„Es kann zur problematischen Spirale werden“
Der Ende März vorzeitig in Ruhestand gehende Uni-Präsident spricht über seine Amtszeit, die Exzellenz-Strategie und die Bedeutung der Uni.
Sieben Jahre lang war der Molekular- und Zellbiologie Manfred Schmitt Präsident der Universität des Saarlandes. Aus gesundheitlichen Gründen geht er nun vorzeitig in Ruhestand. Im Interview zieht er Bilanz.
Als Sie 2017 Präsident wurden, war der innere Zusammenhalt an der Uni nach einer Jahrzehnte währenden, quälenden Ära des Sparens und Kaputtsparens verloren gegangen. Viele Fachbereiche hatten sich eingemauert, alle schienen nur noch mit ihrer Revierverteidigung beschäftigt. Es gab kein Miteinander mehr. Mit wem auch immer man spricht: Alle sagen, dass Sie wieder für mehr inneren Zusammenhalt, mehr Menschlichkeit im Umgang gesorgt haben. Wie haben Sie das geschafft?
SCHMITT Damals war in der Tat kaum noch ein Wir-Gefühl vorhanden. Also musste man als Präsidium versuchen, auf allen Ebenen Vertrauen zu gewinnen und an der Basis jeden Einzelnen zu motivieren, damit wieder eine Wertegemeinschaft entstehen konnte. Ich habe mich bemüht, die Kommunikation zu verbessern, Entscheidungen und ihre Beweggründe transparent und nachvollziehbar zu vermitteln und grundsätzlich nichts zu versprechen, was ich nicht auch halten konnte. Verlässlichkeit, Transparenz und Ehrlichkeit, das waren meine Vorsätze, die ich zu leben versucht habe. Das ist, glaube ich, auch anerkannt worden.
Welche Höhen und Tiefen bleiben Ihnen aus den Jahren 2017-2024 insbesondere in Erinnerung?
SCHMITTWir haben es geschafft, uns nach den langen Sparjahren mit dem Land auf eine vierjährige Ziel- und Leistungsvereinbarung zu verständigen, die uns Planungssicherheit gab, aber auch Perspektiven für eine in die Zukunft gerichtete Entwicklung und ein moderates Wachstum. Dadurch konnten wir uns auch mit Blick auf unsere universitären Schwerpunkte weiterentwickeln, zugleich aber auch den Wissenschaftsstandort mit unseren außeruniversitären Forschungspartnern stärken. Ich denke, dass wir hierbei sehr erfolgreich waren. Es waren dann zwar keine rosigen Zeiten, aber doch solche mit echten Perspektiven. Eine Universität ist ja ein relativ großer Tanker, für dessen Weiterentwicklung es Konstanz und langen Atem braucht. Deshalb war es auch so wichtig, dass wir erstmals eine längerfristige Universitätsentwicklungsplanung bis 2030 erarbeiten konnten, die über eine Legislaturperiode hinausreicht. Dass uns dies von der Landesregierung ermöglicht wurde, ist nicht selbstverständlich. Ich sehe hierin auch ein Zeichen der Wertschätzung. Jeder Bereich an der UdS war aufgefordert, sich selbst zu reflektieren und zu schauen, wo man steht und wie man sich interdisziplinär entwickeln will. Das hat sich sehr bewährt. So entstanden völlig neue Formate des
Austauschs. Aus allen Bereichen kamen tolle Ideen. Es war deutlich zu spüren, wie extrem motiviert die Mitarbeitenden sind, wenn sie mal gehört werden. Das hat dazu geführt, dass die Universität sich deutlich nach vorne entwickelt hat.
Gibt es für Sie wichtige, als Präsident gewonnene, persönliche Lehren?
SCHMITT Ich glaube, dass es in diesem Amt sehr, sehr wichtig ist, zuhören zu können, sich vertraulich und auf Augenhöhe auszutauschen und die richtigen Wege genau abzuwägen. Die Universität ist ja keine monolithische Einheit. Sie haben dort ganz unterschiedliche Charaktere. Man muss auch vermitteln können, dass in der Wissenschaft nicht mehr nur pure Fachdisziplin gefragt ist, sondern das Miteinander über Fachgrenzen hinweg. Auch habe ich gelernt, dass man bereit sein muss, Kompromisse einzugehen und wichtige Ziele gegebenenfalls auch in Etappen anzugehen.
Welche Ziele, die Sie sich gesetzt haben, haben Sie nicht erreicht?
SCHMITT Im aktuellen ExzellenzWettbewerb hätte ich mir natürlich gewünscht, wenn wir mit beiden hervorragenden Vor-Anträgen Erfolg gehabt hätten. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es für diese Universität wichtig ist, dass wir in bestimmten Bereichen ganz vorne mitspielen und national wie international entsprechend wahrgenommen werden, auch um brillante Köpfe hierher zu holen. Unsere beiden Schwerpunkte Informatik und NanoBioMed, letzterer insbesondere im Bereich der Wirkstoffforschung, lösen das ein. Aber auch in der Europaforschung ist viel Potenzial. Denken Sie etwa an das neue Käte Hamburger Kolleg.
War es ein Fehler, so nachdrücklich auf das angesichts der enormen wissenschaftlichen Konkurrenz kaum einzulösende Ziel zu setzen, am Ende zwei Exzellenz-Cluster und dann womöglich auch den Titel einer Exzellenz-Uni zu erhalten?
SCHMITT Nein, es war kein Fehler. Wir sind den Weg deshalb so gegangen, weil wir berechtigtermaßen davon ausgegangen sind, uns in zwei herausragenden Bereichen diesem Wettbewerb stellen zu können. Wer zwei Exzellenzcluster will, der muss in diesem mehrstufigen Verfahren auch gleichzeitig bereit sein, parallel mit einem gesamtuniversitären Antrag in diesem bundesweiten Wettbewerb anzutreten. Die Weichen waren daher frühzeitig zu stellen – zwei, drei Jahre vor Einreichen der Clusterskizzen. Mit diesen hochgesteckten, aber nicht abgehobenen Zielen galt es, die UdS auch als Ganzes weiterzuentwickeln. Dazu haben wir in den letzten drei Jahren thematische Thinktanks und Workshops eingerichtet, um in allen Bereichen zu analysieren, wo wir uns noch verbessern können. Alle dies war nicht umsonst, es wird bestmöglich umgesetzt und weiterverfolgt und die Universität weiterbringen. Auch ohne das Label Exzellenz-Uni.
Der Uni liegen mittlerweile die Rückmeldungen aus der Begutachtung des NanoBioMed- und des Informatik-Antrages durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft vor. Was ist für Sie der Tenor?
SCHMITT Was den erfolgreichen Wirkstoffcluster angeht, ist das Team durch die brillante Würdigung des Vor-Antrages nun bis unter die Haarspitzen motiviert, im August einen ebenso überzeugenden Vollantrag einzureichen. Der Spirit könnte nicht besser sein. Wir konnten in den vergangenen
Jahren in diesem Bereich mehrere Neuberufungen realisieren – strategische Brückenprofessuren, insbesondere mit dem HIPS, besetzt mit herausragenden Wissenschaftlern. Den Erfolg sieht man jetzt. Was die Informatik angeht, tut es mir extrem leid, dass es uns nicht gelungen ist, den Antrag so klar zu konfigurieren, dass er in einem reinen Informatik-Panel gelandet wäre. Durch den weit gefassten Titel „Anthropic Informatics“mit einem deutlichen Bezug zu den Geistes- und Sozialwissenschaften mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass wir in den Anschlussdisziplinen noch nicht das Niveau der Informatik haben. Im Rückblick wäre es bei diesem Thema vielleicht besser gewesen, noch den einen oder anderen externen Partner mit einzubeziehen. Die Informatik wird aber nun in anderen Förderformaten antreten.
Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf im Verhältnis zwischen der Uni und ihren außeruniversitären Partnern – etwa mit Blick auf das Cispa?
SCHMITT Das ist wie in einer guten Ehe, in der sich beide anstrengen sollten, etwas für die Beziehung zu tun. Wir leben seit vielen Jahren eine
vorbildliche Interaktion mit unseren außeruniversitären Partnern. Auch das Cispa ist ja aus der Uni heraus entstanden. Alle vier Gründungskollegen kamen aus der universitären Informatik. Ein wachsendes Helmholtz-Zentrum ist für den gesamten Standort eine großartige Chance, sie stellt aber auch beide Partner vor Herausforderungen, die nur gemeinsam zu meistern sind, um letztlich auch die besten Studierenden und Wissenschaftler anziehen zu können. Daher wünsche ich mir, dass die Universität für das wachsende Cispa die eigentliche „Home Base“bleiben wird.
Positioniert sich die UdS ausreichend in aktuellen Debatten? Sie haben noch bei keiner Demo gesprochen.
SCHMITT Diese Diskussionen gehören in die breite Öffentlichkeit, und sie werden auch an unseren beiden Campus-Standorten geführt, was ich richtig finde. Als Universität haben wir uns früh und klar positioniert. Ob es darüber hinaus viel bringt, wenn jeder auf Demonstrationen versucht, ein Statement abzugeben, das alle teilen, weiß ich nicht.
Wäre es nicht gut, als Uni dauerhafter in der Stadt präsent zu sein?
SCHMITT Wir haben ja bereits sehr gut besuchte Veranstaltungen wie „UdS im Dialog“oder die Ringvorlesungen in der Stadt. Als Universität überlegen wir immer sehr genau, welche Formate zur Vermittlung der Third Mission am besten geeignet sind.
Wie stehen Sie zur Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und der bislang weiter ungeklärten Situation des akademischen Prekariats? SCHMITT Da gibt die Bundespolitik aus meiner Sicht kein gutes Bild ab. Seit Jahren werden Änderungen am
Wissenschaftszeitvertragsgesetz diskutiert und zwischen den beiden Bundesministerien hin und hergeschoben und letztlich auf dem Rücken der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgetragen. Andererseits war es schon immer so, dass das Gros der Absolventen in die freie Wirtschaft geht. Was den akademischen Mittelbau angeht, so haben wir dort mehr unbefristete Stellen geschaffen. Das wird sicher auch in Zukunft noch weiter zunehmen. Unser Universitätsetat stellt aber auch nur ein begrenztes Budget zur Verfügung.
Ist das nicht das Grundübel der Hochschulpolitik, dass die Unterfinanzierung der Unis auf der einen und wachsende Drittmitteletats auf der anderen Seite zu immer mehr temporären Beschäftigungen führt?
SCHMITT Das ist in der Tat ein zunehmendes Problem. Und es wird immer stärker. Unsere Drittmittel haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Dieses Hochschrauben kann auch zu einer problematischen Spirale werden. Wenn Sie etwa Sonderforschungsbereiche, Graduiertenkollegs oder auch Exzellenz-Verbünde einwerben möchten, dann müssen zur Ko-Finanzierung auch Mittel aus der Grundausstattung hineingegeben werden, um Erfolg zu haben. Hierin sehe ich ein grundsätzliches Problem auf die Universitäten zukommen.
Auf Landesebene steht die Novelle des saarländischen Hochschulgesetzes an. Im Entwurf ist eine deutliche Stärkung des Präsidentenamtes vorgesehen. Unterstützen Sie das?
SCHMITT Der Vorschlag kam nicht von uns. Ich persönlich sehe hierfür auch keine Notwendigkeit. Womöglich waren die Erfahrungen während der Pandemie die Begründung hierfür.
Was bedeutet Ihr Rückzug für Sie?
SCHMITT Ich werde die Universität in wenigen Tagen verlassen und in den Ruhestand eintreten. Die Entscheidung hierzu fiel mir nicht leicht, aber ich bin sicher, dass es für mich persönlich und für meine Familie die richtige Entscheidung ist.
Welche Aufgaben warten aus Ihrer Sicht auf Ihren Nachfolger?
SCHMITT Ich würde mir wünschen, dass es ihm und der Universität gelingt, den eingeschlagenen Weg und die positive Entwicklung fortzusetzen. Das wird sicher nicht einfach sein, zumal sich auch die Rahmenbedingungen ja immer wieder ändern. Nicht zuletzt auch angesichts der Herausforderungen des Strukturwandels im Saarland. Für die Universität wird das in Zukunft noch mehr Verantwortung bedeuten, hierbei unseren Beitrag zu leisten. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass Ludger Santen den Rückhalt auf allen Ebenen bekommen wird, den er auch braucht, um erfolgreich zu sein.