Müntefering über Lafontaine: „Besserwisser und Wenigtuer“
Oskar Lafontaines plötzlicher Rücktritt von allen Ämtern vor 25 Jahren hob die Bundespolitik aus den Angeln. Zum „ Jubiläum“äußerte sich nun ein SPD-Urgestein.
Die Frage ist oft gestellt worden, Oskar Lafontaine hat sie sich auch selbst gestellt: Was wäre gewesen, wenn er am 11. März 1999 – vor genau 25 Jahren – nicht von allen Ämtern zurückgetreten wäre? Als Lafontaine im September 80 wurde, sagte er der SZ: „Die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, in der SPD zu bleiben und so in größerem Umfang Fehlentscheidungen zu verhindern, kann ich nicht endgültig beantworten, auch heute nicht.“
Für Franz Müntefering (84), den ehemaligen SPD-Bundesvorsitzenden und Mit-Architekten der rot-grünen Regierungszeit (1998-2005), ist die Sache klar: „Von 1998 bis in unsere heutige Zeit hätte es eine stringente sozialdemokratische Führung und Politik mit guten Mehrheiten in unserem Land geben können. O. Lafontaine hätte dafür keine Kärrnerarbeit leisten müssen, die er nun mal nicht so recht mochte“, schreibt er in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung aus Anlass des 25. Jahrestages von Lafontaines Rücktritts. „Simple sozialdemokratische Loyalität hätte gereicht.“
Der Rücktritt hob damals die Bundespolitik aus den Angeln. Ohne ein Wort zu sagen trat Lafontaine am 11. März 1999 als Bundesfinanzminister und SPD-Bundesvorsitzender zurück, sein Bundestagsmandat gab er ab. Die Bilder, wie er nach vier Tagen mit seinem kleinen Sohn auf den Schultern erstmals sein Haus in Saarbrücken verließ und ein Statement abgab, gehören längst zum geschichtlichen Inventar der Bonner Republik. Lafontaine verließ die SPD, baute die Linkspartei auf, wurde Fraktionschef im Saar-Landtag, bis er auch diese Partei 2022 verließ.
Seit Kurzem ist er Mitglied im Bündnis Sahra Wagenknecht seiner Frau – wobei er Wert darauf legt, dass er sich inhaltlich immer treu geblieben sei, nur hätten sich halt die SPD und Die Linke verändert.
Müntefering sieht Lafontaine wenig überraschend in anderem Licht. „Er hatte und hat immer Ideen gehabt und Forderungen, Mindestlohnregelung zum Beispiel. Die SPD hat sie realisiert, ohne ihn. Er forderte eine Aufstockung. Die SPD setzte sie durch. Und so weiter. Er war und ist und bleibt ein selbstgefälliger Lautsprecher, der Ideen hat und Forderungen, aber sich nur mickrig engagiert. Besserwisser und Wenigtuer.“
Als es darum gegangen sei, nach der Zeit von Helmut Kohl eine lange Strecke sozialdemokratischer Regierung vorzubereiten und erfolgreich zu gestalten, habe Lafontaine es sich bald bequem gemacht – und sei „beleidigt“gewesen, weil nicht er 1998 SPD-Kanzlerkandidat wurde, sondern Gerhard Schröder. Als Parteivorsitzender und Bundesfinanzminister sei er nun nicht mehr die Nummer eins gewesen. „O. L. eben Finanzminister, das war eine Menge, aber das war es nun auch. Verzockt“, schreibt Müntefering. Lafontaine habe die Realität gesehen, sie aber nicht akzeptiert.
Nachdem die organisierte politische Linke im vereinten Deutschland politische Statur und demokratische Vertrauenswürdigkeit über Jahre glaubwürdig bewiesen habe, so Müntefering weiter, werde sie durch das Wagenknecht-Bündnis gespalten und geschwächt. Lafontaines Beitrag zur politischen Willensbildung bezeichnet Müntefering als „fortschrittlich-konservativ-sozialdemokratisch-oskarhaft“. Und weiter: „Dass er auch hier bestenfalls auf der Stelle tritt, das wird er wissen, aber es stört ihn nicht. Er blickt in den Spiegel und findet sich toll.“
Über Lafontaines Zukunft schreibt Müntefering: „Der Silber-Jubilar hat es nun 25 Jahre (1999 bis 2024) verpasst, Politik nicht nur zu fordern, sondern auch zu machen. Begeistert darüber zu reden führt nicht zum Ziel. Man muss es tun. Und dazu Mehrheiten suchen und aufbauen, auch Kompromisse nutzen, nicht bremsen und nörgelnd zuschauen. Ein Talent war er, ja. Und man darf hoffen, dass er sich für die nächsten 25 Jahre Besserung vornimmt. Wäre ja eine Chance. Für ihn persönlich und fürs Land.“