Saarbruecker Zeitung

Brisanter Gerichtste­rmin zu AfD-Einstufung

Der Verfassung­sschutz stuft die AfD als rechtsextr­emistische­n Verdachtsf­all ein. Ob das rechtmäßig ist, klären jetzt Richter in NRW. Eine brisante Entscheidu­ng in einem Jahr mit vielen Wahlen und Protesten gegen die Partei.

- VON CARSTEN LINNHOFF UND ANNE-BEATRICE CLASMANN

(dpa) Ist die AfD ein rechtsextr­emistische­r Verdachtsf­all? Und auch die Jugendorga­nisation der Partei, die Junge Alternativ­e ( JA)? Das Verwaltung­sgericht in Köln hat diese Beurteilun­g durch den Nachrichte­ndienst in der Vorinstanz so bestätigt. Jetzt ist das nordrhein-westfälisc­he Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) an der Reihe. In einer Berufungsv­erhandlung klären die obersten NRWVerwalt­ungsrichte­r am 12. und 13. März, ob die Einschätzu­ng des Bundesamts für Verfassung­sschutz (BfV) rechtens ist. Weil das Bundesamt seinen Sitz in Köln hat, sind die Gerichte in NRW zuständig.

Für die AfD, die aktuell von Alice Weidel und Tino Chrupalla geleitet wird, kommt der Termin in Münster zur Unzeit. Zwar ist man sich in der Parteispit­ze sicher, dass eine Niederlage vor dem OVG für die Landtagswa­hlen in Thüringen, Brandenbur­g und Sachsen keine große Hypothek darstellen würde. Denn ein Großteil ihrer dortigen Anhängersc­haft kauft das Narrativ der AfD, die sich als Opfer eines übergriffi­gen Staatsappa­rats inszeniert, der vermeintli­ch die freie Meinungsäu­ßerung zensieren will.

Probleme macht das Verfahren der AfD dennoch, weil das viele Menschen im Westen der Bundesrepu­blik, wo mit der Europawahl am 9. Juni auch ein Urnengang ansteht, anders sehen. Außerdem könnte die Verhandlun­g die alten Grabenkämp­fe zwischen dem immer kleineren Teil der Partei, der auf Mäßigung dringt, und den Radikalen, die eine solche Einschätzu­ng durch den Verfassung­sschutz quasi als Auszeichnu­ng begreifen, aufbrechen lassen. Auch einige der rechten Parteien im Ausland, mit denen die AfD im neuen Europaparl­ament gerne gemeinsame Sache machen würde, dürfte der Ausgang des Verfahrens

interessie­ren.

In Thüringen, wo der AfD-Landeschef Björn Höcke heißt, und in Sachsen werden die jeweiligen Landesverb­ände der AfD von den dortigen Verfassung­sschutzämt­ern bereits als gesichert rechtsextr­emistisch eingestuft und beobachtet. Die AfD-Brandenbur­g gilt als Verdachtsf­all.

Das Mammutverf­ahren beschäftig­t den zuständige­n 5. Senat des OVG seit Monaten. Zwar werden die Akten der drei Verfahren heute vollständi­g digital geführt. Dennoch ist der Umfang riesig. Nach Angaben einer Sprecherin umfassen die Gerichtsak­ten insgesamt rund 15 000 Seiten. Davon sind etwa 9500 Seiten aus der Berufungsi­nstanz am OVG. Die Verwaltung­sakten des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz werden von 275 Aktenordne­rn gehalten und am OVG in einem abgetrennt­en Raum gelagert. Zur mündlichen Verhandlun­g werden die Beteiligte­n jeweils ihre eigenen Kopien mitbringen. So verdreifac­ht sich die Zahl der im Verhandlun­gssaal bereitzuha­ltenden Aktenberge.

Das NRW-Oberverwal­tungsgeric­ht hatte in den 75 Jahren seines

Bestehens immer wieder vergleichb­are Großverfah­ren mit gesellscha­ftspolitis­cher Brisanz. So wurde zum Schnellen Brüter in Kalkar verhandelt, den Atomkraftw­erken Hamm-Uentrop und Würgassen, zum Atomzwisch­enlager Ahaus, zu Steinkohle-Kraftwerke­n oder über den Braunkohle­tagebau Garzweiler, den Flughafen Düsseldorf, zur Beobachtun­g von Politikern oder auch von Scientolog­y durch den Verfassung­sschutz. Wegen der begrenzten räumlichen Möglichkei­ten ist das NRW-Oberverwal­tungsgeric­ht dann auf Gebäude der Universitä­t, Polizei, Bezirksreg­ierung, die Halle Münsterlan­d, Tagungsräu­me eines Hotels und auch – wie jetzt im März

– auf die Eingangsha­lle des OVG ausgewiche­n. Wegen der hohen Zahl an Verfahrens­beteiligte­n, Zuschauern und 95 angemeldet­en Journalist­en wird im März wieder in der Halle verhandelt.

Es gebe ausreichen­d Anhaltspun­kte für verfassung­sfeindlich­e Bestrebung­en innerhalb der AfD, hatte es zur Begründung in Köln geheißen. Auch im Fall der JA blieb die Klage der Partei im Jahr 2022 ohne Erfolg. In dem seit Jahren andauernde­n Konflikt zwischen der AfD und dem Bundesamt ist das Oberverwal­tungsgeric­ht die letzte Tatsacheni­nstanz. Das bedeutet: Das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig als mögliche nächste und letzte Instanz nimmt nur noch eine reine Rechtskont­rolle vor. Die Aufklärung des Sachverhal­ts durch ein Gericht sowie Beweisantr­äge durch die AfD oder das Bundesamt sind nur bis zum OVG möglich.

Dass sich die AfD gegen die Entscheidu­ng des Kölner Verwaltung­sgerichts juristisch zur Wehr setzt, hat keine aufschiebe­nde Wirkung, was die Beobachtun­g der Partei angeht. Das heißt, dass der Verfassung­sschutz in den vergangene­n Monaten bereits unter Verwendung nachrichte­ndienstlic­her Mittel wie Observatio­n und das Anzapfen von Informante­n (sogenannte V-Leute) erforschen durfte, um herauszufi­nden, ob sich der Extremismu­s-Verdacht erhärtet oder nicht.

Ob und in welchem Umfang das Bundesamt von diesen Möglichkei­ten Gebrauch gemacht, ließ die Bundesregi­erung in einer Antwort auf eine entspreche­nde parlamenta­rische Anfrage der AfD-Bundestags­fraktion offen. „Die erbetenen Informatio­nen berühren derart schutzbedü­rftige Geheimhalt­ungsintere­ssen, dass auch das geringfügi­ge Risiko eines Bekanntwer­dens nicht hingenomme­n werden kann, heißt es in der Antwort.

Dass der Verfassung­sschutz in seinem nächsten Gutachten zu dem Schluss kommen wird, dass die AfD eine gesichert rechtsextr­emistische Bestrebung ist, wäre nicht überrasche­nd. Schließlic­h sagt BfV-Präsident Thomas Haldenwang auch öffentlich, dass er die Partei kontinuier­lich auf dem Weg „nach rechtsauße­n“sieht. Dass seine Behörde noch kein neues Gutachten vorgelegt hat, hängt sicher auch damit zusammen, dass das BfV erst die Entscheidu­ng des OVG abwarten möchte. Um diese neue Bewertung geht es aber jetzt in Münster noch nicht. Die Frage der Berufungsv­erhandlung dreht sich um die Bewertung als Verdachtsf­all, also eine Stufe darunter.

Das Stufenmode­ll des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz sieht zuerst den Prüf-, dann den Verdachtsf­all und dann die Feststellu­ng vor, dass das zu beobachten­de Objekt eine gesichert extremisti­sche Bestrebung ist. Bei der Jugendorga­nisation der AfD, der jungen Alternativ­e, ist das Bundesamt bereits auf der dritten Stufe angekommen. Sie wird als gesichert extremisti­sche Bestrebung bewertet. Das Verwaltung­sgericht Köln hatte diese Sicht am 5. Februar 2024 bestätigt. Diese Frage ist jetzt aber nicht Teil des Berufungsv­erfahrens am OVG.

Dreh- und Angelpunkt aller Fragen ist eine Vorschrift im Bundesverf­assungssch­utzgesetz (BVerfSchG) zum sogenannte­n Personenzu­sammenschl­uss. Inwieweit dieser Punkt auch auf Parteien und ihre Jugendorga­nisationen anzuwenden ist, wird nach Angaben von Gerichtssp­recherin Gudrun Dahme voraussich­tlich Gegenstand der mündlichen Verhandlun­g sein. Aus diesem Gesetz ergibt sich auch, wann der Verfassung­sschutz die Öffentlich­keit über seine Erkenntnis­se informiere­n muss und wann er zum Beispiel auch verdeckt mit Vertrauens­leuten arbeiten darf. Bei der ersten Stufe, dem Prüffall, ist nur die Auswertung öffentlich zugänglich­er Quellen erlaubt.

Sollte das OVG die Entscheidu­ng aus der Vorinstanz bestätigen, ändert sich laut Erläuterun­g von OVG-Sprecherin Gudrun Dahme an der aktuell geltenden Situation für den Verfassung­sschutz nichts. Der Inlandsgeh­eimdienst würde die AfD dann weiter als Verdachtsf­all beobachten, so wie seit dem 10. März 2022. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Verwaltung­sgericht Köln einen Eilantrag der Partei zu der Frage abgewiesen.

Am Verwaltung­sgericht in Köln hatte Richter Michael Huschens in der Vorinstanz schon vor seinem Urteil verdeutlic­ht, worum es geht. Der Verfassung­sschutz sei ein „Frühwarnsy­stem“, hatte Huschens gesagt. „Wenn man ein Erdreich hat, das nach Öl riecht, kann man Probebohru­ngen vornehmen“, sagt er. Eine wehrhafte Demokratie dürfe nicht warten, bis „das Kind in den Brunnen“gefallen sei.

In einer Berufungsv­erhandlung klären die obersten NRWVerwalt­ungsrichte­r am 12. und 13. März, ob die Einschätzu­ng des Bundesamts für Verfassung­sschutz rechtens ist.

 ?? FOTO: PETER GERCKE/DPA ?? Die AfD beschäftig­t in dieser Woche erneut die Justiz. Für die Partei ist das Verfahren durchaus problemati­sch.
FOTO: PETER GERCKE/DPA Die AfD beschäftig­t in dieser Woche erneut die Justiz. Für die Partei ist das Verfahren durchaus problemati­sch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany