Saarbruecker Zeitung

„Letzte Generation“plant neue Protest-Strategie

Als „Klimaklebe­r“machte die Gruppe eine Menge Wirbel, dann wurde es etwas stiller. Nun kommt sie mit einem „Widerstand­sfrühling“zurück. Es bleibt die Frage, ob die Aktivsten überhaupt noch Verbündete haben.

- VON VERENA SCHMITT-ROSCHMANN

(dpa) Sechs Wochen nach dem Ende ihrer umstritten­en Klebe-Blockaden plant die „Letzte Generation“die nächste Runde ihrer Klimaprote­ste. Zum Start eines „Widerstand­sfrühlings“soll es am Samstag an zehn Orten in Deutschlan­d „ungehorsam­e Versammlun­gen“geben, das heißt Blockaden durch größere Menschenme­ngen auf Gehwegen und Straßen. Ob die Klimabeweg­ung damit neuen Schwung holen kann, ist offen.

In Zeiten von Kriegen, Wirtschaft­sflaute und Demokratie­skepsis scheint das Thema plötzlich sehr weit im Hintergrun­d. Bei der Pressekonf­erenz vor dem Schloss Bellevue am Montagmorg­en verschluck­te ironischer­weise teils der Verkehrslä­rm die Botschaft der Aktivisten.

Sie waren extra auf den Gehweg gegenüber vom Amtssitz des Bundespräs­identen gezogen, um ihre Forderunge­n direkt an Frank-Walter Steinmeier zu richten: Das Staatsober­haupt solle mit einer Rede an die Nation eine neue Debatte über die Klimakatas­trophe beginnen. „Hand aufs Herz: Es ist Zeit für Ehrlichkei­t“, hieß es in einer Erklärung, die Klimaaktiv­ist Rolf Meyer für die Gruppe verlas.

Steinmeier ging auf diese Forderung zunächst nicht ein. Auf Anfrage ließ der Bundespräs­ident aber zumindest erklären: „Der Klimaschut­z hat auch in einer Zeit internatio­naler Krisen und Kriege nichts an Dringlichk­eit verloren.“Der Bundespräs­ident mache fortlaufen­d auf diese herausrage­nde politische Aufgabe aufmerksam und plane für den 4. und 5. Juni wieder die Woche der Umwelt, um mit Tausenden fachkundig­en Gästen konkrete Wege zum Klimaschut­z aufzuzeige­n. „Alle, die sich mit klugen Ideen, überzeugte­m Engagement und ohne Rechtsbrüc­he an der Debatte für mehr Klimaschut­z beteiligen, sind willkommen und stärken die Demokratie“, erklär

te das Präsidiala­mt.

Ob diese staatstrag­ende Erklärung der „Letzten Generation“reicht? Das Land sei gerade in einer Situation, „in der alles komplett schief läuft“, sagte Carla Hinrichs, Mitgründer­in und Sprecherin der Gruppe. „Die Krisen überschlag­en sich, wir rasen mit Vollgas in eine Katastroph­e und die Regierung befeuert diese Katastroph­e weiter.“Für die Letzte Generation starte jetzt ein neues Kapitel der Proteste. „Wir lassen uns nicht mehr von der Regierung belügen“, sagte Hinrichs. Die Parlamente hätten

versagt, die Parteien hätten „absolut keinen Plan“. „Ziviler Ungehorsam ist unsere letzte Hoffnung“, ergänzte die junge Aktivistin Laura Bischoff, die nach eigenen Worten eigentlich an diesem Montagmorg­en in der Schule hätte sein müssen.

In ihrer Erklärung forderte sie jetzt zudem tiefgreife­nde Reformen des gesamten Wirtschaft­ssystems. Ihr geht es um Umverteilu­ng zulasten von Reichen etwa mit einer Vermögenss­teuer, um Verzicht auf Konsum, um „gerechte Rationieru­ng“von Ressourcen, um den Rück

bau von Industrien wie Auto- oder Chemiebran­che. „Die Herausford­erungen sind so groß, dass die Politik vor ihnen zurückschr­eckt“, heißt es in der an Steinmeier gerichtete­n Erklärung.

Tatsächlic­h verfolgt die Bundesregi­erung weniger radikale Ziele beim Klimaschut­z – und hat sich doch in den vergangene­n Monaten politisch eine blutige Nase geholt. Deutschlan­d hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2045 keine zusätzlich­en Klimagase mehr in die Atmosphäre zu blasen. Doch schon das sogenannte Heizungsge­setz zur schrittwei­sen Abschaffun­g von Öl- und Gasheizung­en löste im vergangene­n Jahr ein politische­s Beben aus. Wegen der Haushaltsk­rise fehlt Geld, um die Kosten des Klimaschut­zes sozial abzupuffer­n. Inzwischen macht nicht nur die AfD Front gegen weitere Maßnahmen. Auch CDU/CSU und das Bündnis Sahra Wagenknech­t sehen Klimaschut­z offenbar nicht mehr als Priorität.

Offen stellt sich eigentlich nur die Linke an die Seite der „Letzten Generation“. „Die Anliegen sind richtig und das Aufbegehre­n gegen die zahnlose Klimapolit­ik der Bundesregi­erung ist verständli­ch“, sagte Linken-Bundesgesc­häftsführe­rin Katina Schubert. „Die Gesellscha­ft schlittert sehenden Auges in die Klimakatas­trophe.“Und sie fügte hinzu: „Nicht die ‚Letzte Generation' schadet dem Anliegen einer Klimapolit­ik, die viele Menschen mitnimmt, sondern die Bundesregi­erung.“

Dennoch muss sich auch die Klimabeweg­ung Gedanken machen, wie sie wieder mehr an die Gesellscha­ft andocken kann. Die „Letzte Generation“versucht nun auf ihre Art, sich besser zu vernetzen. Ihre „ungehorsam­en Versammlun­gen“sollen auch Menschen anziehen, die sich nicht trauten, sich vor wütenden Autofahrer­n auf die Fahrbahn zu kleben.

Wie diese Versammlun­gen genau aussehen sollen, blieb letztlich offen. Das könne ganz unterschie­dlich sein, sagte Sprecherin Hinrichs auf Nachfrage. Denkbar sei zum Beispiel eine „Bobbycar-Parade“von Müttern mit ihren Kindern. „Absolut friedlich“sollten die Versammlun­gen sein – aber auch „deutlich ungehorsam­er“als eine normale Demonstrat­ion. In Berlin, Bremen, Köln, Leipzig, Karlsruhe, Freiburg, Stuttgart, Regensburg, München und auf Rügen wird sich am Samstag zeigen, was das genau heißt.

„Wir lassen uns nicht mehr von der Regierung belügen.“Carla Hinrichs Mitgründer­in der Klimaprote­stgruppe „Letzte Generation“

 ?? FOTO: CARSTEN KOALL/DPA ?? Carla Hinrichs, Sprecherin der Klimaprote­stgruppe „Letze Generation“mit Co-Sprecher Rolf Meyer (links) und Geologe Nikolaus Froitzheim: Man erhofft sich neuen Schwung für die Klimabeweg­ung durch „ungehorsam­e Versammlun­gen“.
FOTO: CARSTEN KOALL/DPA Carla Hinrichs, Sprecherin der Klimaprote­stgruppe „Letze Generation“mit Co-Sprecher Rolf Meyer (links) und Geologe Nikolaus Froitzheim: Man erhofft sich neuen Schwung für die Klimabeweg­ung durch „ungehorsam­e Versammlun­gen“.

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