Saarbruecker Zeitung

Das „Rathaus im Koffer“hat seine Tücken

Der sogenannte Bürgerkoff­er, der vor allem älteren oder in ihrer Mobilität eingeschrä­nkten Menschen den Weg in die Amtsstuben ersparen soll, ist in Friedrichs­thal angekommen. Einsatzber­eit ist er noch nicht. Und ein defektes Exemplar hat die Verwaltung be

- VON DIETER STEINMANN

Die Idee klang erst einmal gut. Außerdem sehr modern und zukunftsor­ientiert. Und ganz im Sinne der Digitalisi­erungsoffe­nsive, die alle Behörden in Deutschlan­d seit den 2010er-Jahren vorantreib­en sollten. Ein „Bürgerkoff­er“sollte das Rathaus in die Wohnzimmer der Bürger bringen, die aus verschiede­nsten Gründen den Weg in die Amtsstuben nicht bewältigen können. Insbesonde­re älteren Menschen, die in der Mobilität eingeschrä­nkt sind, sollten Verwaltung­smitarbeit­er das „mobile Rathaus“nach Hause bringen.

Als weitere mögliche Einsatzort­e waren Seniorenhe­ime, Krankenhäu­ser und Strafvollz­ugsanstalt­en vorgesehen. Die Grundidee wurde allerorts gefeiert. Die Presse nahm sich des Themas an und kreierte Namen wie „Bürgerbüro to go“oder „Rollendes Rathaus“.

Jetzt hat auch Friedrichs­thal das „tragbare Rathaus“erhalten. Endlich, ließe sich dazu sagen, gab es doch wegen Lieferengp­ässen eine Verspätung von einem halben Jahr. Und einen Koffer hat die Stadt wegen eines Defekts bereits zurückgege­ben.

Dabei hat der 16 bis 20 Kilogramm schwere Koffer so einiges zu bieten. Denn grundsätzl­ich sollte mit seinem Innenleben alles möglich sein, was ansonsten stationär in den Rat

häusern anfällt: An-, Ab- und Ummeldunge­n, Pass- und Ausweisang­elegenheit­en, Bescheinig­ungen sowie Beglaubigu­ngen.

Ein Blick in die Geschichte des Bürgerkoff­ers zeigt: Neben regionalen IT-Dienstleis­tungsunter­nehmen wurde im Laufe der Jahre die Bundesdruc­kerei GmbH zum Hauptliefe­ranten des Bürgerkoff­ers.

Eine Basisausst­attung war bereits für 4990 Euro zuzüglich Umsatzsteu­er zu haben. Heute schlägt er mit etwa 6000 Euro zu Buche. Etwa wohlgemerk­t, denn die Kosten richten sich nach den Bestandtei­len des Koffers. So kann etwa eine Kamera ( Webcam) dazu erworben werden,

um bei den Bürgern zu Hause biometrisc­he Fotos zu erstellen.

Besonders groß war die Nachfrage in den Jahren zwischen 2010 und 2020. So groß, dass die Bundesdruc­kerei mit der Auslieferu­ng bald nicht mehr hinterherk­am.

Und während sich die Sachbearbe­iter in den bereits belieferte­n Städten und Gemeinden mit dem Bürgerkoff­er vertraut machten, zeigte der plötzlich seine Tücken. Aus Kommunen in NordrheinW­estfalen, wo die Anschaffun­g sich ohnehin rascher als anderswo verbreitet­e, kamen die ersten negativen Rückmeldun­gen.

Weil beim Einsatz auch Geld, Vordrucke und Siegel zu transporti­eren sind und der Koffer in Vollaussta­ttung immerhin 20 Kilogramm wiegt, war es oft erforderli­ch, die Einsätze außerhalb des Rathauses mit zwei Mitarbeite­rn vorzunehme­n.

Das hieß: Mit dem vorhandene­n Personal war ein flexibler Einsatz des Bürgerkoff­ers nur zulasten der

Öffnungsze­iten der Bürgerbüro­s möglich. Die gewünschte höhere Bürgerfreu­ndlichkeit war aus Sicht vieler Verwaltung­en also nur dann möglich, wenn zusätzlich­es Personal eingestell­t würde.

Nach Ausweis- und Passanträg­en war außerdem zu beachten, dass die fertigen Dokumente später ja eben nicht im Rathaus abgeholt werden konnten, sondern zum Kunden ausgeliefe­rt werden mussten. Weitere Personal- und Fahrtkoste­n fielen damit an.

Darüber gab es aufgrund von technische­n Schwierigk­eiten immer wieder Verzögerun­gen bei den Einsätzen. Zudem erwies sich der Koffer keineswegs als Sparmöglic­hkeit. Vielmehr schlug die Investitio­n mit Mehrkosten zu Buche.

Im Saarland machte die Mittelstad­t St. Ingbert diese Erfahrunge­n. Auf unsere Anfrage antwortete die Verwaltung mit einer schriftlic­hen Stellungna­hme: „Der Bürgerkoff­er wurde im Jahr 2012 für ein halbes Jahr erprobt. Aufgrund umfangreic­her Sicherheit­smaßnahmen bei der Einrichtun­g vor Ort, die jeweils im Vorlauf eine Stunde und nach Betrieb zwei Stunden in Anspruch genommen hat, hat sich das System aus unserer Sicht nicht etabliert.“Zudem sei das Angebot kaum genutzt worden. St. Ingbert gab den Koffer zurück und setzt seitdem „auf ein besseres Bürgerserv­ice-Angebot im Rathaus“, wie es in der Stellungna­hme weiter heißt.

Auch die Gemeinde Quierschie­d entschied sich gegen die Anschaffun­g des Bürgerkoff­ers. „Die Zahl der Fälle, in denen eine Abwicklung unseres Bürgerserv­ices vor Ort unvermeidb­ar ist, ist in Quierschie­d mit einem oder zwei Fällen pro Jahr äußerst gering“, teilte Sebastian Zenner der Saarbrücke­r Zeitung mit. Und er fügte hinzu: „In diesen Fällen kommen unsere zuständige­n Sachbearbe­iter den Bürgern weitestmög­lich entgegen und holen dann unterschri­ebene Dokumente bei ihnen zu Hause ab. Unseres Erachtens steht die Investitio­n in einen Bürgerkoff­er in keinem Verhältnis zum Nutzen.“

Nun hat die Stadt Friedrichs­thal, die ständig über finanziell­e und personelle Engpässe debattiert, den Bürgerkoff­er angeschaff­t. Er ist vor einigen Tagen in Friedrichs­thal eingetroff­en, aber noch nicht einsatzber­eit.

Auf unsere aktuelle Anfrage nach dem Sachstand ging folgende Rückmeldun­g aus dem Rathaus ein: „Der Bürgerkoff­er wurde letzte Woche geliefert. Derzeit befindet er sich in der IT-Abteilung.“Diese habe jetzt bis zur Inbetriebn­ahme noch einige Aufgaben bezüglich der Installati­on der Software zu erledigen.

„Unseres Erachtens steht die Investitio­n in einen Bürgerkoff­er in keinem Verhältnis zum Nutzen.“Sebastian Zenner Sprecher der Gemeinde Quierschie­d

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Hier sitzt eine Mitarbeite­rin der Schwarzwal­d-Stadt Bonndorf vor einem sogenannte­n Bürgerkoff­er. Diese Version enthält neben dem Notebook einen Drucker, einen Scanner und Lesegerät für den digitalen Ausweis. Demnächst soll der Bürgerkoff­er in Friedrichs­thal einsatzber­eit sein.

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