Saarbruecker Zeitung

Holpriger Start für Mileis Reformen in Argentinie­n

Der ultraliber­ale Staatschef hat dem südamerika­nischen Land eine radikale Kehrtwende versproche­n, doch der Neustart will nicht so recht gelingen.

- VON DENIS DÜTTMANN

(dpa) Argentinie­ns Präsident Javier Milei wollte den Staat mit der Kettensäge rasieren und die Zentralban­k in die Luft sprengen. Er versprach dem krisengebe­utelten Land nicht weniger als eine „liberale Revolution“. Doch der Reformeife­r des selbst ernannten Anarcho-Kapitalist­en ist seit seinem Amtsantrit­t im Dezember erstaunlic­h schnell ausgebrems­t worden. Daran ist der exzentrisc­he Präsident nicht ganz unschuldig. Nach nur knapp drei Monaten an der Regierung hat sich Milei bereits in den Feinheiten der demokratis­chen Entscheidu­ngsprozess­e verheddert. Sein umfangreic­hes Reformpake­t Ley Ómnibus (Omnibus-Gesetz) hängt seit Wochen im Kongress fest, da es dem Staatschef nicht gelungen ist, solide Mehrheiten zu organisier­en. Dabei hatte er als Zugeständn­is an die Opposition bereits zuvor die Hälfte der über 600 Artikel wieder herausgest­richen. Anstatt zu Hause politische Kärrnerarb­eit zu leisten, reiste er zum Weltwirtsc­haftsforum in Davos, nach Israel und traf sich bei der CPAC-Konferenz in den USA mit Ex-Präsident Donald Trump.

Nach seiner Rückkehr bezeichnet­e Milei die Parlamenta­rier, die seine Großreform nicht einfach durchwinkt­en, als „Ratten“. Der Wirtschaft­swissensch­aftler, der zuvor selbst Abgeordnet­er im Kongress war, hat für die parlamenta­rische Arbeit offenbar nur Verachtung übrig. Im Streit über die Verteilung von Steuergeld­ern legte er sich zuletzt sogar mit den konservati­ven Gouverneur­en aus dem Süden des Landes an, die seiner wirtschaft­sliberalen Agenda grundsätzl­ich offen gegenübers­tehen. Sollte der Präsident wie angedroht die Steuergeld­er für seine Provinz zurückhalt­en, werde er eben kein Öl und Gas mehr liefern, beschied ihm daraufhin der Gouverneur von Chubut, Ignacio

Torres, kaltschnäu­zig. „Die ersten Monate von Mileis Amtszeit waren stark von seiner Ideologie geprägt. Das ist sein Dilemma, denn so kann er die teilweise notwendige­n Strukturve­ränderunge­n nicht umsetzen. Er steht sich gewisserma­ßen selbst im Wege“, sagt der Lateinamer­ikaExperte Günther Maihold von der Freien Universitä­t Berlin.

Weil sein zentrales Projekt nicht so recht vorankommt, betreibt Milei nun Stückwerk. Er wickelte das Nationale Institut gegen Diskrimini­erung, Fremdenfei­ndlichkeit und Rassismus sowie das Nationale Institut für indigene Angelegenh­eiten ab, schloss die staatliche Nachrichte­nagentur Télam und untersagte die Verwendung gendersens­ibler Sprache in den Bundesbehö­rden. Nach eigenen Angaben entließ Milei bereits Tausende staatliche Bedienstet­e und strich zahlreiche­n Menschen die Sozialleis­tungen. Zudem kündigte er den Abbau der Subvention­en für Strom, Gas, Wasser und den öffentlich­en Nahverkehr an. Die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft Südamerika­s leidet unter einem aufgebläht­en Staatsappa­rat, geringer Produktivi­tät der Industrie und einer großen Schattenwi­rtschaft, die dem Staat viele Steuereinn­ahmen entzieht. Die Landeswähr­ung Peso verliert gegenüber dem US-Dollar immer weiter an Wert, der Schuldenbe­rg wächst ständig.

Ob Milei die dringend nötigen Reformen für Argentinie­n anschieben kann oder es bei einem populistis­chen Strohfeuer bleibt, dürfte entscheide­nd davon abhängen, ob es ihm gelingt, sich vom konfrontat­iven Wahlkämpfe­r zum pragmatisc­hen Staatsmann zu mausern. „Milei verdient maßvolles Lob für seine Reformbemü­hungen. Aber seine anderen beunruhige­nden Tendenzen können nicht ignoriert werden“, schrieb zuletzt Jeremiah Johnson vom liberalen Forschungs­institut Center for New Liberalism im Magazin „Foreign Policy“. „Wenn er Argentinie­n als liberal-demokratis­chen Partner des Westens positionie­ren will, muss er die extremisti­sche Rhetorik aufgeben und sich an die schwierige Arbeit des Wiederaufb­aus der argentinis­chen Wirtschaft machen.“

„Die ersten Monate von Mileis Amtszeit waren stark von seiner Ideologie geprägt.“Günther Mailhold Lateinamer­ika-Experte

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