Schutzersuchen als Vorwand zum Völkerrechtsbruch?
Manche fühlten sich an das Ukraine-Szenario erinnert: Als Transnistrien Russland um Schutz bat, hielten viele in Europa den Atem an. Was dahinter steckt.
In Moldau ist man überzeugt: Russland wird versuchen, die Kontrolle über die kleine Republik zu übernehmen. Am Freitag unterzeichnete Moldaus Präsidentin Maia Sandu in Paris mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein Verteidigungs- und Kooperationsabkommen. Sie forderte eine geschlossene Haltung Europas gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und betonte: „Aggression muss mit einer starken Kraft abgewehrt werden.“
Seit 2022 ist die frühere Sowjetrepublik Beitrittskandidat der Europäischen Union. Im Laufe des Jahres ist eine Volksabstimmung über den Beitritt geplant. Doch jüngst haben Separatisten in der abtrünnigen
Provinz Transnistrien Russland um Schutz gebeten. Das weckt Erinnerungen an Moskaus völkerrechtswidriges Vorgehen in der Ukraine.
Wo liegt Transnistrien?
Die abtrünnige Region liegt im Osten der Republik Moldau. Es handelt sich um einen schmalen Streifen Land von kaum mehr als 20 Kilometern Breite zwischen dem Fluss Dnister und der ukrainischen Grenze. Die Menschen dort sprechen überwiegend Russisch, während im Rest der Moldau das Rumänische dominiert.
Wem gehört Transnistrien?
Nach dem Zerfall der Sowjetunion spaltete sich die Region von Moldau ab. Seit etwa drei Jahrzehnten kontrollieren pro-russische Separatisten das Gebiet. Transnistrien verwendet eine eigene Währung, den transnistrischen Rubel, hat eigene Sicherheitskräfte und eigene Pässe. Dennoch: „Transnistrien ist Teil der Republik Moldau. Punkt. Das ist völkerrechtlich völlig klar“, sagte der Heidelberger Völkerrechtler Matthias Hartwig unserer Redaktion. Der Berliner Völkerrechtler Helmut Aust betonte ferner: „Es gibt keine Befugnis der selbst ernannten Machthaber in Transnistrien, um Schutz durch Russland nachzusuchen. Eine solche Einladungsbefugnis steht nur der Regierung der Republik Moldau zu.“
Welche Rolle spielt Russland?
Russland ist schon sehr lange vor Ort präsent. Seit die Separatisten 1992 mit Unterstützung der russischen Armee einen Krieg mit der pro-westlichen Regierung Moldaus führten, sind 1500 russische Soldaten dort stationiert. Einige dieser Streitkräfte sind auf Grundlage eines Abkommens mit Moldau als „Friedenstruppe“vor Ort, ein anderer Teil der russischen Truppen hätte schon längst abgezogen sein müssen. 2006 gab es ein Referendum über eine
Abspaltung von Moldau. Mehr als 97 Prozent der Wähler votierten bei der international nicht anerkannten Abstimmung für die Unabhängigkeit, ebenso wie für einen späteren Anschluss an Russland.
Was hat das mit der Ukraine zu tun?
Westliche Beobachter befürchten, dass Moskau von Transnistrien aus eine weitere Front im Ukraine-Krieg eröffnen könnte. Denn die Region liegt nur wenige Kilometer von der am Schwarzen Meer gelegenen südwestukrainischen Hafenstadt Odessa entfernt.
Warum fühlen sich einige an das Krim-Szenario erinnert?
Moskau hat die Krim 2014 annektiert und diese Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine mit einem Referendum begründet. Es gab eine schleichende Übernahme der Kontrolle: Russische Spezialkräfte besetzten wichtige Regierungsgebäude und entwaffneten ukrainische Einheiten. Da sie an den Uniformen keine Hoheitsabzeichen hatten, waren sie nicht als solche erkennbar. Sie wurden als „grüne Männchen“bekannt. Weder die Volksabstimmung noch die Annexion der Krim werden bis heute international anerkannt.
Wie ging Russland im Donbass vor?
Russlands Präsident Wladimir Putin unterzeichnete Vereinbarungen, in denen abtrünnige Gebiete im Donbass in der Ostukraine als unabhängig anerkannt wurden, und beorderte russische Truppen dorthin. Dann begann die russische Invasion. Der Professor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Hartwig, erläutert: „Russland vertritt den Standpunkt, das Recht zu haben, die russischsprachige Bevölkerung zu schützen, wenn sie in Gefahr gerät. Das aber ist völkerrechtlich durch nichts abgesichert.“