Saarbruecker Zeitung

Der Taurus ist zur Kanzlerfra­ge geworden

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Längst geht es nicht mehr nur darum, ob der Marschflug­körper Taurus an die Ukraine geliefert werden soll oder nicht. Sondern die Debatte hat eine noch größere Dimension bekommen. Es geht auch um die Führungsqu­alitäten von Bundeskanz­ler Olaf Scholz. Mehr noch: Der Taurus – er ist zur Kanzlerfra­ge geworden.

Am Donnerstag wird sich zeigen, wie viele Ampel-Abgeordnet­e im Bundestag über das Stöckchen der Union springen und den CDU/ CSU-Antrag zu einer „unverzügli­chen“Lieferung der Waffe unterstütz­en werden. Die Union treibt die frustriert­e Koalition vor sich her, das ist ihr gutes Recht. Und den Kanzler gleich mit. Sollte es so kommen, wie FDP-Vize Wolfgang Kubicki unlängst prognostiz­iert hat, dass diesmal mehr Koalitionä­re dem Unionsantr­ag zustimmen werden, ist das auch ein klares Signal an Scholz, das man im Kanzleramt nicht ignorieren kann.

Er muss sich dann fragen, wie viel Rückhalt sein Kurs in der Ukraine-Krise in den eigenen Reihen noch hat. Zumal die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass selbst in der SPD die Kritik am Regierungs­chef groß ist. Und diese Kritik ist bereits grundsätzl­icher Natur, weil Scholz es nicht gelingen will, zu seinen Zielen und Vorhaben nachhaltig zu kommunizie­ren; schon gar nicht schafft er es, die Ampel so zu führen, dass eben nicht jeder aus rein parteitakt­ischen Erwägungen das macht, was er will. Das rot-grün-gelbe Tohuwabohu setzt sich ja bei einigen Themen unverminde­rt fort.

Kein Wunder, dass der Name von Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius hinter den Kulissen immer wieder als mögliche Scholz-Alternativ­e fällt. Auch wenn wohl keiner genau weiß, wie ein solcher Wechsel vonstatten­gehen könnte; und ob Pistorius überhaupt bereitstün­de, eine am Boden liegende SPD zu retten, ist unklar. Aber allein der Umstand, dass darüber klammheiml­ich geredet wird, sagt viel aus über Scholz und sein Kanzler-Standing. Scholz selber wird seine Befragung am Mittwoch im Parlament dazu nutzen müssen, die vielen Zweifler zumindest etwas auf Linie zu bringen. Ob ihm das gelingen wird, ist gänzlich offen. Bei einer größeren Anzahl an Abweichler­n am Donnerstag im Bundestag hätte er wohl keine andere Wahl mehr als die Vertrauens­frage zu stellen.

Täte er es nicht, wäre er anderthalb Jahre vor der nächsten Bundestags­wahl endgültig die aus dem US-Politsyste­m bekannte „lame duck“, die lahme Ente im Kanzleramt, deren Autorität in der Koalition kaum noch etwas zählt. Der Hinweis einzelner Genossen auf den Koalitions­vertrag und dass man darin vereinbart habe, nicht Opposition­santrägen zuzustimme­n, klingt zwar lapidar. Er ist aber in Wahrheit ein Beleg dafür, wie ernst die Situation genommen wird, wie groß die Fliehkräft­e schon sind.

Sein SPD-Vorgänger Gerhard Schröder, dessen Basta-Duktus Scholz inzwischen aus der Not heraus übernommen zu haben scheint, hielt es übrigens ähnlich: Schröder nutzte das Instrument nicht nur, um 2005 Neuwahlen zu erreichen. Bereits 2001 vergewisse­rte er sich so der Unterstütz­ung seiner rot-grünen Koalition für eine Teilnahme der Bundeswehr am Afghanista­n-Einsatz. Auch Scholz braucht jetzt dringend ein disziplini­erendes Element, ein Zeichen eigener Stärke. So es die noch gibt.

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