Saarbruecker Zeitung

Schutzersu­chen als Vorwand zum Völkerrech­tsbruch?

Manche fühlten sich an das Ukraine-Szenario erinnert: Als Transnistr­ien Russland um Schutz bat, hielten viele in Europa den Atem an. Was dahinter steckt.

- VON MEY DUDIN Produktion dieser Seite: Markus Renz Michael Emmerich

In Moldau ist man überzeugt: Russland wird versuchen, die Kontrolle über die kleine Republik zu übernehmen. Am Freitag unterzeich­nete Moldaus Präsidenti­n Maia Sandu in Paris mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron ein Verteidigu­ngs- und Kooperatio­nsabkommen. Sie forderte eine geschlosse­ne Haltung Europas gegenüber dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin und betonte: „Aggression muss mit einer starken Kraft abgewehrt werden.“

Seit 2022 ist die frühere Sowjetrepu­blik Beitrittsk­andidat der Europäisch­en Union. Im Laufe des Jahres ist eine Volksabsti­mmung über den Beitritt geplant. Doch jüngst haben Separatist­en in der abtrünnige­n

Provinz Transnistr­ien Russland um Schutz gebeten. Das weckt Erinnerung­en an Moskaus völkerrech­tswidriges Vorgehen in der Ukraine.

Wo liegt Transnistr­ien?

Die abtrünnige Region liegt im Osten der Republik Moldau. Es handelt sich um einen schmalen Streifen Land von kaum mehr als 20 Kilometern Breite zwischen dem Fluss Dnister und der ukrainisch­en Grenze. Die Menschen dort sprechen überwiegen­d Russisch, während im Rest der Moldau das Rumänische dominiert.

Wem gehört Transnistr­ien?

Nach dem Zerfall der Sowjetunio­n spaltete sich die Region von Moldau ab. Seit etwa drei Jahrzehnte­n kontrollie­ren pro-russische Separatist­en das Gebiet. Transnistr­ien verwendet eine eigene Währung, den transnistr­ischen Rubel, hat eigene Sicherheit­skräfte und eigene Pässe. Dennoch: „Transnistr­ien ist Teil der Republik Moldau. Punkt. Das ist völkerrech­tlich völlig klar“, sagte der Heidelberg­er Völkerrech­tler Matthias Hartwig unserer Redaktion. Der Berliner Völkerrech­tler Helmut Aust betonte ferner: „Es gibt keine Befugnis der selbst ernannten Machthaber in Transnistr­ien, um Schutz durch Russland nachzusuch­en. Eine solche Einladungs­befugnis steht nur der Regierung der Republik Moldau zu.“

Welche Rolle spielt Russland?

Russland ist schon sehr lange vor Ort präsent. Seit die Separatist­en 1992 mit Unterstütz­ung der russischen Armee einen Krieg mit der pro-westlichen Regierung Moldaus führten, sind 1500 russische Soldaten dort stationier­t. Einige dieser Streitkräf­te sind auf Grundlage eines Abkommens mit Moldau als „Friedenstr­uppe“vor Ort, ein anderer Teil der russischen Truppen hätte schon längst abgezogen sein müssen. 2006 gab es ein Referendum über eine

Abspaltung von Moldau. Mehr als 97 Prozent der Wähler votierten bei der internatio­nal nicht anerkannte­n Abstimmung für die Unabhängig­keit, ebenso wie für einen späteren Anschluss an Russland.

Was hat das mit der Ukraine zu tun?

Westliche Beobachter befürchten, dass Moskau von Transnistr­ien aus eine weitere Front im Ukraine-Krieg eröffnen könnte. Denn die Region liegt nur wenige Kilometer von der am Schwarzen Meer gelegenen südwestukr­ainischen Hafenstadt Odessa entfernt.

Warum fühlen sich einige an das Krim-Szenario erinnert?

Moskau hat die Krim 2014 annektiert und diese Verletzung der territoria­len Integrität der Ukraine mit einem Referendum begründet. Es gab eine schleichen­de Übernahme der Kontrolle: Russische Spezialkrä­fte besetzten wichtige Regierungs­gebäude und entwaffnet­en ukrainisch­e Einheiten. Da sie an den Uniformen keine Hoheitsabz­eichen hatten, waren sie nicht als solche erkennbar. Sie wurden als „grüne Männchen“bekannt. Weder die Volksabsti­mmung noch die Annexion der Krim werden bis heute internatio­nal anerkannt.

Wie ging Russland im Donbass vor?

Russlands Präsident Wladimir Putin unterzeich­nete Vereinbaru­ngen, in denen abtrünnige Gebiete im Donbass in der Ostukraine als unabhängig anerkannt wurden, und beorderte russische Truppen dorthin. Dann begann die russische Invasion. Der Professor am Max-Planck-Institut für ausländisc­hes öffentlich­es Recht und Völkerrech­t, Hartwig, erläutert: „Russland vertritt den Standpunkt, das Recht zu haben, die russischsp­rachige Bevölkerun­g zu schützen, wenn sie in Gefahr gerät. Das aber ist völkerrech­tlich durch nichts abgesicher­t.“

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FOTO: JUSSI NUKARI/DPA Eine transnistr­ische sowie eine russische Flagge wehen vor einem Gebäude in Tiraspol (Moldau): Wiederholt sich dort infolge des Schutzersu­chens ein Völkerrech­tsbruch, den eine russische Invasion bedeuten würde?

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