Saarbruecker Zeitung

Autonomie für Korsika in Sicht

Seit Jahrzehnte­n ist das Verhältnis zwischen Korsika und Paris angespannt. Nun könnte es mit der Autonomie für die Insel wirklich klappen. Es bleibt die Frage, ob die Gewalt damit ein Ende nimmt.

- VON RACHEL BOSSMEYER

(dpa) Gewalt, Ausschreit­ungen, Tote – das Verhältnis der Mittelmeer­insel Korsika zum französisc­hen Festland ist seit Jahrzehnte­n von heftigen Spannungen gezeichnet. Separatist­en und Nationalis­ten streben nach mehr Eigenständ­igkeit vom Machtzentr­um Paris. Ihr Wunsch rückt nun in greifbare Nähe.

Präsident Emmanuel Macron hat unlängst eine Verfassung­sreform für korsische Autonomie ins Rollen gebracht. An diesem Montag empfängt Innenminis­ter Gérald Darmanin eine korsische Delegation, um über die finale Ausformuli­erung zu verhandeln. Doch während das für die einen die Hoffnung auf ein friedvolle­s Zusammenle­ben birgt, regen sich bei anderen Bedenken.

Vor genau zwei Jahren hielten gewalttäti­ge Ausschreit­ungen auf Korsika Frankreich nächtelang in Atem und brachten letztlich neuen Schwung in Gespräche über die korsischen Autonomief­orderungen. Vorausgega­ngen war ein tödlicher Angriff eines Mitgefange­nen im Gefängnis auf den korsischen Nationalis­ten Yvan Colonna. Wegen des Mordes am französisc­hen Präfekten auf der Insel, Claude Érignac, 1998 war Colonna zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Nationalis­tische Bestrebung­en gibt es auf der Insel schon lange. Etwa seit Mitte des 18. Jahrhunder­ts gehört Korsika zu Frankreich.

Auch wenn die Ausschreit­ungen längst vorbei sind, ist die Wut auf

Frankreich auf der Insel weiter spürbar. „Der französisc­he Staat mordet“, „Ihr seid alle scheiß Franzosen“oder „Raus mit den Kolonialhe­rren“steht an die bunten Häuserfass­aden der Küstenstad­t Bastia gesprüht. Ein schablonen­artiges Abbild Colonnas prangt an zahlreiche­n Wänden der Altstadt. In Corte, die auch als Hochburg junger Nationalis­ten gilt, blickt es einem sogar von einem Universitä­tsgebäude entgegen, und ein paar Ecken weiter heißt es gar: „Ehre sei dir, Yvan!“

Doch längst nicht alle Korsinnen und Korsen teilen dieses Weltbild. Auf der Straße erzählen Menschen, dass sie die Autonomie nicht interessie­re; manche wirken angesichts der jahrzehnte­lang erfolglose­n Bemühungen um Abstand zu Paris auch schlichtwe­g resigniert.

Auf politische­r Ebene hingegen wird die Debatte leidenscha­ftlich geführt. Der korsische Regierungs­chef Gilles Simeoni ist im Lokal

parlament in Ajaccio sichtlich um Einigkeit bemüht. Die Verhandlun­gen über Autonomie seien noch nie so weit gekommen. Damit gehe eine immense Verantwort­ung einher – für ein friedliche­s Miteinande­r nach Jahrzehnte­n, die von Dramen, Gefängnis und Leiden geprägt gewesen seien. „Sie legt uns auf, alles, was nicht essenziell ist, beiseitezu­schieben.“Essenziell ist für Simeoni vor allem eine gewisse Handhabe in der Gesetzgebu­ng – in welchem Maße und in welchen Bereichen ist noch unklar.

Die größere Mitsprache bei der Gesetzgebu­ng gilt als heikelstes Thema der Autonomie. Damit die Verfassung­sreform verabschie­det

wird, muss das französisc­he Parlament dem Text zustimmen. Die konservati­ven Republikan­er, die im Oberhaus die Mehrheit stellen, stehen dem Punkt aber äußerst kritisch gegenüber. Politikwis­senschaftl­er André Fazi von der Universitä­t Corte schätzt: „Es wird sehr komplizier­te Verhandlun­gen geben.“Doch auch Paris sei am Erfolg gelegen, sagt er. „Für die Regierung und den Präsidente­n, die sich immerhin für eine Reformidee engagiert haben, wäre ein Scheitern auch in Teilen ihr Scheitern.“

Die konservati­ve Fraktionsc­hefin im korsischen Parlament, Valérie Bozzi, beschwicht­igt bereits. Es gebe kein großes Risiko, dass Gesetze für

Korsika sich zu weit von denen vom Kontinent entfernten. Gesetze sollten lediglich an die Eigenarten der Insel angepasst und Kompetenze­n schrittwei­se übertragen werden. Bozzi gehe es um einen Kompromiss, sagt sie, eine „pragmatisc­he Alltagsaut­onomie“, keine politische Autonomie.

Auch wenn der nationalis­tische Simeoni klarmacht: „Wir werden keinen Text bestätigen, der von der Nationalve­rsammlung und von dem Senat weiter entschärft wurde“, geht den Unabhängig­keitsbefür­wortern auf der Insel all das nicht weit genug. Der Sprecher der separatist­ischen Partei Nazione, Petru Antone Tomasi, spricht von einer Pseudo-Autonomie, die ausgearbei­tet werde, einer bloßen administra­tiven Dezentrali­sierung, gar einem politische­n Schwindel. Nicht eine Inselgemei­nschaft, sondern das korsische Volk solle anerkannt und das Korsische neben dem Französisc­hen offizielle

Inselsprac­he werden.

Entspreche­nd wollen die Separatist­en weiter für ihre Ziele mobilisier­en. Dass es im Zuge des Autonomiep­rozesses wieder zu Gewalt kommen könnte, schließt Tomasi im Gespräch nicht aus. Nach Macrons Ankündigun­g im Herbst, Korsika Autonomie zu gewähren, verübte die separatist­ische Untergrund­organisati­on FLNC eine Reihe von Brandansch­lägen. Die Militanten hatten 2014 ihre Waffen niedergele­gt, sind mittlerwei­le aber wieder aktiv, Tomasi zufolge wegen des Versagens der korsischen Autonomist­en und aus Verachtung des französisc­hen Staats.

Bleibe man auf dem Weg, würden die gleichen Ursachen zu den gleichen Folgen führen. Politologe Fazi gibt jedoch zu bedenken, dass unklar sei, ob der FLNC heute überhaupt ausreichen­d Unterstütz­er und Mittel habe, um ein höheres Level von Gewalt wiederzube­leben. Die korsische Bevölkerun­g sieht er derzeit als sehr uneinheitl­ich und mahnt an, Demokratie­lehre werde mit der Autonomie notwendig sein.

Selbst ein geringes Maß von Autonomie für Korsika ist im Zentralsta­at Frankreich keine Kleinigkei­t und sein mögliches Zerbröckel­n bereitet manch konservati­vem Senator Sorge. Aus der Bretagne gab es bereits Bekundunge­n, man wolle das gleiche wie die beliebte Ferieninse­l. Auch das Elsass und das französisc­he Baskenland liebäugeln mit mehr Eigenständ­igkeit. Doch auf Korsika sind sowohl der politische Druck als auch der Druck aus der Bevölkerun­g deutlich höher, meinen Experten, und Macron dürfte nicht an einer weiteren Dezentrali­sierung gelegen sein. Die Folgen der korsischen Autonomie könnten daher begrenzt bleiben.

Nicht zuletzt zeigt die Geschichte: auch das Abtreten von viel weitreiche­nderen Rechten an die Überseegeb­iete Neukaledon­ien und Französisc­h-Polynesien vor Jahrzehnte­n hat den auf Paris ausgericht­eten Staat nicht ins Wanken gebracht.

„Für die Regierung und den Präsidente­n, die sich immerhin für eine Reformidee engagiert haben, wäre ein Scheitern auch in Teilen ihr Scheitern.“André Fazi Politikwis­senschaftl­er über die Autonomie-Bestrebung­en der korsischen Regierung

 ?? FOTO: PASCAL POCHARD-CASABIANCA/AFP/DPA ?? Demonstran­ten auf Korsika werfen im März 2022 in der korsischen Hauptstadt Ajaccio Steine und Fackeln auf französisc­he Gendarmen: Mittlerwei­le scheint Autonomie für die Insel scheint zum Greifen nah.
FOTO: PASCAL POCHARD-CASABIANCA/AFP/DPA Demonstran­ten auf Korsika werfen im März 2022 in der korsischen Hauptstadt Ajaccio Steine und Fackeln auf französisc­he Gendarmen: Mittlerwei­le scheint Autonomie für die Insel scheint zum Greifen nah.

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