ein Stück zurückgerudert, seit er selbst zum Beschuldigten wurde. „Andere Beweismittel lässt das Gericht außer Acht“, sagt Elberling. Insofern halte er die Entlassung aus der Haft für verfrüht, „in diesem Prozess ist noch Einiges zu tun.“
Gegen den heute 54-jährigen Angeklagten besteht nun zwar kein dringender, aber immer noch ein „hinreichender“Tatverdacht – der Prozess wird daher mit der Vernehmung der für diesen Tag vorgesehenen Zeugen fortgesetzt: dem stellvertretenden Leiter der zuständigen Ermittlungsgruppe bei der saarländischen Polizei sowie der damaligen Lebensgefährtin eines der Neonazis aus dem „engeren Kern“der Saarlouiser Skinhead-Clique. Die 49-jährige Luxemburgerin trägt wenig zur Aufklärung bei, beteuert nur wortreich, dass sie – damals 17 Jahre alt – sich an kaum etwas erinnern könne. „Ich wusste nur, dass sie rechtsradikal waren“, sagt sie. Woher sie das wusste? Wegen der Hakenkreuz- und Sieg-Heil-Tattoos und weil sie gegen Ausländer waren, so die Antwort.
Eine Ideologie, die der Angeklagte nach eigenen Angaben spätestens 2006 aufgegeben haben will. Ob das stimmt, erscheint angesichts der Erkenntnisse, die der Polizei auch aus jüngerer Zeit vorliegen, fraglich: Bei der Auswertung mehrerer Mobiltelefone und Datenträger durch die Polizei, so der Kriminalhauptkommissar im Zeugenstand, seien zahlreiche Bild-, Audio- und Videodateien gefunden worden – darunter solche mit eindeutig rassistischem und antisemitischem Inhalt sowie NS-Propaganda. Slogans wie „Hitler Pro-Gamer – six million kills“nannte der Beamte als Beispiel – alles Daten, die erst nach 2020 auf die Datenträger des Angeklagten gelangt sein könnten. Demnach kommunizierte Peter St. auch mit Mitgliedern des elitären und international agierenden Neonazi-Netzwerks „Hammerskins“– die Vereinigung wurde am 19. September 2023 vom Bundesinnenministerium verboten, sämtliche Vermögens- und Immobilienwerte inklusive eines Clubhauses in der Dillinger Siemensstraße beschlagnahmt.
„Unser Mandant unterhält keine Kontakte zu der Gruppierung Hammerskins“, teilen Wolfgang Stahl und Welf Kienle im Anschluss auf Anfrage mit. Und weiter: Peter St. vertrete auch kein nationalsozialistisches Gedankengut – von wann und vor allem von wem die im Rahmen der Auswertung sichergestellten Beweismittel stammen, könne im Einzelnen nicht nachvollzogen werden. „Soweit unser Mandant im privaten Bereich Äußerungen in jüngerer Vergangenheit getätigt haben sollte, die bei kritischer Betrachtung als rassistisch und ggf. geschmacklos bewertet werden können, handelt es sich um private Äußerungen.“Diese seien für den Tatvorwurf des Generalbundesanwalts jedoch irrelevant. Stahl und Kienle erneuerten an diesem Prozesstag wieder ihre Kritik an der Arbeit der saarländischen Ermittler. Ab dem 15. Oktober 2020, spätestens ab dem 28. Januar 2021 hätten sie ihn als Beschuldigten behandeln und über seine Rechte aufklären müssen. Das hätten sie jedoch „willkürlich“unterlassen. Die Aussagen, die der Beamte an diesem und vergangenem Montag über die von ihrem Mandanten getroffenen Angaben in den fraglichen Vernehmungen gemacht hat, dürften demnach nicht verwendet werden. Eine Entscheidung des Gerichts darüber steht noch aus.