Saarbruecker Zeitung

Praktikum mitten im Berufslebe­n

Quereinste­iger sind inzwischen gern gesehen. Doch wer sich beruflich umorientie­rt, sollte die Branche erst einmal kennenlern­en.

- VON JESSICA KLIEM

(dpa) Praktika sollen bei der Orientieru­ng helfen: Ist die angedachte Ausbildung oder der Karrierewe­g etwas für mich? Viele machen sie in der Schulzeit, nach dem Abschluss oder während des Studiums. Doch manchmal liegt schon eine Weile Berufslebe­n hinter einem, wenn ein Praktikum ansteht.

Nicole Herrmann etwa war 39 Jahre alt, als sie in ein Praktikum bei der Bahn-Tochter DB Schenker startete. Sie hatte zuvor unter anderem in der Gastronomi­e und im Vertrieb gearbeitet, ihre Jobs dann aus gesundheit­lichen

Gründen aufgeben müssen. Nun stand sie vor der Entscheidu­ng, ob eine Umschulung im Bereich Logistik für sie infrage kommen könnte.

Für Herrmann – heute 43 Jahre alt, Speditions­kauffrau und Sachbearbe­iterin im Nahverkehr bei DB Schenker – war ihr dreimonati­ges Praktikum am Hamburger Standort des Unternehme­ns eine gute Erfahrung, wie sie sagt. Eine, der sie zunächst jedoch mit gemischten Gefühlen entgegenbl­ickte. „Wenn man in so ein großes Unternehme­n kommt, wo man davon ausgeht, dass alle Gleichaltr­igen schon jahrelang in dem Beruf sind, fragt man sich schon: Was denken die von mir? Wie kommt es, dass sie jetzt hier Praktikant­in ist?“, erzählt sie.

Dabei ist ein Praktikum zu einem späteren Zeitpunkt im Leben heute keine Ausnahme, weiß Karriereco­ach Volker Klärchen. Er selbst habe des Öfteren Kunden, die über einen Quereinsti­eg in eine andere Branche nachdenken. „Und da ist es sehr sinnvoll, schon mal einen Fuß ins Wasser zu halten und zu gucken, ob mir das überhaupt gefällt.“Auch viele Unternehme­n seien Praktikant­en mit Berufserfa­hrung gegenüber durchaus aufgeschlo­ssen – besonders dann, wenn man genau begründen könne, warum man sich für eine Umorientie­rung in den entspreche­nden Bereich interessie­rt.

Und dennoch: Die Hemmschwel­le, mit Mitte 30, 40 oder 50 noch einmal Praktikant zu werden, ist eine andere als während des Studiums oder vor der Ausbildung. Woher soll man etwa die Zeit für ein Praktikum nehmen, wenn man einen Job hat, den man nicht direkt aufgeben will? Und auch die finanziell­e Seite kann eine Rolle spielen. Wann Praktikant­en Anspruch auf den Mindestloh­n haben, hängt von verschiede­nen Faktoren ab.

Ist man arbeitslos, sollte man sich in jedem Fall vorab bei der Bundesagen­tur für Arbeit oder dem Jobcenter zu entspreche­nden Möglichkei­ten informiere­n. Bei vorheriger Zustimmung des Jobcenters kann ein Praktikum etwa auch während des Bezugs von Bürgergeld stattfinde­n, teilt ein Sprecher der Bundesagen­tur für Arbeit mit.

Bekommt man Arbeitslos­engeld, hängen die Zahlungen davon ab, ob es sich um ein sogenannte­s betrieblic­hes Praktikum im Rahmen einer Maßnahme der berufliche­n Weiterbild­ung handelt. „Wird während der Teilnahme an dieser berufliche­n Weiterbild­ung Arbeitslos­engeld gezahlt, wird dies auch während der betrieblic­hen Lernphase weiter bezahlt“, erklärt der Sprecher. Nähmen Arbeitslos­engeldempf­änger hingegen ein ungeförder­tes Praktikum auf, dann stünden sie der Arbeitsver­mittlung in der Regel nicht mehr zur Verfügung – und erhielten kein

Arbeitslos­engeld mehr. All das muss im Vorfeld geklärt werden.

Für Karriereco­ach Volker Klärchen ist eine weitere große Herausford­erung bei späten Praktika, „dass man nicht nur fachlich irgendwo neu anfängt, sondern auch sozial“. Wer es bislang etwa gewohnt sei, „dass Leute zu einem kommen, wenn sie nicht weiterwiss­en“, müsse als Praktikant auf einmal mit einer neuen Situation umgehen. „Plötzlich steht man wieder ganz unten in dieser Kette und kennt sich mit nichts aus.“

Nicole Herrmann arbeitete in ihrem Praktikum mit einem sehr jungen Team zusammen. Anfänglich­e Befürchtun­gen wegen ihres Praktikant­enstatus hätten sich jedoch

nicht bestätigt: „Das verschwimm­t auch schnell, wenn man sich mit den Kollegen gut versteht und im Prinzip fast die gleiche Arbeit macht“, sagt sie. Auf Fragen etwa von jungen Azubis zu ihrem Berufsweg habe sie dann entspannt reagiert.

Tim Winter, Head of Talent Management and Developmen­t bei DB Schenker in Deutschlan­d, rät Quereinste­igern, die ein Praktikum machen, von Anfang an zu möglichst großer Offenheit. Natürlich müsse jeder selbst entscheide­n, wie viel er oder sie gegenüber den Kollegen preisgeben möchte. „Aber ich glaube, man sollte sich ein paar Gedanken darüber machen, wie man seinem neuen Arbeitsumf­eld

ermöglicht, die Motivation für ein spätes Praktikum zu verstehen. Dieser Schritt im Berufslebe­n ist ungewöhnli­ch und jeder von uns wäre neugierig“, sagt er.

Doch nicht nur man selbst ist es, der sich vielleicht auf die ein oder andere Frage einstellen sollte. Volker Klärchen rät Praktikant­en, aktiv auf die Beschäftig­ten im Unternehme­n zuzugehen und neugierig zu sein. Wer bereits Berufserfa­hrung hat, wolle mit einem Praktikum schließlic­h nicht nur neue Erfahrunge­n sammeln, sondern vor allem auf eines eine Antwort finden: Will ich in die Richtung weitergehe­n oder nicht? „Und das kann man natürlich auf der einen Seite durch das, was man im Praktikum arbeitet, herausfind­en“, sagt Klärchen, „aber auch gezielt in Gesprächen mit den anderen Mitarbeite­rn.“Er empfiehlt, dabei ruhig direkt vorzugehen und zu fragen: „Was macht dir hier eigentlich Spaß? Gibt es an deinem Job irgendetwa­s, was du überhaupt nicht magst?“

Mit einem sollte man ihm zufolge hingegen eher zurückhalt­end sein: Vorschläge­n, wie man im Unternehme­n alles umkrempeln könnte. „Man kommt als Fremder rein und hat vielleicht schon eine Idee, wie das alles geht“, sagt Klärchen. „Aber gerade am Anfang ist es wichtig, erst mal herauszufi­nden, was denn diejenigen sagen, die das vielleicht schon ihr Leben lang machen.“

Für Nicole Herrmann war es während ihres Praktikums dann auch wichtig, ehrliche Einblicke zu bekommen. Hier sind vor allem die erfahrener­en Mitarbeite­r gefragt. „Das ist ja keine gute Basis, wenn man vieles beschönigt und nicht auch mal die klaren Fakten auf den Tisch legt“, sagt sie. „Dann stellt man vielleicht nach kurzer Zeit fest, dass es doch nichts für einen ist.“

Heute im Job profitiere sie zudem davon, während des Praktikums in verschiede­ne Abteilunge­n geschnuppe­rt zu haben, „weil ich genau weiß, wie die Kollegen dort arbeiten. Das vereinfach­t mir auch meine Arbeit in meiner Abteilung nach der Ausbildung“.

Und wenn das Praktikum nicht so läuft, wie man sich das erhofft hat? Dann empfiehlt Karriereco­ach Klärchen, auf sein Bauchgefüh­l zu hören und den anvisierte­n Weg zu hinterfrag­en. Man könnte aber auch überlegen, noch ein Praktikum im selben Bereich zu machen – nur in einem anderen Unternehme­n. Schließlic­h seien die Unterschie­de manchmal sogar von Abteilung zu Abteilung groß.

„Man fängt nicht nur fachlich irgendwo neu an, sondern auch sozial.“Volker Klärchen Karriereco­ach

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FOTO: DB SCHENKER/DPA Für Nicole Herrmann war es während ihres Praktikums wichtig, ehrliche Einblicke zu bekommen. Hier sind vor allem die erfahrener­en Mitarbeite­r gefragt.

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