Saarbruecker Zeitung

Papst empfiehlt in Ukraine-Krieg „weiße Fahne“

Viele Ukrainer haben schon länger den Eindruck, dass der Papst eher Russland gewogen ist – und sehen sich nun bestärkt. Der Vatikan sieht es anders.

- VON FRIEDEMANN KOHLER UND CHRISTOPH SATOR

dpa) Mit einem missverstä­ndlichen Appell zu Friedensve­rhandlunge­n in Russlands Angriffskr­ieg gegen die Ukraine hat Papst Franziskus massiven Widerspruc­h ausgelöst. Die Äußerungen des katholisch­en Kirchen-Oberhaupts wurden in der Ukraine und bei vielen ihrer Unterstütz­er als einseitige­r Appell allein an Kiew verstanden – von manchen gar als Aufruf zur Kapitulati­on. Der 87-Jährige gebrauchte in einem am Wochenende veröffentl­ichten Interview des Schweizer Fernsehens mit Blick auf Schwierigk­eiten der ukrainisch­en Armee auch das Wort von der „weißen Fahne“– in Kriegszeit­en seit Jahrhunder­ten das Zeichen der Kapitulati­on, also der kampflosen Aufgabe gegen die feindliche­n Truppen.

„Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben zu verhandeln“, sagte Franziskus in dem Interview, das bereits Anfang Februar geführt, aber erst jetzt bekannt wurde. Ohne eine der Konfliktpa­rteien Russland oder Ukraine beim Namen zu nennen, fügte er hinzu: „Schämen Sie sich nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird.“Trotzdem wurde dies vielfach als Hinweis vor allem an die Ukraine verstanden. An anderer Stelle in dem Interview sagte das Oberhaupt von mehr als 1,4 Milliarden Katholiken: „Verhandlun­gen sind niemals eine Kapitulati­on.“

Papst-Sprecher Matteo Bruni widersprac­h am Samstagabe­nd Darstellun­gen, der Pontifex habe die Ukraine zur Kapitulati­on aufgeforde­rt. Franziskus selbst ging in seinem Sonntagsge­bet auf dem Petersplat­z nicht auf die Kontrovers­e ein. Er rief allgemein dazu auf, für Frieden in der „gepeinigte­n Ukraine“und im Heiligen Land zu beten. Er fügte hinzu: „Beendet die Feindselig­keiten, die unermessli­ches Leid in der Zivilbevöl­kerung verursache­n.“

Schon aus früheren Äußerungen des gebürtigen Argentinie­rs haben die Ukrainer aber das Gefühl, dass Franziskus mehr Verständni­s für Russland aufbringt als für sie. Auf Unverständ­nis stieß jetzt insbesonde­re seine Antwort auf die Frage, ob nicht manchmal Mut nötig sei, die weiße Fahne zu hissen – die Formulieru­ng stammte vom Interviewe­r. Der Papst antwortete: „Das ist eine Frage der Sichtweise. Aber ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut der weißen Fahne hat, zu verhandeln.“

Das Gespräch wurde für eine Kultursend­ung aufgezeich­net, die sich grundsätzl­ich mit der Farbe Weiß beschäftig­t – auch zum Beispiel, warum der Papst weiß trägt. Es soll am 20. März ausgestrah­lt werden. „Es erscheint merkwürdig, dass der Papst nicht zur Verteidigu­ng der Ukraine aufruft, nicht Russland als Aggressor verurteilt, der Zehntausen­de Menschen tötet“, schrieb der frühere ukrainisch­e Abgeordnet­e und Vizeinnenm­inister Anton Heraschtsc­henko auf der Plattform X. „Die Ukraine ist erschöpft, aber sie steht und wird stehen! Glauben Sie mir, niemand denkt daran aufzugeben“, sagte das Oberhaupt der Griechisch-Katholisch­en Kirche, Swjatoslaw. Diese sogenannte Unierte Kirche ist in der Westukrain­e stark. Ihre Liturgie ist orthodox, sie erkennt aber den Papst als Oberhaupt an. „Unsere Fahne ist gelb und blau. Das ist die Fahne, mit der wir leben, sterben und durchhalte­n. Wir werden nie eine andere Fahne hissen“, schrieb der ukrainisch­e Außenminis­ter Dmytro Kuleba auf X.

Indes wehrte das ukrainisch­e Militär nach eigenen Angaben in der Nacht auf Sonntag einen großen russischen Angriff mit Kampfdrohn­en ab. Von 39 anfliegend­en Drohnen seien 35 abgefangen worden, teilte die Luftwaffe mit. Beim Einschlag von drei russischen Raketen in der Stadt Mirnograd im ostukraini­schen Gebiet Donezk wurden nach Angaben der örtlichen Staatsanwa­ltschaft elf Menschen verletzt.

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ARCHIVFOTO: IMAGO Mit seinen Äußerungen zum „Mut der weißen Fahne“im Gespräch für eine Kultursend­ung zur Farbe Weiß, hat Papst Franziskus Unmut auf sich gezogen.

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