Das „Rathaus im Koffer“hat seine Tücken
Der sogenannte Bürgerkoffer, der vor allem älteren oder in ihrer Mobilität eingeschränkten Menschen den Weg in die Amtsstuben ersparen soll, ist in Friedrichsthal angekommen. Einsatzbereit ist er noch nicht. Und ein defektes Exemplar hat die Verwaltung be
Die Idee klang erst einmal gut. Außerdem sehr modern und zukunftsorientiert. Und ganz im Sinne der Digitalisierungsoffensive, die alle Behörden in Deutschland seit den 2010er-Jahren vorantreiben sollten. Ein „Bürgerkoffer“sollte das Rathaus in die Wohnzimmer der Bürger bringen, die aus verschiedensten Gründen den Weg in die Amtsstuben nicht bewältigen können. Insbesondere älteren Menschen, die in der Mobilität eingeschränkt sind, sollten Verwaltungsmitarbeiter das „mobile Rathaus“nach Hause bringen.
Als weitere mögliche Einsatzorte waren Seniorenheime, Krankenhäuser und Strafvollzugsanstalten vorgesehen. Die Grundidee wurde allerorts gefeiert. Die Presse nahm sich des Themas an und kreierte Namen wie „Bürgerbüro to go“oder „Rollendes Rathaus“.
Jetzt hat auch Friedrichsthal das „tragbare Rathaus“erhalten. Endlich, ließe sich dazu sagen, gab es doch wegen Lieferengpässen eine Verspätung von einem halben Jahr. Und einen Koffer hat die Stadt wegen eines Defekts bereits zurückgegeben.
Dabei hat der 16 bis 20 Kilogramm schwere Koffer so einiges zu bieten. Denn grundsätzlich sollte mit seinem Innenleben alles möglich sein, was ansonsten stationär in den Rat
häusern anfällt: An-, Ab- und Ummeldungen, Pass- und Ausweisangelegenheiten, Bescheinigungen sowie Beglaubigungen.
Ein Blick in die Geschichte des Bürgerkoffers zeigt: Neben regionalen IT-Dienstleistungsunternehmen wurde im Laufe der Jahre die Bundesdruckerei GmbH zum Hauptlieferanten des Bürgerkoffers.
Eine Basisausstattung war bereits für 4990 Euro zuzüglich Umsatzsteuer zu haben. Heute schlägt er mit etwa 6000 Euro zu Buche. Etwa wohlgemerkt, denn die Kosten richten sich nach den Bestandteilen des Koffers. So kann etwa eine Kamera ( Webcam) dazu erworben werden,
um bei den Bürgern zu Hause biometrische Fotos zu erstellen.
Besonders groß war die Nachfrage in den Jahren zwischen 2010 und 2020. So groß, dass die Bundesdruckerei mit der Auslieferung bald nicht mehr hinterherkam.
Und während sich die Sachbearbeiter in den bereits belieferten Städten und Gemeinden mit dem Bürgerkoffer vertraut machten, zeigte der plötzlich seine Tücken. Aus Kommunen in NordrheinWestfalen, wo die Anschaffung sich ohnehin rascher als anderswo verbreitete, kamen die ersten negativen Rückmeldungen.
Weil beim Einsatz auch Geld, Vordrucke und Siegel zu transportieren sind und der Koffer in Vollausstattung immerhin 20 Kilogramm wiegt, war es oft erforderlich, die Einsätze außerhalb des Rathauses mit zwei Mitarbeitern vorzunehmen.
Das hieß: Mit dem vorhandenen Personal war ein flexibler Einsatz des Bürgerkoffers nur zulasten der
Öffnungszeiten der Bürgerbüros möglich. Die gewünschte höhere Bürgerfreundlichkeit war aus Sicht vieler Verwaltungen also nur dann möglich, wenn zusätzliches Personal eingestellt würde.
Nach Ausweis- und Passanträgen war außerdem zu beachten, dass die fertigen Dokumente später ja eben nicht im Rathaus abgeholt werden konnten, sondern zum Kunden ausgeliefert werden mussten. Weitere Personal- und Fahrtkosten fielen damit an.
Darüber gab es aufgrund von technischen Schwierigkeiten immer wieder Verzögerungen bei den Einsätzen. Zudem erwies sich der Koffer keineswegs als Sparmöglichkeit. Vielmehr schlug die Investition mit Mehrkosten zu Buche.
Im Saarland machte die Mittelstadt St. Ingbert diese Erfahrungen. Auf unsere Anfrage antwortete die Verwaltung mit einer schriftlichen Stellungnahme: „Der Bürgerkoffer wurde im Jahr 2012 für ein halbes Jahr erprobt. Aufgrund umfangreicher Sicherheitsmaßnahmen bei der Einrichtung vor Ort, die jeweils im Vorlauf eine Stunde und nach Betrieb zwei Stunden in Anspruch genommen hat, hat sich das System aus unserer Sicht nicht etabliert.“Zudem sei das Angebot kaum genutzt worden. St. Ingbert gab den Koffer zurück und setzt seitdem „auf ein besseres Bürgerservice-Angebot im Rathaus“, wie es in der Stellungnahme weiter heißt.
Auch die Gemeinde Quierschied entschied sich gegen die Anschaffung des Bürgerkoffers. „Die Zahl der Fälle, in denen eine Abwicklung unseres Bürgerservices vor Ort unvermeidbar ist, ist in Quierschied mit einem oder zwei Fällen pro Jahr äußerst gering“, teilte Sebastian Zenner der Saarbrücker Zeitung mit. Und er fügte hinzu: „In diesen Fällen kommen unsere zuständigen Sachbearbeiter den Bürgern weitestmöglich entgegen und holen dann unterschriebene Dokumente bei ihnen zu Hause ab. Unseres Erachtens steht die Investition in einen Bürgerkoffer in keinem Verhältnis zum Nutzen.“
Nun hat die Stadt Friedrichsthal, die ständig über finanzielle und personelle Engpässe debattiert, den Bürgerkoffer angeschafft. Er ist vor einigen Tagen in Friedrichsthal eingetroffen, aber noch nicht einsatzbereit.
Auf unsere aktuelle Anfrage nach dem Sachstand ging folgende Rückmeldung aus dem Rathaus ein: „Der Bürgerkoffer wurde letzte Woche geliefert. Derzeit befindet er sich in der IT-Abteilung.“Diese habe jetzt bis zur Inbetriebnahme noch einige Aufgaben bezüglich der Installation der Software zu erledigen.
„Unseres Erachtens steht die Investition in einen Bürgerkoffer in keinem Verhältnis zum Nutzen.“Sebastian Zenner Sprecher der Gemeinde Quierschied