Papst empfiehlt in Ukraine-Krieg „weiße Fahne“
Viele Ukrainer haben schon länger den Eindruck, dass der Papst eher Russland gewogen ist – und sehen sich nun bestärkt. Der Vatikan sieht es anders.
dpa) Mit einem missverständlichen Appell zu Friedensverhandlungen in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Papst Franziskus massiven Widerspruch ausgelöst. Die Äußerungen des katholischen Kirchen-Oberhaupts wurden in der Ukraine und bei vielen ihrer Unterstützer als einseitiger Appell allein an Kiew verstanden – von manchen gar als Aufruf zur Kapitulation. Der 87-Jährige gebrauchte in einem am Wochenende veröffentlichten Interview des Schweizer Fernsehens mit Blick auf Schwierigkeiten der ukrainischen Armee auch das Wort von der „weißen Fahne“– in Kriegszeiten seit Jahrhunderten das Zeichen der Kapitulation, also der kampflosen Aufgabe gegen die feindlichen Truppen.
„Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben zu verhandeln“, sagte Franziskus in dem Interview, das bereits Anfang Februar geführt, aber erst jetzt bekannt wurde. Ohne eine der Konfliktparteien Russland oder Ukraine beim Namen zu nennen, fügte er hinzu: „Schämen Sie sich nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird.“Trotzdem wurde dies vielfach als Hinweis vor allem an die Ukraine verstanden. An anderer Stelle in dem Interview sagte das Oberhaupt von mehr als 1,4 Milliarden Katholiken: „Verhandlungen sind niemals eine Kapitulation.“
Papst-Sprecher Matteo Bruni widersprach am Samstagabend Darstellungen, der Pontifex habe die Ukraine zur Kapitulation aufgefordert. Franziskus selbst ging in seinem Sonntagsgebet auf dem Petersplatz nicht auf die Kontroverse ein. Er rief allgemein dazu auf, für Frieden in der „gepeinigten Ukraine“und im Heiligen Land zu beten. Er fügte hinzu: „Beendet die Feindseligkeiten, die unermessliches Leid in der Zivilbevölkerung verursachen.“
Schon aus früheren Äußerungen des gebürtigen Argentiniers haben die Ukrainer aber das Gefühl, dass Franziskus mehr Verständnis für Russland aufbringt als für sie. Auf Unverständnis stieß jetzt insbesondere seine Antwort auf die Frage, ob nicht manchmal Mut nötig sei, die weiße Fahne zu hissen – die Formulierung stammte vom Interviewer. Der Papst antwortete: „Das ist eine Frage der Sichtweise. Aber ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut der weißen Fahne hat, zu verhandeln.“
Das Gespräch wurde für eine Kultursendung aufgezeichnet, die sich grundsätzlich mit der Farbe Weiß beschäftigt – auch zum Beispiel, warum der Papst weiß trägt. Es soll am 20. März ausgestrahlt werden. „Es erscheint merkwürdig, dass der Papst nicht zur Verteidigung der Ukraine aufruft, nicht Russland als Aggressor verurteilt, der Zehntausende Menschen tötet“, schrieb der frühere ukrainische Abgeordnete und Vizeinnenminister Anton Heraschtschenko auf der Plattform X. „Die Ukraine ist erschöpft, aber sie steht und wird stehen! Glauben Sie mir, niemand denkt daran aufzugeben“, sagte das Oberhaupt der Griechisch-Katholischen Kirche, Swjatoslaw. Diese sogenannte Unierte Kirche ist in der Westukraine stark. Ihre Liturgie ist orthodox, sie erkennt aber den Papst als Oberhaupt an. „Unsere Fahne ist gelb und blau. Das ist die Fahne, mit der wir leben, sterben und durchhalten. Wir werden nie eine andere Fahne hissen“, schrieb der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba auf X.
Indes wehrte das ukrainische Militär nach eigenen Angaben in der Nacht auf Sonntag einen großen russischen Angriff mit Kampfdrohnen ab. Von 39 anfliegenden Drohnen seien 35 abgefangen worden, teilte die Luftwaffe mit. Beim Einschlag von drei russischen Raketen in der Stadt Mirnograd im ostukrainischen Gebiet Donezk wurden nach Angaben der örtlichen Staatsanwaltschaft elf Menschen verletzt.