Rechtsruck – hält die Brandmauer in Portugal?
Konservativer Wahlsieger will nicht mit erstarkten Rechtspopulisten koalieren. Regierungsbildung wird schwierig.
(dpa) André Ventura hüpfte hinter dem Rednerpult und grinste wie ein Honigkuchenpferd, als er den überwältigenden Erfolg seiner rechtspopulistischen Chega bei der Parlamentswahl in Portugal feierte. „Sieg, Sieg, Sieg“, skandierte er zusammen mit Anhängern am frühen Montagmorgen in einem Hotel in Lissabon. Die vom früheren Fernsehsportkommentator erst 2019 gegründete Partei belegte zwar „nur“Platz drei hinter dem konservativen Bündnis AD und den zweitplatzierten Sozialisten (PS), die zuletzt sogar mit absoluter Mehrheit regiert hatten und nach gut acht Jahren an der Macht im Zuge mehrerer Korruptionsaffären abgewählt wurden. Chega (Es reicht!) konnte aber ihre Abgeordnetenzahl im 230-Sitze-Parlament auf mindestens 48 vervierfachen – und versetzt Portugal damit kurz vor dem 50. Jahrestag von „Nelkenrevolution“und Diktatur-Ende am 25. April in Angst und Ungewissheit.
Im Urlaubsland geht nun die Angst vor der Zukunft und der „Unregierbarkeit“um. Der Grund? ADSpitzenkandidat Luís Montenegro lehnte in der Wahlnacht erneut jede Zusammenarbeit mit der Partei, die er als „ausländerfeindlich“und „rassistisch“bezeichnet, kategorisch ab. In Portugal gibt es – ähnlich wie in Deutschland gegenüber der AfD – weiterhin eine sogenannte Brandmauer nach rechts. Das Problem ist, dass Montenegro ohne Unterstützung von Ventura mit kleineren Parteien nur eine schwache Minderheitsregierung wird bilden können, die keine lange Lebensdauer haben dürfte. Beobachter prophezeien deshalb bereits eine baldige Neuwahl.
„Chaos, Chega-Explosion und ein Land, das sich nur schwer wird regieren lassen“, titelte die Zeitung Público. Der Schriftsteller und Journalist Miguel Sousa Tavares (71), einer der angesehensten Intellektuellen des Landes, fasste im Interview des Fernsehsenders CNN Portugal zusammen, was viele seiner Mitbürger nun wohl denken: „Schlimmer hätte es nicht kommen können“.
Portugal hatte lange europaweit als „Bollwerk“gegen den in vielen Ländern zu beobachtenden Rechtsruck gegolten. Damit ist es endgültig vorbei. Manche sehen bei Chega – bekanntester Wahlslogan: „Portugal säubern“– die Grenze vom Populismus zum Rechtsextremismus längst überschritten. Ventura und andere Parteivertreter punkteten im Wahlkampf mit Parolen gegen Einwanderer, machten diese für eine angebliche Zunahme der Kriminalität verantwortlich und schimpften über eine „korrupte Oligarchie“der etablierten Parteien.
Die AD kam nach Auszählung fast aller Stimmen auf mindestens 79 Sitze, die PS von Pedro Nuno Santos auf 77. Vier Sitze sind zwar in der Auszählung der Auslandsstimmen noch zu vergeben. An der heiklen Lage wird das aber nichts ändern. Eine „Große Koalition“gilt in Portugal als ausgeschlossen. Die beiden Hauptparteien trennen faktisch unüberwindbare Differenzen. Für die PS, die bei der vergangenen Wahl Anfang 2022 noch 120 Sitze errungen hatte, ist der Wahlausgang ein politisches Desaster. Dabei war der frühere Erfolg der Sozialisten im In- und Ausland als das „portugiesische Wunder“gefeiert worden. Nach der Eurokrise hat Ministerpräsident António Costa das einstige EU-Sorgenkind seit seiner Amtsübernahme Ende 2015 jahrelang sehr solide geführt. Doch nach der Pandemie setzten gleich mehrere Korruptionsskandale der Erfolgsgeschichte der Linken jäh ein Ende.